Geschichte
Die Walhalla als Bühne für die Nazis

Die Enthüllung einer Büste nutzte Hitler als Machtdemonstration. Neun Monate später folgte der „Anschluss“ Österreichs.

08.10.2017 | Stand 16.09.2023, 6:18 Uhr
Ulrich Kelber

Für Hitler und sein Gefolge war am 6. Juni 1937 an der Treppenanlage der Walhalla eine Ehrentribüne errichtet worden. Foto: MZ-Archiv

Mit Büsten von Komponisten ist die Walhalla gut bestückt. Bildnisse von Händel, Gluck, Mozart und Haydn, der auf der Inschrift allerdings Heyden genannt wird, waren bereits bei der Eröffnung 1842 aufgestellt. 1866 kam – noch zu Lebzeiten des Walhalla-Stifters Ludwig I. – eine Beethoven-Büste hinzu. Weiter ging es 1913, als Richard Wagner zu seinem 100. Geburtstag in der Walhalla mit einer Büste geehrt wurde. 1916 wurde dann endlich Johann Sebastian Bach gewürdigt. Zum 100. Todestag wurde 1928 eine Büste von Franz Schubert enthüllt. 1937 folgte die Büste von Anton Bruckner. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Max Reger (1948), Richard Strauss (1973), Carl Maria von Weber (1978) und Johannes Brahms (2000) verewigt.

Da haben die einschlägigen Verbände gute Lobby-Arbeit geleistet. Das war auch im Fall von Anton Bruckner so, wobei die Geschichte aber eine gewaltige politische Dimension bekommen sollte. 1927 war in Leipzig und 1929 in Wien die „Internationale Bruckner-Gesellschaft“ gegründet worden. In ihr war auch der „deutschnationale“ Regensburger Musikverleger Gustav Bosse aktiv, in dessen Druckerei das Nazi-Kampfblatt „Schaffendes Volk“ hergestellt wurde.

Vermutlich war es eine Anregung von Gustav Bosse. Jedenfalls gehörte es zu einer der frühen Aktivitäten der Bruckner-Gesellschaft, die Aufstellung einer Bruckner-Büste in der Walhalla zu fordern. Doch die bayerische Landesregierung zeigte zunächst Desinteresse. Erst Siegmund von Hausegger, Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, konnte den NSDAP-Ministerpräsidenten Ludwig Siebert überzeugen. Argumentiert haben dürfte er damit, dass Bruckner zu Hitlers Lieblingskomponisten gehöre und dass die Stadt Linz sowohl im Leben des Komponisten wie auch des „Führers“ eine bedeutsame Rolle spiele. Siebert witterte die Chance, in der Rangliste der Günstlinge aufzusteigen und stellte 1936 die Walhalla propagandawirksam unter die Obhut von Adolf Hitler. „Die Bestimmung der Aufnahme von Büsten um die Nation besonders verdienter Deutscher … kann nur noch dem Führer der Nation zustehen“, ließ er verkünden. Der Führer habe diesen Vorschlag angenommen und zugleich auch der Bitte der Bruckner-Gesellschaft zugestimmt, dass „zur Ehrung Anton Bruckners, dessen 40. Todestag in das laufende Jahr fällt, die Büste dieses neben Beethoven größten deutschen Symphonikers in der Walhalla zur Aufstellung kommt“.

Große Inszenierung

Aber das Gedächtnisjahr verstrich. Erst am 6. Juni 1937 wurde die Bruckner-Büste dann tatsächlich aufgestellt. Gestaltet hatte sie der Münchner Bildhauer Adolf Rothenburger . Der Grund für die Verzögerung? Das NS-Regime wollte das Ereignis als Staatsakt und als großangelegte Machtdemonstration inszenieren. Zeitgleich zu den Bruckner-Festivitäten sollten ein „Gautag“ der NSDAP sowie ein Gausportfest stattfinden. Zwischen 150 000 und 200 000 Parteianhänger – die Zahlen schwanken – sollen an der Massenkundgebung am Rennplatz teilgenommen haben.

Für Regensburg blieb also genug Zeit, um sich bei den Vorbereitungen mächtig ins Zeug zu legen. Die arg heruntergekommene Minoritenkirche wurde restauriert, damit sie als Konzertsaal dienen konnte. Im Alten Rathaus wurde der Trakt mit dem Kurfürstenzimmer renoviert – hier sollte Hitler während seines Aufenthalts logieren.

Der österreichische Komponist Bruckner in der Walhalla: Damit unterstrich das NS-Regime sein Bestreben, das Nachbarland „heim ins Reich“ zu holen. Die Spannungen zwischen Österreich und Deutschland waren stetig eskaliert. Engelbert Dollfuß, seit 1932 Bundeskanzler in Wien, regierte zunehmend diktatorisch, es entstand ein klerikal geprägter, austrofaschistischer Ständestaat. Die im Juni 1933 verbotene österreichische NSDAP war verantwortlich für eine Terrorwelle, die viele Tote und Verletzte forderte. Das gipfelte im „Juliputsch“ 1934, als eine SS-Truppe das Wiener Kanzleramt stürmte. Dollfuß wurde durch Schüsse so schwer verletzt, dass er wenige Stunden später starb. Erst nach tagelangen Kämpfen mit 200 Toten gaben die Nazis auf.

