Asyl
Geheimer Plausch mit der AfD-Chefin

CSU-Mann Ataman lud Frauke Petry zum Asyl-Gespräch nach Regensburg, um ihr zuzustimmen und die eigene Partei zu verärgern.

02.10.2015 | Stand 16.09.2023, 6:57 Uhr
Bora Ataman (links, CSU) lud ein und die AfD-Chefin kam: Frauke Petry war am Freitag in Regensburg und teilte einmal mehr gegen „Wirtschaftsmigranten“ und Bundesregierung aus. −Foto: Durain

Bora Ataman ist nervös; im Vereinsheim des SC Regensburg läuft er die holzvertäfelten Flure auf und ab. Draußen stehen die Polizei, ein Bodyguard und ein Staatsschützer. Aber daran liegt es nicht. Der kleine, bullige Mann mit Hemd, Jeans und Lederjacke wartet auf Besuch aus Sachsen. Und der kann Konsequenzen für ihn haben. Aber davon will Ataman jetzt nichts wissen. Der gebürtige Türke und Moslem war einst Integrationsbeauftragter der Domstadt – doch dieses Amt hatte er nur kurz inne. Der 41-Jährige wurde 2012 so schnell von der eigenen Partei, der CSU, wieder geschasst, wie er den Posten damals bekam. Ataman ist aber auch drei Jahre später noch Mitglied der Christsozialen. Die Frage wird in zwei Stunden nur sein: Wie lange noch?

Atamans Besuch ist umstritten – nicht nur in der eigenen Partei. Er hat eine Politikerin eingeladen, die erst vor wenigen Monaten den eigenen Parteigründer vom Thron stürzte und nun daran arbeitet, dass die „Alternative für Deutschland“ nicht im politischen Abseits verschwindet: Dr. Frauke Petry. Sie soll mit Ataman im Stüberl zwischen Pokalen und Trophäen der Schützenabteilung vor laufender Kamera über Asyl- und Flüchtlingspolitik plauschen. Ataman hat sie eingeladen, sagt er, weil er von ihrem Standpunkt in der Asylpolitik in weiten Teilen überzeugt sei. Das habe nichts mit links oder rechts zu tun, man müsse auch unangenehme Wahrheiten anpacken, anders als es die Kanzlerin gerade tue. Petry sei „die einzige, die wirklichen dagegen rudert“. Und das müsse auch gesagt werden dürfen. Die Kommunen in Bayern seien völlig überlastet und so könne es nicht weitergehen.

Er habe ein Konzept entwickelt, dass er dem Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer und Kardinal Reinhard Marx, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, geschickt habe, wie sich die Kirchen in der Flüchtlingskrise engagieren könnten. Darum habe man ihn schließlich gebeten. Atamans Nervosität dauert derweil an, immer wieder schaut er aufs Telefon. Nach 45 Minuten ist Petry immer noch nicht da. Sie habe sich wohl verfahren, berichtet er den wenigen Journalisten, die von dem Termin überhaupt wussten. Alles geheim. Doch dann rollt endlich ein weißer BMW durch das Regensburger Kasernenviertel – die Parteivorsitzende fährt selbst, ohne Begleitung.

„Die AfD verkommt zum Pegida-Zwilling“

Dann, fast mit einer Stunde Verspätung, geht es los: Petry nimmt Platz, schenkt sich und ihrem Nachbarn Wasser ein, sie wirkt entspannt, lächelt und ist durchaus charmant – bis sie verbal austeilt. Für sie ist das eine Steilvorlage, im CSU-Lager zu fischen. Offiziell ist sie aber in Bayern, weil am Wochenende der Landesparteitag der AfD Bayern stattfindet und sie am Tag der Deutschen Einheit eine Rede hält.

Die AfD hat nach eigenen Angaben derzeit 18 468 Mitglieder und Förderer. Sie hatte im vergangenen Sommer Tausende von Mitgliedern verloren, nachdem Parteigründer Bernd Lucke und weitere Angehörige des liberal-konservativen Flügels die Partei verlassen hatten. Dieser Schwund konnte durch Eintritte neuer Mitglieder noch nicht komplett ausgeglichen werden. Parteigründer Bernd Lucke hatte seinen Austritt mit einem „Rechtsruck“ der AfD begründet, den Petry bestreitet. „Unter Petry verkommt die AfD zum Pegida-Zwilling“, sagte Lucke am Donnerstag.

Aber das kommt bei vielen an: Die AfD liegt in einer neuen Forsa-Umfrage erstmals seit dem Frühjahr – und damit der Machtübernahme des rechten Flügels – bundesweit bei fünf Prozent. Die Ursache: Die AfD hat in Ostdeutschland zugelegt – und in Bayern, wie die Demoskopen ermittelt haben. Und das liegt für Forsa auch an der Flüchtlingskrise.

Hat Seehofer die AfD stark gemacht?

Denn der Protest gegen Zuwanderung ist momentan Hauptanliegen der AfD. Forsa-Chef Manfred Güllner gibt aber CSU-Chef Horst Seehofer die Schuld: „Mit seinen Attacken gegen Kanzlerin Angela Merkel und ihre Flüchtlingspolitik hat der bayerische CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer offenbar die Ausländerfeindlichkeit, und damit das Kernthema der AfD, wieder salonfähig gemacht.“

Seehofer wies diese Sätze entschieden zurück. Er warnt seit Monaten, das Thema Flüchtlinge könne die „Parteienstatik“ der deutschen Politik verändern und zum Erstarken von Rechtspopulisten führen – und zwar dann, wenn eine Mehrheit der Bürger den Eindruck habe, dass die Politiker sie mit ihren Sorgen allein lassen. Nach eigenem Empfinden verleiht Seehofer mit seinem Widerstand gegen die Linie der Kanzlerin den Sorgen der Bürger Ausdruck. Im Falle der Flüchtlinge sind viele Bürger zweifelsohne besorgt. Rechts der Union dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben, so der Lehrsatz. Das bedeutet faktisch, dass der rechte Flügel der Union so weit am Rand stehen darf, dass noch weiter rechts dann schon rechtsextrem wäre. Der von der CSU so gern zitierte „Klartext“ in der Flüchtlingspolitik stärkt in dieser Sicht nicht Rechtspopulisten, sondern hält sie in Schach.

