Korruption
Ein Mann von einsamer Spitze

Volker Tretzel gilt als Strippenzieher in der Regensburger Affäre. Partner schildern ihn als korrekt – und als Patriarchen.

27.01.2017 | Stand 16.09.2023, 6:41 Uhr

Volker Tretzel im Jahr 2001: Seine Projekte findet man an vielen Orten in Regensburg – ihn selbst kennt keiner wirklich.Foto: Moosburger/MZ-Archiv

Regensburg. Volker Tretzel ist der, von dem jeder weiß, dass ihn keiner kennt. Der Unternehmer steht im Zentrum der Regensburger Korruptionsaffäre, zusammen mit Oberbürgermeister Joachim Wolbergs. Aber während der eine, medial omnipräsent, fast jeden Tag im Fokus der Kameras stand, existieren vom anderen nur wenige öffentlich zugängliche Aufnahmen. Im überschaubaren Regensburg ist das ungewöhnlich.

Die Buschtrommel funktioniert hier. Wie am 18. Januar, als die Nachricht von der Verhaftung eines Bauträgers die Runde machte, ohne dass bereits ein Name fiel. Es genügte den bekannten Bauträgern vor Ort, sich abends in einem der angesagten Lokale in der Altstadt zu zeigen, um zu signalisieren: „Schaut her – auf freiem Fuß!“ Sie konnten sicher sein: Die Botschaft kam an.

Volker Tretzel war zu diesem Zeitpunkt bereits verhaftet. Der Mann, der in der Regensburger Immobilienbranche am großen Rad dreht, bringt seine Tage nun in der Zelle einer bayerischen Justizvollzugsanstalt zu, abgeschottet, ohne Handy und ohne weiteren Kontakt zur Außenwelt.

Ein Patriarch, der die Fäden zieht

Ganz unten kann es einsam sein. Ganz oben auch. Volker Tretzel steuert sein Unternehmen und seine 49 Mitarbeiter „patriarchalisch“, wie Partner seinen Stil beschreiben, wie ein potenter Pate, der die Fäden in der Hand hält, der an den richtigen Stellen zu ziehen weiß – und der sensationell erfolgreich agiert.

Der Jurist baute ab den 1970er Jahren einen Konzern auf, der sich Alleinstellungsmerkmale ans Revers stecken darf. BTT kann es sich leisten, auf Kredite weitgehend zu pfeifen. BTT baut auch ohne Bank. Die GmbH weist für 2015, bei 65 Millionen Euro Bilanzsumme, 46 Millionen Euro Eigenkapital aus – eine Quote von sagenhaften 70,7 Prozent. Die selbe Bilanz erwähnt, dass die GmbH keine Forderungsausfälle und keine gerichtlichen Auseinandersetzungen mit Kunden zu melden hat – ein Umstand, der im Bauträger-Business eine Bemerkung wert ist. BTT gilt als verlässlicher Partner, als pünktlicher Zahler, als qualitätsbewusster Bauherr. Die Anlagen wollen selbst renommierte Architekten nicht unter „billige Kisten“ schubladisieren. Die Flächen sind zwar dicht bebaut, aber: Die Menschen leben gern dort.

Volker Tretzel agiert entschieden. Er ist „energiegeladen, sehr höflich, sehr von sich überzeugt“, und er hat „genaue Vorstellungen, was er will“, sagt ein Dienstleister. Der 74-Jährige geht für einen Mann seiner Generation verblüffend versiert mit Visualisierungstechnik um und er denkt Schönheit und Nutzen zusammen. Die Wasserkanäle, die an praktisch jeder BTT-Anlage so idyllisch plätschern, geben nicht nur ästhetischen Mehrwert, sondern sparen auch Aufwand beim Unterhalt der Außenanlagen.

In der Luft und zu Wasser

Die GmbH hat, vorrangig im Raum Regensburg, mehrere tausend Wohnungen gebaut, etwa am Rennplatz, an der Lilienthalstraße, an der Galgenbergstraße – und am Hochweg. Für das Areal einer Teppichfabrik hatte sich lange Zeit ein anderer Big Player heftig interessiert. Ohne Erfolg. „Über Nacht“, hört man von ihm, ging die Fläche an BTT. Später habe sich der Bauträger gebrüstet, er wisse eben, welche Knöpfe man drückt. – Der Konkurrent hat die Ambition, Projekte in Regensburg zu entwickeln, irgendwann beiseitegelegt.

An Häusern von BTT kommt man in Regensburg häufig vorbei. Auf Volker Tretzel stößt man eigentlich nie irgendwo. Der Konzernchef ist ein blinder Fleck, eine Fehlstelle im Gesellschaftstableau der Stadt. Von Einladungen oder großen Familienfesten ist nichts bekannt. Man weiß, dass der Pilot Volker Tretzel ab und zu vom Flughafen in Oberhub bei Regenstauf abhebt, manchmal mit Regensburgs ehemaligem Oberbürgermeister Hans Schaidinger an Bord, gegen den nun ebenfalls wegen des Verdachts unsauberer Geschäfte ermittelt wird. Und man weiß, dass der Eigner Volker Tretzel gern durchs Meer kreuzt – auf einer Yacht, mit der auch Hans Schaidinger verreisen durfte, als zugesichertes Honorar für Beraterdienste.

