Nazis
Wirtin kam wegen weniger Worte in Haft

Maria Mayer aus Petzkofen hatte sich hitlerfeindlich geäußert. Lehrer Albert Eichmeier erforschte den „kleinen Widerstand“.

24.01.2016 | Stand 16.09.2023, 6:51 Uhr
Kerstin Hafner
Ein altes Familienfoto der denunzierten, inhaftierten und später rehabilitierten Petzkofener Wirtin Maria Mayer mit Mann und Kindern −Foto: Repro: Hafner

Am Freitagabend lud der SPD-Arbeitskreis Labertal gemeinsam mit dem Ortsverein Aufhausen zu einem Themenabend über den regionalen „kleinen Widerstand“ gegen das NS-Regime. Nach Langquaid, Rottenburg und Geiselhöring war Aufhausen die vierte Station der Vortragsreihe.

Zum Thema „kleiner Widerstand im Labertal“ hatte sich der Referent Albert Eichmeier – Geschichtslehrer, gebürtiger Oberpfälzer, Wahlmünchner – tief in die Materie eingearbeitet und seitenweise Material zu Aufhausen und Umgebung aus den Archiven besorgt.

Darunter befanden sich mehrere Titelseiten der „Aufhausener Zeitung“, die zeigten, wie die Machtergreifung, der Kriegsbeginn und die Partei im Lokalteil dargestellt wurden bzw. wie sich der Stil des Blattes unter Einfluss des totalitären Regimes veränderte. Auch Dokumente zu den letzten freien Wahlen im März 1933 bewiesen in nackten Zahlen, wie stark die NSDAP an Einfluss gewonnen hatte und wie groß die Diskrepanz etwa zur SPD (die ja für die Weimarer Republik eintrat) bereits war.

„Ein Halunke und Hammel“

Das Material befasste sich jedoch vor allem mit dem Fall Maria Mayer, einer Wirtin aus Petzkofen, die zu Beginn des Zweiten Weltkriegs aufgrund einer hitlerfeindlichen Äußerung in der Öffentlichkeit („Verstoß gegen das Heimtückegesetz“) von den Nazis inhaftiert wurde. Nach entsprechender Denunzierung stellte man die Mutter von fünf Kindern – die Hitler vor ihren beiden Bierlieferanten als „Halunken, Hammel und wortbrüchigen Menschen“, den sie niemals wählen werde, bezeichnet hatte – vor das Sondergericht Nürnberg, das kurz zuvor eigens zu dem Zwecke, Regimegegner aus dem Verkehr zu ziehen, geschaffen worden war.

Eichmeier ließ viele Auszüge der 150-seitigen Akte als Kopien an die Zuhörer verteilen, darunter die Anklageschrift, die handschriftlichen Bittgesuche ihres Ehemanns um Freilassung oder Geldstrafe, einen zeitlichen Ablauf der Ereignisse sowie das Urteil. Sie machten deutlich, wie chancenlos einzelne Personen dem Regime ausgeliefert waren, sobald sie als Feinde der Ideologie angesehen wurden. Amnestie war undenkbar. Wer in die Maschine geriet, wurde überrollt.

„Es war eine Zeit, in der dich jede Nacht jemand aus dem Bett zerren und verhaften konnte – ohne Befehl von oben, nur auf Verdacht“, bekräftigt Eichmeier. „Auch heute gibt es noch solche Regimes.“ Wir Deutschen sollten dankbar sein für unsere rechtsstaatliche Sicherheit.

Maria Mayer bekam für zwei, drei gesprochene Sätze 18 Monate Haft, von welcher ihr die letzten sechs Monate in dreijährige Bewährung umgewandelt wurden. Im August 1941 durfte sie zu ihrer Familie zurückkehren.

Im Saal anwesend war eine Enkelin der Verurteilten, die 1948 durch eine pauschale Aufhebung aller Sondergerichtsurteile rehabilitiert wurde und 1977 verstorben ist. Die Vorkommnisse seien in ihrer Familie natürlich in Erinnerung behalten worden, ihre Oma habe aber nie ausführlich über diese Zeit oder ihre Haft im Frauengefängnis Rothenfeld bei Starnberg gesprochen.

Brisantes Material unter Verschluss

Nach dem Krieg und der Aufhebung der Sondergerichtsurteile durch die Siegermächte hätten in Bayern rund 500 000 Bürger einen Antrag auf Entschädigung gestellt. Die wenigsten jedoch bekamen tatsächlich Geld für die Tage, die sie im Gefängnis saßen. „Meist wurde das Verfahren so lange hinausgezögert, bis der Antragsteller gestorben war“, erzählt Eichmeier. „Und der Staat hält die Entschädigungsakten noch bis 2020 unter Verschluss.“

Das alles sei hochbrisantes Material, weil die schriftlichen Begründungen der Antragsteller Einblick in gröbste Rechtsbeugungen gäben. „Eine halbe Million? Das war doch ein Zehntel der damaligen bayerischen Bevölkerung“, stöhnte ein Zuhörer. Eine Dame im Publikum mahnte, gerade in Zeiten von Pegida und Bürgerwehren müsse man sich an die Schrecken der Nazizeit erinnern.

„Das Perfide an Hitlers System war sein Aufbau auf zwei Säulen, der alten und einer neuen, die mit etwas mehr Macht ausgestattet wurde, ohne die alte ganz abzuschaffen“, erklärt Albert Eichmeier. „Das führte zu Konkurrenzdruck auf allen Ebenen. Man bespitzelte sich gegenseitig oder schaukelte sich in den Aktionen hoch, um die Partei zu beeindrucken. Bürgermeister konkurrierten mit Ortsgruppenleitern, Landräte mit Kreisleitern und die deutschen Gauleiter untereinander.

Jeder wollte der bessere Nazi sein. So ist das System immer radikaler geworden.“ Erst kamen Menschen wie Maria Mayer aus Petzkofen unter die Räder, später die gesamten Sozialdemokraten.