Tschernobyl-Jahrtag
GAU in Ohu: Was wäre dann in Regensburg?

Bei einem Unfall im Akw Isar II würden Regensburg und der Landkreis nicht evakuiert, müssten aber 6800 Evakuierte aufnehmen.

26.04.2016 | Stand 16.09.2023, 6:51 Uhr

Der Kühlturm des Atomkraftwerks Isar 2 ist in Niederaichbach zwischen Wohnhäusern zu sehen. Der Atommeiler ist Luftlinie 45,2 Kilometer von Regensburg entfernt. Foto: dpa

Die Wolke von Tschernobyl kam aus 1304 Kilometer (Luftlinie) Entfernung nach Regensburg. Das tschechische Atomkraftwerk Temelin ist 165 Kilometer nah. Und nach Ohu, wo der Kühlturm des AKW Isar 2 qualmt, sind es schnurstracks gerade mal 45 Kilometer. Isar 2 ist übrigens ein mächtiger Reaktor und gehört zu den fünf leistungsfähigsten Atomkraftwerken weltweit. Atomare Gefahren sind also nicht aus der Welt und so sei die Frage gestattet: Was wäre eigentlich, wenn … ?

Die vielfach durchgespielten Notfall-Szenarien beziehen sich auf einen angenommenen kerntechnischen Unfall im nahe gelegenen Atomkraftwerk Ohu. Sollte dort ein größerer Unfall passieren, hätte man mit Sicherheit ein paar Stunden Vorlaufzeit, versichert Johannes Buchhauser, Leiter des Amts für Brand- und Katastrophenschutz der Stadt Regensburg. Denn ein Unfall in einem Reaktor kündigt sich an, er passiert nicht aus heiterem Himmel. Und diese Vorlaufzeit gelte es zu nutzen.

Regensburg würde nicht evakuiert

Ein Heulton von einer Minute, auf und abschwellend, würde die Bevölkerung warnen. Am vergangenen Mittwoch war zu hören. Eine Sirenenprobe. Haben Sie ihn gehört? Und zum nächsten Radio gegriffen? Dort oder auch auf derInternet-Seite der MZwürden man erfahren, was Sache ist und was zu tun ist.

Die wahrscheinlich gute Nachricht: Regensburg müsste nicht evakuiert werden. „Das wäre höchstgradig unwahrscheinlich“, sagt der Chef des Berufsfeuerwehr, der übrigens auch Dipl.-Physiker ist. Die möglicherweise schlechte Nachricht: Ein ungünstiger Wind würde die gas- und staubförmige Fracht schnell Richtung Regensburg wehen. Auch im schlimmsten Fall gingen die Krisenstäbe bislang davon aus, dass eine Evakuierung der Bevölkerung nur in einem Umkreis von maximal 20 Kilometer um das Atomkraftwerk nötig würde. Fukushima hat die Krisenmanager gelehrt, diesen Radius auf 25 Kilometer zu erweitern. Schierling wäre von Ohu aus gesehen knapp außerhalb der maximalen Evakuierungs-Zone.

Die Regensburger müssten also nicht weg, aber dafür kämen andere: all die Menschen, die näher um den Atommeiler wohnen. Die Evakuierung der Dörfer und die Zuteilung dieser Menschen in andere Regionen ist in den Plänen der Krisenstäbe geregelt. Regensburg müsste 3000 Evakuierte aufnehmen, sagt Johannes Buchhauser. Und auf den Landkreis kämen 3800 Menschen zu, sagt Stefan Stelzer, Leiter der Abteilung für öffentliche Sicherheit und Ordnung am Landratsamt. Die Evakuierten kämen zunächst in Turnhallen unter.

Angenommen: In Ohu ist der Teufel los

Also mal durchgespielt: Im Atommeiler Isar 2 ist der Teufel los. Die Reaktorfahrer müssen in großem Umfang radioaktiven Dampf ablassen, um eine Druckentlastung zu erreichen und ein Bersten des Meilers zu vermeiden.

Erste Informationen über einen bevorstehenden kerntechnischen Unfall erreichen den radiologischen Krisenstab des Bayerischen Umweltministeriums. Von dort aus wird weiter informiert. Während im Krisenstab in München mit ersten Erkenntnissen über Strahlenaktivität und Wettersituation durchgerechnet wird, wie sich die Situation entwickeln wird, kommt in Regensburg der Krisenstab der Stadt unter der Rettungsleitstelle zusammen. „In zehn Minuten sind wir arbeitsfähig, in etwa 30 Minuten komplett“, sagt Johannes Buchhauser. 30 bis 40 Fachleute aus allen möglichen Behörden und Bereichen inklusive der Polizei sind nun vor Ort. Gleiches passiert beim Krisenstab des Landkreises im Keller des Landratsamts.

