Geschichte
Als Regensburg eine Großstadt wurde

1937 wurde das Messerschmitt-Werk aus dem Boden gestampft, in dem bald 5000 Menschen arbeiteten. Stadtviertel entstanden neu.

11.01.2018 | Stand 16.09.2023, 6:15 Uhr
Heinz Klein

1500 Bauarbeiter schufen 1937 mit dem „Hermann-Göring-Heim“, der heutigen Ganghofer-Siedlung, in einem ersten Bauabschnitt 228 Häuser mit 608 Wohnungen als neue Heimat für die kommenden Werksarbeiter. Später folgten nochmals 232 Wohnungen, ein Kindergarten, eine Volksschule, zwei Gasthäuser und mehrere Läden. Foto: Croneiß

Als beim Autobauer BMW 1982 die Entscheidung fiel, in Regensburg ein Werk zu bauen, begann ein gewaltiger wirtschaftlicher Aufschwung, der die Stadt zur Boom-Town werden ließ. Eine ähnliche Entwicklung erlebte Regensburg schon einmal – vor nunmehr 80 Jahren. Den Anstoß dazu gab damals Hermann Göring. Der Preußische Ministerpräsident und spätere Oberbefehlshaber der Deutschen Luftwaffe ordnete eine gewaltige Produktionsausweitung der Bayerischen Flugzeugwerke (BF) an. Er wünschte den Bau eines „erstklassigen Verkehrsflugzeugs“ und eines „blitzschnellen Kurierflugzeugs“.

Da eine Erweiterung des Stammwerks in Augsburg nicht möglich war, kamen Regensburg und Deggendorf als mögliche Standorte eines Zweigwerks ins Spiel. Regensburg – damals eine Stadt mit 80 000 Einwohnern und kaum Industrie, aber mit einem Flugplatz im Stadtwesten – machte das Rennen.

Die Vorentscheidung fiel in einem vertraulichen Gespräch zwischen dem Regensburger Oberbürgermeister Dr. Otto Schottenheim, dem Flugzeugkonstrukteur Willy Messerschmitt und Theo Croneiß, Vorstandsvorsitzender der Bayerischen Flugzeugwerke und Mitglied im Stab von SA-Führer Röhm. Das Gespräch fand in Schrammlhof bei Laaber statt.

Der Brief Görings an Croneiß, in dem der Beginn eines gigantischen Rüstungsprogramms mit einer zunächst zivilen Flugzeugproduktion angekündigt wurde, wurde als streng vertraulich klassifiziert.

„Ich ersuche Sie ferner, nach Durchlesen dieses Schreibens aus Gründen, die Ihnen klar sind, dasselbe zu vernichten“, schrieb Göring. Was Croneiß aber nicht tat. So blieb der Brief erhalten und ist heute in dem Buch „Die Messerschmitt-Werke im Zweiten Weltkrieg“ nachzulesen. Peter Schmoll, Autor, Historiker aus Leidenschaft und profunder Kenner des Flugzeugbaus und der Messerschmitt-Ära, hat dazu über Jahrzehnte zahllose Details und Dokumente zusammengetragen.

Charles Lindbergh schwärmte von der Bf 108

Was vor nunmehr 80 Jahren in Regensburg geschah, war ein Kraftakt, der noch heute als beeindruckend gelten kann. Ende 1936 begannen die Bayerischen Flugzeugwerke, auf 100 Hektar Fläche zwischen dem neu erbauten Krankenhaus der Barmherzigen Brüder und dem fürstlichen Rennplatz eine Flugzeugfabrik samt einem Industrieflugplatz aus dem Boden zu stampfen. Am 8. Mai 1937 wurde Richtfest gefeiert und im Januar 1938 rollten die ersten in Regensburg gebauten Flugzeuge des Typs Bf 108 „Taifun“ aus der Endmontagehalle. Das einmotorige, viersitzige Reiseflugzeug war absolute Spitzentechnologie ihrer Zeit mit überragenden Flugeigenschaften. Sogar der berühmte Ozeanflieger Charles Lindbergh schwärmte von der Bf 108: „Das beste Flugzeug seiner Klasse, das ich je geflogen habe.“ Den Beinamen „Taifun“ hatte die weltberühmte Fliegerin Betty Beinhorn der Bf 108 aufgrund ihrer hohen Reisegeschwindigkeit verpasst. Bis heute sei es der deutschen Luftfahrtindustrie nicht gelungen, mit einem Flugzeug dieser Gewichtsklasse an die Tradition der Bf 108 Taifun anzuknüpfen, sagt Peter Schmoll.

