Glaubensserie
Das Kreuz auf der Schulterklappe

Pater Gabriel Wolf ist Bundespolizeiseelsorger. Er war bei einem Castortransport dabei und hat die Nachtstreife am Regensburger Bahnhof begleitet.

27.04.2014 | Stand 16.09.2023, 7:15 Uhr
Der Bundespolizeiseelsorger Pater Gabriel Wolf. −Foto: altrofoto.de

Pater Gabriel Wolf trägt einen Türöffner auf der Schulter. Dort glänzt ein goldenes Kreuz auf seiner Bundespolizeiuniform. Auf dieses Kreuz, das ihn als Geistlichen ausweist, wird der Pfarrer oft angesprochen und wenn das geschieht, hat er schon gewonnen. Denn dann kann er losreden und wenn er damit loslegt, ist der 43-Jährige mit dem fränkischen Akzent so schnell nicht wieder zu stoppen. Sein Mundwerk ist die vielleicht durchschlagkräftigste Waffe des Seelsorgers. „Maschinengewehr Gottes“ nennen ihn die Polizeibeamten und überhaupt ist das Hallo groß, sobald er die Dienststelle der Bundespolizei am Regensburger Bahnhof betritt.

Pater Gabriel kommt gerne viel herum. Als Bundespolizeiseelsorger ist der gebürtige Würzburger für ein Gebiet zuständig, das von Waldmünchen bis Kempten reicht. Am Flughafen München ist Pater Gabriel jede Woche. Alle sechs bis acht Wochen versucht er, in jeder Dienststelle vorbeizuschauen. Rund 4000 Polizisten bilden die Gemeinde des Bundespolizeiseelsorgers, der keine eigene Kirche oder Kapelle hat. Er kennt seine Schäfchen beim Namen, mit den allermeisten ist er per Du. „Das Geschäft brummt“, sagt er. Und dass er auch unangekündigt komme.

Fürsprecher bei Versetzungsbitten

Das ist der unterschwellige Hinweis, dass er sich nicht lenken lässt – auch nicht von Dienststellenleitern. Für die „normalen“ Polizisten ist es wichtig zu wissen, dass er auf ihrer Seite steht. Das signalisiert Pater Gabriel schon dadurch, dass er Uniform trägt. Er ist ein Kollege. Die Beamten schätzen die offene Art des Geistlichen. In seinen sieben Jahren als Bundespolizeiseelsorger hat Pater Gabriel den direkten Kontakt gesucht und gefunden. Er berät und hilft in allen denkbaren Krisen, in die ein Mensch geraten kann. Glaubensfragen können dabei eine Rolle spielen, müssen es aber nicht. Vielmehr hat es Pater Gabriel meist mit dienstlichen Themen wie einer Versetzung zu tun. Schließlich hat Pater Gabriel einen guten Draht nach ganz oben und damit ist in diesem Fall der Draht zum Polizeipräsidenten gemeint.

Grundsätzlich gibt es ein Punktesystem bei der Bundespolizei, das Versetzungen regelt. Dieses System behandelt alle gleich. Aber hin und wieder kann es vorkommen, dass es sinnvoll ist, wenn Pater Gabriel sich für eine Sonderbehandlung ausspricht, weil er um die besonderen privaten Nöte eines Beamten weiß. „Manchmal können schon ein paar Monate mit weniger langer Fahrtzeit zum Arbeitsplatz eine große Erleichterung sein“, sagt Pater Gabriel.

Josef Meier, der stellvertretende Personalrat am Bundespolizeirevier Regensburg beschreibt Pater Gabriel als „Vertrauensperson, an die wir uns jederzeit wenden können“. Der Pressesprecher Josef Pongratz schätzt an dem Geistlichen, dass er „zuhört und nicht verurteilt, egal was passiert ist“. Beide bekräftigen, dass es wichtig ist, dass der Geistliche auch kommt, wenn nicht ist. Pater Gabriel selbst sagt über sich, dass er „nicht katholisch sozialisiert“ wurde. Nach der Scheidung seiner Eltern wurde die Kirche allerdings für den Jugendlichen „der Ort, wo ich mich entfalten konnte“. Im Priesterseminar stand für ihn schnell fest: „Das Alleineleben ist nicht meins.“ Zufällig lernte er einen Bruder aus Windberg kennen. Er trat in die Gemeinschaft der Prämonstratenser Abtei ein. Das Miteinanderleben auf Gott hin ist dort das bestimmende Ideal. Schwerpunkte der Prämonstratenser sind Gemeinschaft und Seelsorge.