Sirenen heulen und es gibt erste Informationen für die Bevölkerung. Es gilt, so wenig wie möglich mit ionisierenden Partikeln in Berührung zu kommen. Also: in geschlossenen Räumen bleiben, Fenster schließen, Klimaanlagen ausschalten. Äußerliche Partikel kann man abwaschen, das Inkorporieren (einatmen, essen oder trinken) wäre schlimmer, sagt Buchhauser. Falls bei dem Reaktorunfall radioaktives Jod freigesetzt wurde, muss die Schilddrüse mit einer Jodsättigung davor bewahrt werden, es aufzunehmen. Die Feuerwehren würden bereits nach einigen Stunden an alle bis 45 Jahre Jodtabletten verteilen, ebenso die Apotheken. Im Notfall gibt es genug für ganz Bayern. Über die Medien würde informiert, wann und wie viele Jodtabletten eingenommen werden sollen.

Bevor Betroffene evakuiert werden, müssen sie zur eigenen Sicherheit und auch der der Helfer auf Radioaktivität untersucht und gegebenenfalls dekontaminiert werden. Das heißt: Entkleiden, duschen, frische Kleidung anziehen. Bayernweit gibt es 20 Dekontaminierungszentren, die schnell vor Ort eingerichtet werden könnten. Dann könnte, falls nötig, eine Evakuierung anlaufen. Dazu werden Busunternehmen rekrutiert, die Fahrzeuge zur Verfügung stellen. Würde es akzeptiert, wenn sich Anwohner nicht evakuieren lassen? Sie würden notfalls mit sanftem Druck überzeugt, mitzukommen, sagt der Chef der Berufsfeuerwehr. Wer sich allerdings versteckt und partout nicht evakuieren lässt, dem wird das wohl gelingen.

Lesen Sie mehr: Nach der Katastrophe von Tschernobyl änderte sich vieles.MZ-Redakteure erinnern sich.

Wäre Verkehrschaos zu verhindern?

Im Fall einer angeordneten Evakuierung würden sich wahrscheinlich viele Menschen im eigenen Pkw auf den Weg machen. Das könnte schnell zum Verkehrschaos führen. Dann ist es Sache der Polizei, Plätze und Straßen für Busse freizuhalten und Evakuierungsbusse zu geleiten. In welchem Umfang das gelingen kann, würde man aber wohl erst hinterher wissen, meint der Feuerwehrchef.

Die theoretischen Planspiele könnten darüber keine Auskunft geben. Ähnlich sieht das auch Albert Brück, Sprecher des Polizeipräsidiums der Oberpfalz. Individualverkehr könnte man in einer solchen Situation kaum verhindern. Ein Fahrverbot würde wohl keine durchschlagende Wirkung zeigen. Und wie schnell selbst kleine Unfälle zu langen Staus oder gar einem Zusammenbrechen des Verkehrs führen, könne man gerade im Raum Regensburg nahezu wöchentlich erleben. „Massenlenkungsmaßnahmen sind unwägbar“ sagt Albert Brück. Andererseits erinnert er daran, wie gut Evakuierungsmaßnahmen im vergangenen Jahr bei mehreren Bombenfunden geklappt haben.

Wenn sich also der Landshuter Bürger ins Auto setzt und zu seinem Bruder nach Regensburg fährt? In einem solchen Fall würden Ankommende gebeten, sich bei eilends eingerichteten Meldestellen anzukündigen, sagt der Leiter des Amts für Brand- und Katastrophenschutz. Ohne eine eventuell nötige Dekontaminierung würde er unter Umständen ionisierende Partikel mitbringen und so auch seine Helfer gefährden. Und genau das soll ja verhindert werden: radioaktive Stäube sollen möglichst nicht aus dem Katastrophengebiet exportiert werden.

Die Zahl der Helfer in Stadt und Landkreis wäre stattlich. Die Feuerwehren im Landkreis verfügen über 7003 Aktive, weiß Stefan Stelzer zu berichten. In der Stadt sind neben 150 Frauen und Männern der Berufsfeuerwehr rund 500 Einsatzkräfte der Freiwilligen Feuerwehren verfügbar.

Bei einem schweren Unfall in Ohu glaubt Johannes Buchhauser allerdings, dass die Regensburger Berufsfeuerwehr schnell der Ruf erreichen würde, in der Katastrophenzone mitzuhelfen. „Davon würde ich ausgehen“, sagt der Feuerwehrchef.

Umweltradioaktivität in Bayern im Vergleich

- Messzeitraum 1.5. bis 2.6.1986: In den ersten zwei Wochen nach Durchzug der radioaktiven Wolke von Tschernobyl (Vom Bayerischen Landesamt für Umwelt erhobene Daten; 484 Einzelwerte)

- Messzeitraum 19.9 bis 18.11.2003: Siebzehneinhalb Jahre nach der Reaktorkatastrophe (Von Umweltingenieuren der Kreisverwaltungsbehörden erhobene Daten; 1186 Einzelwerte)

Über den Slider in der Mitte kann man sich die beiden Karten von 1986 und 2003 im Vergleich ansehen.

Mehr zum Thema:

Am 26. April 1986 ereignete sich in Tschernobyl einer der schwersten Atomkatastrophen der Geschichte.Sämtliche Informationen zum Thema finden Sie in unserem Spezial.

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