Interview
„Intelligent, sauber und nachhaltig“

MZ-Redakteur Norbert Lösch sprach Wolfgang Hageleit, Konzernchef der Forever Green Gruppe (FG), über die Geothermie und Widerstände dagegen.

15.06.2014 | Stand 16.09.2023, 7:10 Uhr

Wolfgang Hageleit Foto: FG

Wolfgang Hageleit ist Konzernchef der Forever Green Gruppe (FG), die 2012 im ehemaligen Kulturspeicher einige wesentliche Unternehmensteile in Regensburg angesiedelt hat. Der schwäbische Kaufmann (Ulm) setzt voll auf regenerative Energien und speziell mit dem Unternehmensteil Geokraftwerke.de auf die Wärme- und Stromgewinnung aus Thermalwasser. MZ-Redakteur Norbert Lösch sprach mit dem Unternehmer unter anderem über die Bedeutung von Geothermie und manche Widerstände dagegen.

Warum hat die Tiefen-Geothermie – verglichen mit Fotovoltaik, Wasser- und Windkraft – kein besonders gutes Standing und auch keine große politische Lobby?

Wolfgang Hageleit: „Sie sagen es – und es ist auch nicht logisch nachvollziehbar. Geothermiekraftwerke erreichen im Schnitt 8300 Volllaststunden pro Jahr. Ein 2003 vom Bundestag in Auftrag gegebenes Gutachten über die Möglichkeiten geothermischer Stromerzeugung in Deutschland stellt ein technisches Potenzial des 600-fachen des deutschen Strombedarfs und des 1500-fachen des deutschen Wärmebedarfs fest. Das beweist, dass die Geothermie in ihrer Verfügbarkeit alle anderen regenerativen Energiequellen zur Stromerzeugung übertrifft. Windenergieanlagen erreichen mit 1550 Volllaststunden nur etwa 20 Prozent der Verfügbarkeit geothermischer Anlagen, die Sonnenenergie liegt mit lediglich 910 Volllaststunden pro Jahr weit dahinter. Somit stellen Wind und Photovoltaik keine zuverlässigen Alternativen dar. Und bei der Wasserkraft sind die Potenziale im wesentlichen ausgeschöpft. Geothermie-Kraftwerke sind im Gegensatz dazu aufgrund ihrer Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit optimal zur Grundlastsicherung der Stromnetze einsetzbar. Sie sind für die angestrebte Energiewende in Deutschland unerlässlich. Es kann nicht sein, dass wir neue Kohlekraftwerke bauen, die einerseits wertvolle Ressourcen für immer verbrennen, und andererseits gegen die klimapolitischen Ziele Deutschlands laufen. Man kann diese Leistung auch sauber und nachhaltig mit Geothermie zur Verfügung stellen.“

Das Geokraftwerke-Pilotprojekt Kirchweidach ist auf einem guten Weg. In der 2200-Einwohner-Gemeinde bei Altötting ziehen offenbar alle an einem Strang: Die Gemeinde lässt Sie nicht nur Ihr Kraftwerk bauen, sondern baut selbst ein Fernwärmenetz für 15 Millionen Euro, und ein großer Gemüse-Anbauer nutzt die Erdwärme bereits für seine riesigen Gewächshäuser. Ein Glücksfall, oder sind solche Synergien jederzeit auch anderswo denkbar?

„Die Landtagsabgeordnete Ingrid Heckner (CSU) sagte im April 2013 beim Spatenstich für das Gewächshaus: ,Ein bundesweit einmaliges Projekt’ in der Kombination von Stromerzeugung aus Geothermie und der gleichzeitigen Nutzung der Restwärme. Deshalb könne man ,durchaus von einem Kirchweidacher Modell sprechen’, das hoffentlich beispielgebend sein werde. Frau Heckner hat das offensichtlich richtig eingeschätzt, denn mittlerweile haben sich bei uns mehrere Gemüseproduzenten gemeldet, die an den Standorten der weiteren Kraftwerksprojekte der Forever Green Gruppe ähnliche Konzepte mit regionaler Erzeugung von Gemüse, beheizt durch Geothermie, umsetzen wollen. Das Einsparpotenzial beim CO-Ausstoß und natürlich auch bei den Transportwegen ist erheblich. Alleine in der Wärmenutzung spart das Gewächshaus in Kirchweidach durch die Geothermie etwa 4,2 Millionen Liter Heizöl und damit etwa 8,4 Millionen Tonnen CO im Vergleich zu Heizöl. Zusätzlich fallen etwa 1,1 Millionen Transport-Kilometer weg, wenn man die gleiche Tomatenmenge mit dem Lkw aus Spanien nach Deutschland holen würde.“

Umweltschützer üben mitunter Kritik an Geothermie-Projekten. In Bernried beispielsweise moniert der Bund Naturschutz unter anderem den aus seiner Sicht geringen Wirkungsgrad des Kraftwerks bei der Stromerzeugung von unter 10 Prozent, die fehlende Nachhaltigkeit wegen eines nach wenigen Jahrzehnten erschöpften Wärmepotenzials im Untergrund und die Absicht, Strom aus dem heißen Wasser zu erzeugen, statt es direkt zur Fernwärmeversorgung zu benutzen. Was sagen Sie zu solchen Argumenten?

„Das sind klassische Negativargumente, die die Bernrieder Ortsgruppe des Bund Naturschutz vermutlich von irgendjemandem übernommen hat. Auf der Homepage des BUND e.V. liest sich das ganz anders. Die Dachorganisation der beiden Verbände spricht sich gerade wegen der umweltschonenden Eigenschaften sehr deutlich für die Geothermie als Alternative zu Atom und Kohle aus. Der technische Wirkungsgrad spielt eine absolut untergeordnete Rolle, wenn der Energieträger kostenlos und praktisch in unbegrenzter Menge zur Verfügung steht und die Energie nicht nur CO-neutral, sondern CO-frei erzeugt werden kann. Wer sich hier am Wirkungsgrad stört, der müsste sofort sein Auto stehen lassen, denn dort fährt der einzelne Mensch mit einem Wirkungsgrad von einem Prozent durch die Gegend. