Menschen
Forscher mit Gespür für die Wirtschaft

Professor Dr. Ralf Wagner spricht mit MZ-Autorin Marion Koller über Lebenssinn, Kinder, den Neidfaktor und einen Traum.

22.04.2015 | Stand 16.09.2023, 7:07 Uhr
Dr. Ralf Wagner −Foto: altrofoto.de

Prof. Dr. Ralf Wagner hat vergessen, dass er die MZ-Besucher am Eingang des Uniklinikums, Franz-Josef-Straß-Allee, abholen wollte. Eine Minute nach dem erinnernden Anruf kommt er gelaufen. Für das Foto hat der Mikrobiologe ein Hemd und den Kittel angezogen. Gewöhnlich trägt er T-Shirts, weil er zur Arbeit radelt. Im Schnelldurchgang führt der 52-Jährige durch die gentechnischen Labors und dann in sein kleines, volles Büro. Auf einem Stuhl liegt ein Rucksack, in dem er das Radl-Shirt verstaut hat. Wagner ist gebräunt. An Ostern ist er in den Ötztaler Alpen Skitouren gegangen. Er wirkt gelassen. Dabei wird er am nächsten Tag nach Brüssel fliegen, wo es um Millionen für seine Forschung geht.

Herr Dr. Wagner, wie war der Urlaub?

Das Tourengehen ist in dieser Jahreszeit sehr schön. Man geht früh los. Unten ist es warm und die Krokusse schauen raus, oben am Gletscher ist es knackig kalt. Mit meiner Frau Christine, unserem Jüngsten Georg und der großen Tochter Leonie bin ich zweieinhalb Stunden hochmarschiert, mit Fellen an den Skiern. Auf der Hütte haben wir bei Apfelstrudel und Himbeerschorle die Aussicht genossen.

Die Faszination dieses Sports?

Er hat eine meditative Komponente. Ich laufe vor mich hin und lasse die Gedanken fliegen. Die Sorgen des Alltags bleiben unten. Ich bin sehr bei mir, denke über die großen Dinge nach – und habe manchmal gute Ideen. Der zweite Aspekt ist die Fitness. Es ist ein gutes Gefühl, wenn die Maschine läuft.

Tourengehen erfordert Durchhaltevermögen. Wie motivieren Sie Ihre Kinder?

Es gibt drei Sachen, die Kinder lernen, damit sie halbwegs alltagstauglich sind: Radfahren, Skifahren, Schwimmen. Wir haben nie versucht, die Kinder zu zwingen, sondern haben klein angefangen – auf den bayerischen Vorbergen. Georg geht seit drei Jahren mit. Unsere Kinder sind begeisterte Skifahrer. Wir Eltern können nur Angebote machen. Am Ende müssen die Kinder herausfinden, was ihnen liegt.

Was kann man von den Kindern lernen?

Neugierig sein, unbedarft an Unbekanntes herangehen. Das sind Facetten, die sich auch in einem Wissenschaftler wiederfinden sollten.

Als wir den Termin vereinbart haben, besuchten Sie gerade eine Konferenz in Canada. Welche Themen wurden diskutiert?

Es ging um die Entwicklung eines HIV-Impfstoffs. Wir gehen da hin, um zu hören, was es Neues gibt. Um zu erfahren, was andere Arbeitsgruppen herausgefunden haben. Das ist ein internationales Geschäft. Forschergruppen finden sich zu Konsortien zusammen. Wir haben uns mit den Partnern unseres Konsortiums besprochen. Dazu gehören Arbeitsgruppen aus Paris, London, Madrid, Barcelona und New York. Jede stellt einen Puzzlestein dar. Wir sind diejenigen, die den Impfstoff entwickeln. Beteiligt sind die Bill & Melinda Gates Stiftung, Sanofi, Novartis und das HIV Vaccine Trial Network, die größte, öffentlich geförderte Kooperation zum Thema HIV-Impfstoff.

Wie weit ist der Impfstoff?

In der Phase zwei, klinische Studien. Er wird getestet an 150 gesunden Freiwilligen aus Lausanne, Paris und den USA. Die Kollegen beobachten, ob das Immunsystem durch den Impfstoff so stimuliert wird, dass ein Infektionsschutz entstehen kann. Danach folgt Phase drei, die Wirksamkeitstestung. Das kann ich nur in Gegenden machen, wo die Menschen ein hohes Risiko haben, etwa in Afrika.

40 Millionen Menschen leben mit Aids.

Ja, in Deutschland hat jeder Zugang zu einer hochpotenten Tablettentherapie. In den armen Ländern sind es nur 30 Prozent. Es ist allgemein akzeptiert, dass mit einem Impfstoff HIV unter Kontrolle gebracht werden kann.

Sie müssen Ihre Tätigkeit sehr lieben. Nach dem finanziell höchst attraktiven Verkauf der von Ihnen gegründeten Firma Geneart 2010 könnten Sie als Privatier leben.

