Menschen
Die Versteigerung seines Lebens

Obergerichtsvollzieher Jakob Spreitzer brachte am 4. Mai 2001 einen Traum unter den Hammer – den F 2000 von Fritz Fend.

20.05.2017 | Stand 16.09.2023, 6:33 Uhr
Helmut Wanner

Obergerichtsvollzieher Jakob Spreitzer mit dem Versteigerungsobjekt, der F 2000. Um die 30 Bieter stehen am 4. Mai 2001 in der Garage von Karl Bauer in der Carlstraße. Im Hintergrund hält der Fotograf Horst Hanske das Geschehen mit seiner Leica fest. Foto: Moosburger

Spreitzer war einmal sehr hübsch gewesen: ganz schlank, ganz groß, mit einer nicht zu großen Nase. Dennoch waren Frauen wie Männer nicht immer besonders glücklich, wenn er bei ihnen geklingelt hat. Denn Spreitzer kam mit Urteil und Pfändungsbeschluss.

.„Dieser von mir verehrte Erfinder des Kabinenrollers konnte seinen Lebenstraum nicht verwirklichen“Jakob Spreitzer

Sein Revier lag im Regensburger Westen, es reichte vom Arnulfsplatz bis zur Fähre Prüfening. Der Gerichtsvollzieher klebte das Pfandsiegel auf bewegliche Wertgegenstände. Das rotweiße Pfandsiegel mit dem Namen des zuständigen Amtsgerichts und des Gerichtsvollziehers heißt im Volksmund Kuckuck und Pleitegeier. Und das klebte auch auf dem einstigen Regensburger Zukunftsauto, dem Fend 2000. Das Zwei-Liter-Auto sollte in Serie gehen und 20 000 Mark kosten. Aber es hat die Werkstatt in der Thurmayerstraße nur zur Zwangversteigerung verlassen.

Der Vollstrecker

Als Postbote hatte er angefangen. Er war schon damals ein wandelndes Postamt. Seit 1968 war Vollstreckung Spreitzers tägliches Brot. Dazu braucht man starke Nerven. Spreitzer hatte sich angewohnt, seine Rolle als Gerichtsvollzieher wie ein Chirurg auszuüben. „Ich hab das Unglück nicht gebracht. Es war schon da, als ich kam.“

„Spreitzer war sehr menschlich“, wird ihm von einer Regensburger Kundschaft bescheinigt. Doch von Attacken blieb auch er nicht verschont. „Ein Wirt warf sechs, sieben Bierkisteln nach mir. Ein anderer bedrohte mich mit Gaspistole und Messer, als ich ihm die Lebensversicherungspolice abnehmen wollte.“ Der hatte Haus und Hof verjubelt. Morgens um 9 Uhr wurden ihm 3,2 Promille attestiert. Doch auch ein Vollstreckungsbeamter hat Sternstunden. Zwei Jahre und acht Monate bevor er am 31. Januar 2004 als Obergerichtsvollzieher in Pension ging, erlebte Spreitzer die Zwangsversteigerung seines Lebens.

Beppi Geisler kam im Kabinenroller

Es war an einem Freitagnachmittag, 4. Mai 2001, in einer Garage in der Carlstraße, eine Querstraße zur Steinmetzstraße. Jakob Spreitzer stand vor der Garage in dunkler Hose und hellblauem, kurzärmeligen Hemd und nahm die Gebote der Männer auf, die sich um den F 2000 des verstorbenen deutschen Automobilkonstrukteurs Fritz Fend (1920 bis 2000) versammelt hatten.Beppi Geisler, ehemaliger Messerschmitt-Lehrling, hatte keine Kaufinteressen.

„Ich hab das Unglück nicht gebracht. Es war schon da, als ich kam.“Jakob Spreitzer

Er ist überzeugt, Fend sei unverschuldet in das Schlamassel geraten. Geldgeber hätten ihn hängen lassen. Geisler kam aus Reverenz im Kabinenroller. Zur Beerdigung im November 2000 auf den Bergfriedhof hatte er Fend auch das letzte Geleit gegeben. Er war im Kabinenroller bis ans Grab gefahren. Nun war der Ka-Ro-Beppi Zeuge, als Fends Traum unter den Hammer kam. Fritz Fend war 79-jährig gestorben. Es ist die besondere Tragik dieses Mannes, dass die Zahl 2000 des Prototyps seines Zweiliter-Autos sein Todesjahr markierte.