Flugzeug und Yacht – die Worte triggern das Bild vom Millionär und seinen teueren Spielzeugen. Aber nach der Schilderung von Menschen, die frei wären, auch das Gegenteil zu behaupten, fliegt und segelt Volker Tretzel nicht, weil das zur Attitüde eines gelangweilten Mannes mit Vermögen gehören könnte. „Er liebt das einfach.“

Professor Franz-Josef Stoiber kennt den Musiker Tretzel. Der Bau-Boss spielt gern und ziemlich respektabel Klavier und vor allem Orgel. „Ein sehr gebildeter und kunstsinniger Unternehmer“, sagt der Regensburger Domorganist.

„Er ließ uns wie Schulbuben antanzen“, sagt dagegen Christian Schlegl, der 2014 als CSU-Kandidat gegen den SPD-Mann Joachim Wolbergs krachend unterlegen war. Als Aufsichtsrat beim SSV Jahn hatte er mit dem Mäzen des Fußballklubs öfter zu tun. Die Termine schildert Schlegl so: Der Gönner erklärte in seinem Büro das Leben – und sagte zuletzt, die Entscheidungen werde er später mit Herrn Schaidinger selbst besprechen.

Die Bilanz 2015 führt in der Rubrik Anteilsbesitz für die SSV Jahn GmbH & Co. KGaA die Summe von 8,19 Millionen Euro auf. Mit diesem Paket im Rücken, redet Tretzel ein wichtiges Wort im Klub mit. Er selbst nennt sich „nicht besonders fußballinteressiert“.

Je nach Warte schillert das Bild

„Eitel. Unnahbar. Ein Mensch, der klar macht, wer anschafft“ oder: „Jemand, der sich interessiert. Der einem das Gefühl gibt, man kann mit ihm Ideen entwickeln“: Die Art, in der Volker Tretzel beschrieben wird, hängt auch davon ab, aus welcher Warte er gesehen wird, auf Augenhöhe oder aus Bittsteller-Perspektive.

Volker Tretzel ist ein kluger, schwerreicher Mann, der mit seiner Zeit durchaus etwas anzufangen weiß. Seine beiden Kinder gehen im Ausland eigene Wege; für einen Nachfolger muss hier nichts bewahrt werden. Vorausgesetzt, der Verdacht der Justiz erhärtet sich: Was könnte einen Menschen dieser Ausstattung zu Korruption antreiben? „Wer gibt, fühlt sich gut“, sagt der Regensburger Psychotherapeut Prof. Dr. Thomas Loew. Und wer großzügig gibt, steigert seinen Selbstwert und fühlt seine Wirkkraft.

„Sie bekommen, so viel Sie brauchen“, zitiert ein Empfänger den großzügigen Regensburger Unterstützer. So ein Satz legt die Pralinenschachtel geöffnet auf dem Tisch. Menschen, die in finanziellen Unterzucker geraten sind, könnten versucht sein, zuzugreifen, obwohl sie wissen, wie ungesund Pralinen sind.

Wie Politiker durch Unternehmer konditioniert werden, erklärt Thomas Loew so: „Das ist wie Laufen lernen.“ Am Anfang fällt man dauernd hin und tut sich weh. Dann wächst das Gefühl: Man muss nicht mehr krabbeln, kann neue Spielräume erschließen und gewinnt Bewegungsfreiheit. „Dieses Gefühl verdrängt den Schmerz. Und später denken wir beim Laufen gar nicht mehr darüber nach.“

Für Lambsdorff: „Der Klassiker!“

Ein Bild vom Jahn-Retter aus dem Jahr 2005 zeigt Volker Tretzel im Nadelstreifen-Anzug: ein Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle. Es kann sein, dass der Konzernlenker so korrekt handelt, wie sein Anzug sitzt. Auch wenn die Staatsanwaltschaft mit beeindruckendem Einsatz ermittelt – aktuell besteht nicht mehr als ein Verdacht. Der Fall Christian Wulff hat gezeigt: Die Wucht, mit der die Justiz jetzt agiert, muss nichts aussagen über die Wahrheit, die ein Gericht am Ende finden würde.

Für Johann Graf Lambsdorff, Volkswirt und Begründer des Korruptionswahrnehmungsindex’, ist die Konstellation, von der die Staatsanwaltschaft bei ihrem Verdacht ausgeht, „der Klassiker!“ Der Professor, Lehrstuhlinhaber an der Uni Passau, hat sogar ein forensisches Spiel entwickelt, in dem Studenten folgenden Fall nachspielen: Kommunales Bauland wird unter Preis an einen Bauträger verkauft, der sich mit Geld revanchiert. „In unserem Spiel“, sagt der Professor, „ist übrigens der OB der Bösewicht“.