Bauwerke
Einfach göttlich, der Regensburger Dom

In einer Serie stellt die MZ spektakuläre Bauwerke der Oberpfalz vor. Der Dom St. Peter ist das großartigste Zeugnis gotischer Baukunst in Süddeutschland.

08.07.2012 | Stand 16.09.2023, 21:02 Uhr
Thomas Dietz
Blick über die schöne Stadt Regensburg: Baudirektor Hans Weber auf dem Nordturm des Domes −Foto: Tino Lex

„Wann ich das letzte Mal den Regensburger Dom betreten hab? Gott im Himmel. Das ist Ewigkeiten her“, das hört man oft. Um dieses so erhabene und bedeutende Bauwerk zu würdigen, muss man nicht katholisch noch gläubig sein. Es genügt, langsam durch das Innere zu gehen. Sich in eine Bank zu setzen und den Blick schweifen zu lassen, alle Sensoren zu öffnen – denn die spirituelle Kraft dieses Ortes ist immer noch gewaltig.

Lange Jahre war der Dom St. Peter ein Ort der Finsternis, geblendet wurde man nur, wenn man hinauf in diese hängenden Tütenlampen aus Messing blickte. Gottlob hat man das bekannte lichttechnische Ingenieurbüro Walter Bamberger aus Pfünz im Altmühltal beauftragt, ein vollkommen neues Lichtdesign für diese Kirche zu erarbeiten und es 2006 bis 2008 einzubauen. Seither schimmert die Raumesfülle warm, kontrastreich und sympathisch. Erst als diese „Pionierarbeit“ gelungen war, ließ man die Licht-Ingenieure auch den „hohen Dom zu Köln“ neu ausleuchten.

Am 23. April 1275 nahm Bischof Leo der Thundorfer die Grundsteinlegung des Domes vor, nachdem der Vorgängerbau jeweils 1156, 1172 und 1250 abgebrannt war. Man baute rd. 250 Jahre bis 1520, als es das erste Mal zu einem vorläufigen Abschluss kam. In jenen fernen Zeiten, als das Bauen mit einfachen Werkzeugen unendlich mühselig war, hatte man den langen Atem und die Kraft, solch ungeheure, vieldimensionale Kunstwerke zu erschaffen. Heute können wir mit Stahlbeton nahezu alles überspannen und kommen doch meist über technoide Banalitäten nicht hinaus.

„Letztlich ist die gotische Kathedralarchitektur Abbild der göttlichen Wahrheit: Gleichgewicht, harmonische Proportionen, Schwerelosigkeit, Licht, geleitet von dem Streben nach Erkenntnis, nach Höchstleistung bis an die Grenze (...), um das Ziel zu erreichen“, schreibt der Kunsthistoriker Prof. Günther Binding in seinem großartigen Bildband „Was ist Gotik?“

Die Rettung lag im Beton

Baudirektor Hans Weber und Dombauhüttenmeister Helmut Stuhlfelder begleiten uns hinauf auf die Domtürme. Gut ein Jahr lang ist hier oben noch Baustelle. Danach wird auch der Arbeitssteg zwischen den Türmen abgebaut. Der Blick auf die Altstadt mit seinen roten, intakten Dächern ist exorbitant. Die adretten, sauberen Gassen. Wie gut es Regensburg hat, macht man sich vielleicht zu selten klar.

„Gleichwohl können die Türme niemals für das Publikum geöffnet werden“, erläutert der Dombauhüttenmeister. „Dazu sind die Treppen viel zu schmal, die Durchschlüpfe zu eng und zu niedrig. Sollte jemandem etwas passieren – den kriegten wir von hier oben nicht mehr weg.“ Aber der Turm der Dreieinigkeitskirche ist ja geöffnet. Von dort hat man einen wahren Prachtblick auf dem Dom.

„Der kunstsinnige König Ludwig I. ließ alle barocken Umbauten in der Kirche wieder entfernen“, erläutert Baudirektor Weber. „1859 bis 1869 kamen dann die Turmhelme dazu. 1872 war der Dom – nach mehr als 600 Jahren Bauzeit – vollendet, übrigens acht Jahre vor dem Kölner Dom.“

Aber schon 1914/18 war die erste Sanierung fällig: Die „Krabben“ an den Turmhelmen (die blattartig gerollten Blumen) mussten mühsam abgearbeitet werden. 1954 war der Zustand der Turmhelme so dramatisch, dass man ernsthaft erwog, sie wieder abzutragen! Die Lösung hieß: Beton. Die Segmente wurden, wie an anderen Stellen des Domes auch, erfolgreich in Beton nachgegossen. Das würde man heute nicht mehr machen. Aber es hält noch mindestens weitere 50 Jahre.

Fressen und Gefressenwerden

Turmfalken nisten hier: „Die sind uns lieb. Sie halten die Tauben fern“, sagt Baudirektor Weber. Ganz nach dem Motto: der Feind meines Feindes ist mein Freund. Taubenkot setzt Sand- und Kalkstein gewaltig zu. Ansonsten findet man in diesen schwindelnden Höhen alle Details irdischen Lebens nach dem Prinzip „Fressen und Gefressenwerden“: Taubenskelette, verweste Mäuse und eine abgetrennte Brieftaubenkralle mit Ring. Ob die Botschaft noch zugestellt wurde?

Seit 1923 gibt es die Dombauhütte; die Steinmetze haben unentwegt zu tun. Sie arbeiten ohne Maschinen in höchster handwerklicher Qualität. Die Schadensquote, die im 20. Jahrhundert u. a. durch Hausbrand (Kohle- und Koksheizung), Schwefelabgase und dann den Sauren Regen ihren Höhepunkt hatte, geht zurück. Der komplette nördliche Querhausgiebel – 17 mal 17 Meter, 600 Bauteile – muss erneuert werden. Der Stein kommt aus Essing im Altmühltal. Ganze Figurengruppen sind zerstört und wurden neu geschaffen – darum ging es ja auch im Film „Schwindelnde Höhen“ (2001) mit Ulrike Kriener und Roman Knizka. Alles ist auf Fernwirkung bedacht.

Natürlich hat man sich zusammengeschlossen – zur Europäischen Vereinigung der Dombaumeister, Münsterbaumeister und Hüttenmeister e. V. mit Sitz in Köln. 2010 fand die Jahrestagung in Regensburg statt, heuer trifft man sich im September in Frankfurt am Main rund um den Kaiserdom St. Bartholomäus aus rotem Sandstein.

Der Regensburger Dom gilt als „top in Schuss“, er ist in beneidenswert gutem Zustand. Auch die neue, hängende Orgel, die 2009 geweiht wurde, gilt als Glücksgriff; sie ist die größte freihängende Orgel (Schwalbennestorgel) der Welt. „Sie hängt an vier Stahlseilen aus der Seilbahntechnik“, erläutert Helmut Stuhlfelder. „Aber nur aus ästhetischen Gründen. Eins hätte gereicht für die 36 Tonnen Gewicht.“

Und immer wieder ist der nur teilweise erforschte Dom St. Peter für Überraschungen gut. So arbeitet der Münchner Historiker Dr. Rudolf Reiser an der Entschlüsselung des Bildprogramms – nach Kriterien, die mit dem Mittelalter verloren gegangen sind, vergessen oder ignoriert wurden.