Jakob Spreitzer, Beamter im mittleren Dienst, kam bei der Vollstreckung so eine Art von Rührung an, weil er 1966 selbst einen Kabinenroller gefahren hatte, „einen mit schwarzem Cabrio-Dach“. Vor allem aber spürte er, dass er am offenen Grabe einer Hoffnung stand. „Dieser von mir verehrte Erfinder des Kabinenrollers konnte seinen Lebenstraum nicht verwirklichen“, sagt Spreitzer.

70 000 Deutsche Mark für das legendäre Zwei-Liter-Auto

Die meisten der Herren in der Carlstraße kannte Spreitzer schon. Zwei Brüder waren immer da, wenn etwas zu versteigern war. Sie hatten den Termin aus den amtlichen Bekanntmachungen. In ihren Brieftaschen hatten sie die Tausender und Hunderter gebündelt, denn bei Zwangsversteigerungen gilt immer das Barzahlungsgebot. Die Versteigerung dauerte nur ein paar Minuten. Für 70 000 Deutsche Mark ging der Fend 2000 weg. Ersteigert hatte ihn Fritz Fends Vermieter Karl Bauer. Wie Spreitzer bestätigt, war Bauer auf Mietschulden für Fends Werkhalle in der Thurmayerstraße sitzen geblieben. Bauer schob den Prototypen in seine Garage zurück. Man munkelte damals, er wolle den F 2000 an einen Freund weitergeben. Das legendäre Zwei-Liter-Auto landete schließlich bei Ludwig Städele, einem Hotelier aus Bad Wörishofen. Zehn Jahre später, im Mai 2011, fuhr dieser Städele im einzigen zugelassenen Modell des F 2000 zur Einweihung der Fritz-Fend-Straße am Bahnhof vor.

F 2000 erreichte nie die Serienreife

Der F 2000 war für Fend so etwas wie eine Wunderwaffe gewesen. Die V8-Rakete hatte beim Konstrukteur das Flämmchen des Glaubens an seinen persönlichen Endsieg am Leben erhalten. Bereits Ende der 80er Jahre hatte der Konstrukteur den Prototypen vorgestellt. Das 80 PS starke Gefährt basierte auf dem Motorradmotor der BMW K75 C 750 ccm. Bei Tempo 120 verbrauchte der F 2000 2,1 Liter auf 100 Kilometer, der Luftwiderstand betrug 0,11 – einmalig auf der Welt. 190 Stundenkilometer fuhr das Geschoss.

Fritz Fend sah in seinem letzten Messerschmitt-Kabinenroller eine Marktchance. Das sparsame Kleinfahrzeug für Pendler war ein potentielles Massenprodukt. Das ungewöhnliche, wassergekühlte Gefährt (Kühler war die Flosse) glich mehr einem Starfighter als einem Auto. Der F 2000 erreichte nie die Serienreife.

So wurde Fend Stammkunde bei Jakob Spreitzer. Kurz vor seinem Tod muss es gewesen sein, dass der Obergerichtsvollzieher bei ihm im Büro an der Thurmayerstraße anklopfte, um dem 79-Jährigen die eingeklagten Forderungen zu unterbreiten. Spreitzer legt Wert auf die Feststellung, dass das ja seine Aufgabe war: „Ich war ein Beamter der Justiz, dem die Beitreibung der eingeklagten Forderungen obliegt. Ich habe dazu beigetragen, die ausstehenden Forderungen wieder in den Kreislauf der Wirtschaft zu bringen.“ Da saß Fritz Fend seinem heimlichen Verehrer gegenüber und erzählte ihm von dem südamerikanischen Geschäftsmann, der versprochen habe, das Projekt F 2000 zu finanzieren. Jakob Spreitzer: „Fend rechnete fest mit dem Eintreffen der Gelder.“

Eine von Fends Töchtern war übrigens auch bei der Versteigerung dabei. Mit ihr drehte Beppi Geisler danach im Kabinenroller eine Stadt-Tour. Geisler: „Die Frau war von ihrem Vater vorher nie dazu eingeladen worden.“

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