„Bleiben wir in Verbindung“ steht auf der Visitenkarte des Seelsorgers. Die Beamten sollen wissen, dass er jederzeit erreichbar ist. Verziert ist das Kärtchen mit einem Cartoon in der rechten, unteren Ecke. Es zeigt einen Bundespolizisten, der am Schreibtisch sitzt. Über dem Computerbildschirm leuchtet ein Heiligenschein gleichsam wie ein Schutzschirm.

Die zehn Gebote als Cartoons

Der Primizspruch, den sich Pater Gabriel ausgesucht hat, ist bezeichnend. Seid fröhlich in der Hoffnung, geduldig in der Bedrängnis, beharrlich im Gebet (Römer 12,12). Das mit der Fröhlichkeit ist offensichtlich. Der 43-Jährige lacht viel und laut. Für die Berufsethischen Seminare, die er an der Bundespolizeiakademie in Deggendorf anbietet, hat Pater Gabriel zusammen mit dem Cartoonisten Christian Habicht zwei Bände mit 10 x 10 Geboten für die Bundespolizei herausgebracht. Es geht um die Frage, welche Grundhaltungen und Werte das Handeln und Denken prägen. Zu lesen sind die Hefte mit einem Augenzwinkern. Etliche Cartoons haben es auf die schwarzen Bretter der Dienststellen geschafft. Das sind die schönen Seiten.

Mit den Polizisten geweint

Vor vier Jahren war der Pater gefordert, weil sich in Deggendorf in einem Jahr gleich vier Bundespolizisten selbst getötet hatten. Dass das schlimm war für alle, sagt der Geistliche schlicht. Dass er die Polizisten gekannt habe und dass er geweint habe. Vertrauen hat er aufgebaut, weil er nie mit vorgefertigten Antworten kommt. „Die würden nicht helfen“, ist seine Erfahrung. „Die Leute müssen sehen, dass ich mit ihnen eine Lösung entwickle.“ Was hilft, ist eine direkte Ansprache. Wer Pater Gabriel zuhört, bekommt auch mal zu hören, dass etwas ein großer S... ist. Den erschrocken Blick pariert der Geistliche gelassen. Er zuckt die Schultern und sagt, dass die Polizeisprache eben sehr direkt sei.

Mit den Beamten am Regensburger Bahnhof war er in der Faschingszeit auf Nachtstreife unterwegs. Die technische Hundertschaft aus Deggendorf begleitete der Geistliche bei einem Castor-Transport im Wendland. Er war dabei, als Demonstranten sich an die Gleise gekettet hatten und die Polizisten nachts gerufen wurden, um sie wegzusägen. Pater Gabriel nennt das „Geh-hin-Seelsorge“ und er stellt sich die Frage, wie es möglich ist, in solchen Momenten menschlich zu bleiben. Da sei er selbst ein Immer-Suchender.

Jeden Morgen entzündet er für seine Schützlinge eine Kerze. Pater Gabriel ist es zudem wichtig, dass in den Dienststellen Kreuze hängen. Die Kreuze sind knallig bunt, strahlend gelb oder feuerrot zum Beispiel. „So ein Gelb ist doch etwas Positives“, sagt er. Er hat sich auch dafür eingesetzt, dass in der Abflughalle in München, in der Flüchtlinge auf ihre Abschiebung warten müssen, ein Kreuz hängt. Und natürlich funkelt auf seiner Uniformjacke ein kleines Kreuz auf dem Schulterstück, dass ihn so oft mit Menschen ins Gespräch bringt.