Frauke Petry kann das egal sein. Sie sagt im Schützenstüberl: „Es freut mich zu hören, dass CSU-Mitglieder öffentlich AfD-Positionen vertreten.“ Ataman hatte das zuvor mehrfach getan – und wird es am Freitag immer wieder tun. Petry will noch mehr Vertreter der CSU ermutigen, „das auszusprechen, was die Bürger auf der Straße längst wissen.“ Die AfD-Frontfrau nutzt sogleich das Podium, das Ataman ihr bietet: Die Hälfte der Deutschen sei mit der Asylpolitik unzufrieden, das zeige einen erheblichen Umschwung in der Bevölkerung. Bundesinnenminister Thomas de Maizière unterstellt sie eine „Politik des Schwindels und der Verdummung“, weil er zwar Grenzkontrollen eingeführt habe, per Ministererlass aber dennoch Menschen ohne Pass in Erstaufnahmeeinrichtungen unterbringe. Der Bundesregierung wirft sie „Staatliche Anarchie“ vor, weil auch abgelehnte Asylbewerber kaum abgeschoben werden würden. Und wer annehme, Deutschlands Aufnahmekapazität sei unendlich, „setzt den öffentlichen Frieden aufs Spiel.“ Dazu sei Deutschland durch Waffenexporte an der Situation in Libyen oder Syrien wenigstens mittelbar beteiligt.

Petry fordert Aufnahmestopp

Natürlich sei die AfD für rechtsstaatliche Asylverfahren, nur werde das Asylrecht derzeit massiv durch „Wirtschaftsmigranten“ missbraucht, auch weil das Sozialsystem zu viele Anreize schaffe. Das sei in keinem anderen Land Europas so. Asylanträge aus „gewissen Ländern“ sollten nicht mehr gestellt werden können. „Der Bevölkerung wird vorgegaukelt, es gebe ausreichend Betreuungspersonal.“ Dabei sei die Verwaltung in ganz Deutschland, auch in Bayern, überfordert. Ein „Aufnahmestopp“ sei jetzt dringend notwendig. Sie hoffe, dass sich die Politiker besinnen und auf eine „Koalition der Vernünftigen“.

Und Ataman ist davon überzeugt, vernünftig zu sein. „Die Frage ist, ob dieses System so weitergehen kann oder nicht? Ich sage nicht.“ Und die Bürger verstünden das alles schon längst nicht mehr. Nach konkreten Probleme in Regensburg gefragt, antwortet Ataman ausweichend. Schnell spricht er lieber über die Türkei, in der Millionen in Lagern festsäßen. Was er aber tatsächlich sagen will, geht in seinen Ausschweifungen unter. Er verweist auf sein Konzept, in dem aber auch nicht viel steht. Man könne nicht alle Probleme hier lösen, sondern man müsse die Fluchtursachen vor Ort bekämpfen. „Wenn wir nicht schnell was ändern, werden wir in zwei, drei Jahren massive Probleme haben – auch wegen der Religionsfrage. Zuschauen bringt nichts. Manchen ist nicht bewusst, um was es hier wirklich geht.“ Er versichert, Petrys Punkte mit der CSU-Landesleitung zu besprechen.

„Ich lege ihm einen Austritt nahe“

Ataman glaubt nicht, dass er wegen dieser Pressekonferenz, auf der Journalisten nur wenige Fragen stellen dürfen, Ärger mit den eigenen Leuten bekomme. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die CSU mich raushaben will.“ Er verweist dazu auf angebliche lokalpolitische Erfolge wie Stadtpass oder dass dank ihm eine Integrationsstelle bei Stadt geschaffen worden sei. Zudem sei er ja auch in den Arbeitskreis Integration und Migration der CSU eingeladen worden. Aber sollte er dennoch Ärger bekommen, „habe ich kein Problem damit, auch in die AfD einzutreten“. Rückendeckung bekommt er von Petry: „Es wäre ein Armutszeugnis für die CSU, sollte es deswegen zu einem Parteiausschlussverfahren kommen.“

Nach nicht mal 20 Minuten wird die Fragerunde für beendet erklärt; Frau Petry hat ja noch viele Termine. Ataman verspricht, als er die Reporter nach draußen begleitet, dass Petry bald wiederkommen wird. Das habe sie ihm zugesagt.

In Regensburg galt Bora Ataman schon vor dem Treffen der Parteispitze als Ärgernis. Das bestätigt sich auch am Freitag wieder. Der Kreisvorsitzende der CSU, Dr. Franz Rieger, weiß, dass dieses Schauspiel im Kasernenviertel nicht für einen Parteiausschluss reicht. Aber er betont gegenüber der MZ, Ataman habe weder Amt noch Funktion bei der CSU inne und keinerlei Legitimation für diese zu sprechen. Rieger wird deutlich: „Wenn Ataman wirklich die AfD-Haltung vertritt, lege ich ihm nahe, auszutreten.“

Mit Material von dpa.

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