MZ-Serie
Das Phantom aus dem Spucknapf

„Chopper“ – die Geisterstimme in einer Neutraublinger Zahnarztpraxis wurde zur größten Geschichte der WOCHE-Ära.

10.01.2016 | Stand 16.09.2023, 6:55 Uhr

Das berühmte Bild von Fotograf Horst Hanske: Der Zahnarzt und seine Helferin wollen zunächst nicht wissen, woher die Stimme von „Chopper“ kommt. Foto: Hanske

Die Geschichte vom „Chopper“ war eindeutig die Story mit dem höchsten Aufmerksamkeitswert in den 30 Jahren, in denen die WOCHE die Ereignisse in und um Regensburg „an den Tag“ brachte. Fünf Wochen lang beanspruchte der „Geist in der Zahnarztpraxis“ die Titelseite, trieb die Auflage in nie gekannte und nie wieder erreichte Höhen und veranlasste Kollegen aus der ganzen Welt, die WOCHE-Redaktion zu besuchen.

Es war Anfang Februar 1982, als die Redaktion das Gerücht erfuhr, in einer Zahnarztpraxis in Neutraubling spuke es. Der Journalist Günther Schießl, von seiner Zeit als Redakteur in Rosenheim geistergestählt (im Jahr 1967 spukte es dort in einer Rechtsanwaltspraxis), fuhr zusammen mit Fotograf Horst Hanske an den Ort des Geschehens und brachte rätselhafte Einzelheiten mit.

Bis zu 90 Mal am Tag

Ein Jahr lang war die Geisterstimme bereits aktiv. Erst nur am Telefon; später röhrte sie auch aus dem Spucknapf, aus der Toilette oder aus Steckdosen. Und als die WOCHE darüber berichtet hatte und immer mehr Menschen in die Praxis strömten, wurde auch der „Chopper“, wie sich der Geist nannte, immer aktiver. Bis zu 90 Mal erschreckte er Patienten und bedachte alle, bis auf eine junge Zahnarzthelferin, mit Obszönitäten. Eine Patientin soll kreischend aus der Toilette geflohen sein, weil eine hohle Stimme aus dem Becken grunzte: „Mach mir nicht ins Gesicht.“ Der Angestellten flüsterte er dagegen schon mal ein „ich liebe dich“ aus dem Spucknapf entgegen.

Nachdem die WOCHE als erste Zeitung darüber berichtet hatte, ging die Nachricht in Windeseile durch den Blätterwald nahezu der ganzen Welt. Viele beriefen sich auf das Journal aus Regensburg. Manche Kollegen wollten sich vor Ort ein Bild aus erster Hand machen und holten sich die Informationen in der Redaktion am Haidplatz, ehe sie nach Neutraubling weiterfuhren. Aber nicht nur Journalisten belagerten die Zahnarztpraxis.

Peilsender und Parapsychologen

Die Polizei bildete die „Soko Geist“ und die „Sondergruppe 16“.Die Deutsche Bundespost schickte Peiltrupps des Fernmeldetechnischen Zentralamtes in Darmstadt, die mit unerhörtem Equipment anrückten. Aus dem fernen Freiburg eilte Hans Bender, Professor für Parapsychologie, nach Neutraubling. Er hatte es einst geschafft, die Spökenkiekerei zur wissenschaftlichen Disziplin zu adeln. Eine Erklärung für den „Chopper“ fand er ebenso wenig wie all die Esoteriker mit Pendeln oder Wünschelruten, die das Neutraublinger Phänomen untersuchten.

Kriminalkommissar Norbert Czerny war es, der dem Geist auf die Spur kam. Die Stimme stammte nicht aus dem Jenseits, sondern war höchst irdischer Natur. Die junge Zahnarzthelferin war es, die alle Welt narrte – mit Einverständnis ihres Arbeitgebers.

Der Spuk war zu Ende und machte nur noch einmal Schlagzeilen, als das Amtsgericht Regensburg das Urteil sprach. Ergebnis: Der Jux wurde ziemlich teuer.

Hier finden Sie weitereTeile unserer Serie „Die Woche – Die spannendsten Schlagzeilen“.