MZ-Serie
Mal derb, oft frech, immer geistreich

Aus unserer Serie „Oberpfälzer in München“: Jürgen Kirner suchte wie andere Homosexuelle der 1980er die große Freiheit.

05.01.2016 | Stand 16.09.2023, 6:55 Uhr
Katja Meyer-Tien
Er ist der Gastgeber der BR-Sendung Brettlspitzn, Sänger und Musiker der Couplet-AG, Organisator der Münchner Vorstadthochzeit: der Künstler Jürgen Kirner ist in München bekannt wie ein bunter Hund. −Foto: Meyer-Tien

Heute ist alles anders. Heute, sagt Jürgen Kirner, muss ein Künstler, der etwas erreichen will, die Oberpfalz nicht mehr verlassen. Aber damals, in Hemau, Mitte der 1980er Jahre? „Ich konnte nicht frei leben“. Nicht privat, als homosexueller Mann, aber auch nicht als Künstler. Es ist erst 30 Jahre her, und doch war es eine ganz andere Zeit, eine Zeit, in der die Oberpfalz nur durch Briefe und Festnetztelefone mit dem Rest der Welt verbunden war. Für einen jungen Menschen, den es auf die Bühne zieht, war das zu wenig.

Die Bühne, die er brauchte

Jürgen Kirner kennt man heute als Gastgeber der BR-Sendung Brettlspitzn, als Sänger und Musiker der Couplet-AG, als Organisator der Münchner Vorstadthochzeit. Klein, frech und lustig, hintersinnig, hinterfotzig, mal derb, immer geistreich. Nur wenige Minuten geht man mit ihm durch die Münchner Straßen, da grüßt schon die erste Passantin. „München ist für mich genau so eine Kleinstadt wie Regensburg“, sagt Kirner, und wenn er von den kurzen Wegen schwärmt, von den Nachbarn und Geschäftsleuten in seinem Viertel, dann wirkt München tatsächlich sehr klein.

Wer weiß, was aus Kirner geworden wäre, hätte er nicht 1986 gesagt: „Jetzt oder nie“. Er war ja auch in Hemau nicht unglücklich, aber dass er nicht sein Leben lang Schaufensterdekorateur sein wollte, hat er früh erkannt. Zumal ihn schon sein Großvater mit seinen Gstanzl beeindruckt hatte. Mit 15 gründete er die „Hemauer Rathaus-Gnauzn“, die Lokalpolitik war eine dankbare Spielwiese für seine ersten Kabarettversuche. Aber irgendwann war das nicht mehr genug. Kirner ging. Und fand in München „eine ganz andere Welt“, eine, die auch sein Privatleben akzeptierte. München galt damals noch als eine Hochburg der Schwulenbewegung, immer im Kampf gegen die Politik, aber attraktiv auch für internationale Stars wie Freddy Mercury: Wer die richtigen Kneipen und Bars kannte, der fand Freiheit.

Vor allem aber fand Kirner hier die Bühne, die er brauchte. Denn deshalb musste es ja unbedingt München sein: die Gasthaustradition, die Couplets, die Gstanzl.

Arterhalter der bayerischen Wirtshauskultur

All das hatte er immer mit der Hauptstadt verbunden, und war bitter enttäuscht, als er nur folkloristische Überbleibsel der uralten Traditionen vorfand. Kirner hatte seine Aufgabe gefunden. Der Rest ist Geschichte, heute ist Kirner einer der vehementesten Arterhalter der bayerischen Wirtshauskultur. Wirtshäuser können Talentschmieden sein, davon ist er überzeugt. Gerade in der Oberpfalz, die noch nicht durch den Tourismus verdorben sei. Die Oberpfälzer hätten immer „das bleiben können, was sie sind: Originale“. So reist er, wann immer es geht, in seine Heimat, besucht Wirtshäuser und Gemeindesäle, immer auf der Suche nach neuen Talenten, denen er die Plattform bieten kann, die er sich in seiner Jugend gewünscht hätte. Nur ganz kurz schleicht sich ein wenig Bitterkeit in seine Stimme, dann schwärmt er schon wieder von den Oberpfälzer Talenten, den Tanngrindler Musikanten um Frieder Roßkopf, dem Duo Zwiadfach, Katrin Anna Stahl. Einfacher hätten die es heute schon, „die Zeiten haben sich Gott sei dank verändert“, sagt Kirner. Und meint damit all die sozialen Plattformen, die es den Künstlern heute ermöglichen, deutschlandweit präsent zu sein, ohne die Oberpfalz verlassen zu müssen.

Die Kunst in ihre Heimat tragen

Entwickeln könne sich das aber nur dort, wo Wirtshauskultur noch gelebt werde, sagt er. Und schon ist sie wieder da, die Rage, die ihn packt, wenn er die Gemeinden seiner Heimat veröden sieht, wenn Wirthäuser aufgegeben werden und ungenutzt verfallen. Oberpfälzer Künstlern will er er vor allem auch deshalb deutschlandweit bekannt machen, um ihre Kunst wieder in die Heimat zu tragen: „Oft sehen die Leute gar nicht, welche Talente sie vor sich haben. Aber wenn die zurückkommen, wächst der Stolz der Oberpfälzer, dass sie so tolle Leute haben.“

Er zögert, wenn man ihn fragt, ob er sich vorstellen könnte, wieder nach Hemau zurückzugehen, jetzt, wo er es in München geschafft hat. Er ringt, mit sich, den Worten, und bringt dann ein „Jein“ hervor. „Hemau ist mir bis heute unendlich vertraut“. Die lieben Menschen dort, das Gefühl der Entschleunigung, das ihn jedesmal packt, wenn er heim kommt, das Loslassenkönnen von allem, was sonst so wichtig erscheint. All das: Dinge, die er nie missen möchte. Aber, und das sagt er sehr bestimmt: „Nach drei Tagen wird es mir zu eng. Ich brauche Leute um mich herum“. Und außerdem, sagt er dann noch, „ist es ein verdammt schönes Gefühl, zwei Heimaten zu haben“.

Lesen Sie mehr:

Auch wenn sie oft schon lang weg sind: Viele Oberpfälzer in München fühlen sich ihrer Heimat eng verbunden. Die MZ stellt in der Serie „Oberpfälzer in München“ einige von ihnen vor.Hier geht es zu allen Folgen der Serie.

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