„Das Regensburger Werk verlor schon bald seine Unschuld. Denn 1939 begann bereits die Produktion des Jagdflugzeugs Me 109.“Peter Schmoll Historiker und Buchautor

Gleichzeitig mit dem Bau des Werks, das ab 1940 den Namen Messerschmitt-Werke trug, wuchs Regensburg gewaltig. 1500 Bauarbeiter schufen 1937 mit dem „Hermann-Göring-Heim“, der heutigen Ganghofer-Siedlung, in einem ersten Bauabschnitt 228 Häuser mit 608 Wohnungen als neue Heimat für die kommenden Werksarbeiter. 1939 entstanden am Ziegetsberg in einem zweiten Bauabschnitt nochmals 232 Wohnungen, ein Kindergarten, eine Volksschule, zwei Gasthäuser und mehrere Läden. So entstand ein völlig neuer Stadtteil. Auch die heutige Konradsiedlung (damals Schottenheim-Siedlung) wurde erweitert, denn schließlich musste Wohnraum für knapp 5000 Messerschmitt-Arbeiter geschaffen werden. Die Infrastruktur für das neue Werk kostete die Stadt 600 000 Reichsmark, die aber sehr schnell durch das erhöhte Steuereinkommen abgedeckt waren. Trotz des Baubooms blieb Wohnraum knapp, denn die Stadt wuchs nun von rund 80 000 auf 100 000 Einwohner an und wurde binnen kurzem zur Großstadt und Industriestadt.

Im Messerschmittwerk wurde nicht nur absolute Spitzentechnologie der damaligen Zeit geschaffen, es wurden für die Mitarbeiter auch soziale Standards von nahezu traumhaften Ausmaß geboten. Autor Peter Schmoll zitiert aus Erzählungen von Josef Kellnberger, der 1939 mit knapp 17 Jahren bei der Landmaschinenfabrik Käser & Moser in Langquaid die Gesellenprüfung ablegte und dann drei Reichsmark Wochenlohn bekam. Als er kurz darauf eine Einstellung bei Messerschmitt bekam, verdiente er 23 Reichsmark bei einer 48-Stunden-Woche – mehr als das Siebenfache – und arbeitete in einer hellen Werkshalle an einem hochmodernen Arbeitsplatz.

Wenn die Arbeit getan war, gab es auf dem Werksgelände ein großes Schwimmbad, Sportanlagen und zudem die Möglichkeit, in einem Erholungsheim bei Salzburg mal auszuspannen. Der Betrieb baute eine eigene Berufsschule, ein Lehrlingszentrum und schickte verdiente Mitarbeiter schon mal zu den Wagner-Festspielen nach Bayreuth. „Man war stolz darauf, bei Messerschmitt zu arbeiten“, weiß Peter Schmoll aus Erzählungen von Zeitzeugen. Im Flugzeugbau wurde auf zwei Zehntel Millimeter genau gearbeitet. Das war Hightech der damaligen Zeit. In Spitzenzeiten arbeiteten über tausend Lehrlinge in der Flugzeugfabrik – darunter auch der spätere Krones-Gründer Herman Kronseder, der als 14-Jähriger eine Lehre im Messerschmitt-Werk begann.