(Lacht) Das ist relativ. Ab wann kann man aufhören, zu arbeiten? Das Forschen macht mir Freude. Jeden Tag Dinge sehen, die neu sind und die möglicherweise niemand vorher gesehen hat. Das ist so ein bisschen wie eine Erstbesteigung. Ich versuche, Produkte zu entwickeln, die unmittelbaren Nutzen bringen, die gesellschaftlichen Einfluss ausüben. Da sind wir mit der Antibiotika- und der HIV-Forschung dabei. Und mit der Geneart-Gründung. Viele junge Kollegen kriegen dort jeden Monat ihren Scheck.

Man braucht große Beharrlichkeit.

Ja, in der Wissenschaft braucht man Stehvermögen, Konstanz, Begeisterung. Und da sind wir wieder beim Sport. Auch dabei benötigt man Beharrlichkeit.

2010, als die Geneart-Aktien verkauft wurden, haben die Banken um Sie gebuhlt. Wie haben Sie es geschafft, auf dem Teppich zu bleiben?

Ich habe eine sehr liebe Frau, die mir den Kopf gerade rückt. Ich habe sehr liebe Kinder, die mich kritisieren. Ich habe am Institut ein sehr nettes Umfeld, das Normalität widerspiegelt. Es gab eine Zeit, die war gespenstisch (schmunzelt). Da bin ich in der Limousine durch London gefahren und habe Banken Aktien für ihre Life Science Fonds verkauft. Am nächsten Tag saß ich wieder im Regensburger Büro und habe mir die Detailprobleme meines Diplomanden angeguckt. Das ist sehr erdend. Eine Neiddebatte möchte ich unbedingt vermeiden.

Es wird kolportiert, dass Sie an einer weiteren Firmengründung arbeiten.

Nein, das ist so nicht korrekt. Ich begleite aber als Business Coach das Projekt CampoNeuro Pharma des Lehrstuhls von Prof. Dr. Ulrich Bogdahn, damit nach drei Jahren eine Ausgründung aus der Universität stattfinden kann. Es geht um Therapeutika für neurodegenerative Erkrankungen wie ALS. Und ich wirke als Gesellschafter im Aufsichtsorgan von Lophius Biosciences mit, das ist eine Ausgründung aus unserem Institut. So versuche ich, mit dem, was ich bei Geneart gelernt habe, zu helfen.

Welchen Traum möchten Sie sich erfüllen?

Ich möchte mit 80 so fit sein wie mein Vater. Der radelt gerade in Mallorca Pässe rauf und runter.

Die Rahmenbedingungen für die Wissenschaft stehen in der Kritik.

Ich würde mir wünschen, dass der akademische Mittelbau besser finanziert wird. Meinen Postdoktoranden würde ich gerne eine Perspektive anbieten. Das ist aber nicht möglich. Der akademische Mittelbau schrumpft. Die Frage für junge Leute ist: Bin ich bereit, das Risiko des Scheiterns auf mich zu nehmen, mit 40 immer noch keine Professur zu haben. Oder wechsle ich in die Industrie. Bei den Gehältern hat sich im Vergleich zur Industrie eine Asymmetrie eingeschlichen. Leider gehen viele.

Herrscht in Regensburg ein kreatives Klima?

Ich finde, Regensburg hat eine sehr schöne Balance gefunden zwischen der Förderung des Unternehmertums und dem Erhalt des Charmes.

Glauben Sie als Wissenschaftler, der künstliche Gene produziert, an Gott?

Ich habe Schwierigkeiten, an den einen Gott zu glauben. Wenn man sich die Weltreligionen anschaut, stellt man sich die Frage, ob das nicht vom Menschen geschaffene Konstrukte sind. Und als Wissenschaftler tendiere ich schon dazu, für die Dinge, die ich sehe, eine natürliche Erklärung zu finden. Man läuft Gefahr, alles auf die molekulare Ebene zu reduzieren, aber das möchte ich nicht. Ich schließe nicht aus, dass es etwas Höheres gibt.

Hat das Leben einen Sinn?

Ja, zum einen evolutionär, dass man sich sozusagen weitergibt in die nächste Generation. Im übertragenen Sinne, weil man in den eigenen Kindern und auch den Studenten Ideale tradiert. Und weil wir idealerweise Rahmenbedingungen zurücklassen, die eine vergleichbare Lebensqualität ermöglichen.

Sie hören gerne Dixie. Warum?

Ich bin bei der Münchner Waldwirtschaft aufgewachsen. Da habe ich beim Einschlafen Dixie gehört. Das war prägend.

Morgen fliegen Sie zur EU nach Brüssel, wo Sie sich für Forschungsgelder beworben haben.

Die besten zwei Projekte wurden eingeladen. Es geht um 20 bis 30 Millionen Euro. Ich kann nur so viel forschen, wie ich öffentliche Fördergelder einnehme.