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Das Hitler-Regime hatte schon ab Mai 1933 versucht, wirtschaftlichen Druck auf Österreich auszuüben. Dazu gehörte die „Tausend-Mark-Sperre“, die deutschen Touristen die Reise ins Nachbarland praktisch unmöglich machte. Im „Juliabkommen“ von 1936 sah sich Österreich zum Einlenken gezwungen. Das Land sagte zu, die noch inhaftierten Nazis zu amnestieren, außerdem sollten zwei Nazi-Sympathisanten in die Regierung aufgenommen werden. Die deutsche Regierung hob im Gegenzug die Tausend-Mark-Sperre auf und erklärte, sich „nicht in die inneren Angelegenheiten Österreichs“ einzumischen.

Dass dieses Versprechen nichts wert und der „Anschluss“ an „Großdeutschland“ nur noch eine Frage der Zeit war, ließen die Reden bei dem Bruckner-Festakt am 6. Juni 1937 in der Walhalla erkennen. Ministerpräsident Siebert verwies auf die „Sehnsucht aller wahrhaft Deutschen“ nach dem „großen, stolzen, einigem deutschen Vaterlande“ und Propagandaminister Joseph Goebbels betonte, dass Bruckner „die unauslöschliche geistige und seelische Schicksalsgemeinschaft“ versinnbildliche, die „das gesamte deutsche Volk verbindet“.

Ein „Spalier beglückter Menschen“

Durch ein „Spalier von jubelnden, beglückten Menschen“ – so ein Zeitungsbericht – war Hitlers Autokolonne an diesem Sonntagmorgen zunächst durch Regensburg gefahren. Als der Konvoi am Bräuberg in Donaustauf eintraf, wurde Hitler von einem gewaltigen Chor mit 800 Sängern empfangen. Zu hören war Bruckners „Germanenzug“ mit dem furchtbar martialischen Text „Germanen durchschreiten des Urwaldes Nacht. Sie ziehen zum Kampf zur heiligen Schlacht … Teutonias Söhne mit freudigem Mut. Sie geben so gerne ihr Leben und Blut“.

Für Hitler und sein Gefolge – neben Goebbels und Seibert gehörten dazu Heinrich Himmler und Reichsstatthalter Franz Ritter von Epp – war an der Treppenanlage der Walhalla eine Ehrentribüne errichtet worden. Als nach den Festreden Hitler den Innenraum der Walhalla betrat, stimmten die Domspatzen Bruckners „Locus iste“ an. Die Büste des Komponisten wurde anschließend von Peter Raabe, dem Präsidenten der Reichsmusikkammer enthüllt, Kränze wurden niedergelegt und am Schluss durfte das Horst-Wessel-Lied „Die Fahne hoch! Die Reihen dicht geschlossen!“ nicht fehlen.

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Am Abend war Hitler Ehrengast beim Höhepunkt des Brucknerfestes, bei dem vom Rundfunk übertragenen Konzert in der Minoritenkirche. Für Bruckners „Te Deum“ hatte Domkapellmeister Theobald Schrems einen Chor mit über 400 Regensburger Musikern zusammengestellt, während für die Aufführung der 5. Sinfonie dann die Münchner Philharmoniker zuständig waren. Erstmals erklang bei dem Konzert die durch eine „Führerspende“ finanzierte Steinmeyer-Orgel.

Die Regensburger Musikwissenschaftlerin Bettina Berlinghoff-Eichler, die schon 2005 (in „Mälzels Magazin“) einen Aufsatz über die Ereignisse von 1937 veröffentlicht hatte, war bei ihren Recherchen auch auf diesen Eintrag in den Goebbels-Tagebüchern gestoßen: „Die Walhalla macht auch heute noch einen imposanten Eindruck. Ergreifend, all die großen deutschen Namen zu lesen. Dieser Ludwig war doch ein Kerl. Einmal wird auch der Führer hier aufgestellt. Wohl Bismarck gegenüber. Die Domspatzen singen wundervoll … Rückfahrt nach Regensburg. Durch ein jubelndes Menschenspalier. In dieser schwarzen Stadt. Sie werden den kürzeren ziehen, diese Klerikalen.“ Eine Hitler-Büste in der Walhalla. Davor sind wir glücklicherweise verschont geblieben!

Nach Bruckner wurde während der NS-Zeit keine weitere Büste in der Walhalla aufgestellt.

Alle Teile aus unserer Serie zur Geschichte der Walhalla finden Sie hier.