Unentrinnbare ideologische Berieselung

1939 wurden die Bayerischen Flugzeugwerke Regensburg GmbH zum „Nationalsozialistischen Musterbetrieb“ ernannt. Die Kehrseite: In allen Bereichen des Werks war die NSDAP durch ihre Gruppierungen wie die SA, SS, HJ, Deutsche Arbeitsfront (DAF), Kraft durch Freude (KdF) und andere vertreten. „Diesem dichtmaschigen Netz konnte sich so gut wie kein Mitarbeiter entziehen“, schreibt Peter Schmoll: „Es erfolgte somit eine Kontrolle, Überwachung und ideologische Berieselung eines jeden Mitarbeiters.“ Zudem kamen nun Parteigrößen wie Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess, Göring oder auch Robert Ley, Führer der DAF, nach Regensburg.

175 der hochgelobten Reiseflugzeuge BF (Me) 108 wurden im Regensburger Werk im ersten Produktionsjahr 1938 fertiggestellt, 147 im folgenden Jahr. „Doch da verlor das Regensburger Werk bereits seine Unschuld“, sagt Peter Schmoll. Denn 1939 begann bereits die Produktion des Jagdflugzeugs Me 109.

Die ersten Maschinen gingen allerdings noch fast alle in den Export. Hauptabnehmer waren die Schweiz und Jugoslawien. Mit dem 12-Zylinder-Motor von Daimler-Benz, der aus 34 Litern Hubraum die Leistung von 1100 PS schöpfte, erreichte die Me 109 Flugleistungen, die sie so berühmt und gefürchtet machten.Damit war Regensburg aber nun vom Industriestandort zur Rüstungsschmiede geworden. Dass dabei ein nun kriegswichtiger Rüstungsbetrieb direkt neben einem Krankenhaus entstanden war, war 1936 in Regensburg zwar diskutiert, aber nicht als Ausschlusskriterium gesehen worden.

„Solange nur die Me 108 gebaut wurde, war es eigentlich ein schönes Arbeiten“, erinnerte sich der Regensburger Otto Liebl. „Mit dem Beginn des Großserienbaus wurden dann allerdings die Anforderungen immer höher geschraubt, die sich im Krieg dann noch wesentlich steigerten. Von der Taktfertigung, die einem noch gewisse Ruhepausen ermöglichten, ging es dann konsequent zur Fließbandfertigung über.“ Im Metallbau verbreiteten die Niethämmer unerträglichen Lärm, in der Malerei war die Luft geschwängert von Lösungsmitteldämpfen.

Im Jahr 1941 tauchten bereits die ersten Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen auf, die neben den 5150 deutschen Werksangehörigen mitarbeiteten und die weniger angenehmen Arbeiten übernehmen mussten. Deren Zahl steigerte sich in den dunklen Kriegsjahren kontinuierlich. Anfang 1945 arbeiteten neben 5124 Deutschen 6350 Zwangsarbeiter in den nach Fliegerbombardements errichteten dezentralen Produktionsstätten. Insgesamt wurden in der Messerschmitt GmbH Regensburg von 1938 bis 1945 fast 11 000 Jagdflugzeuge des Typs Me 109 hergestellt, auch unter Mitwirkung von Insassen des Konzentrationslagers Flossenbürg. Auch der erste einsatzfähige Düsenjäger der Welt, die Me 262, kam noch aus der Regensburger Produktion.

Das Buch „ME 109 - Produktion und Einsatz“ von Peter Schmoll ist auch im Mittelbayerische Shop erhältlich!

Messerschmitt blieb am Boden

Vom Messerschmitt-Werk im Stadtwesten, das 1943 und 1944 massiv bombardiert wurde und danach in großen Teilen zerstört war, wurde nach dem Krieg der Messerschmitt-Kabinenroller (Fend-Flitzer) bis 1961 gebaut. Am Ende blieben von dem Flugzeugwerk nur noch zwei Gebäude übrig: Ein Hangar, der im Infineon-Werk noch genutzt wird, und das Verwaltungsgebäude der Messerschmitt GmbH, in dem heute das Matthäus-Runtinger-Berufsbildungszentrum untergebracht ist.

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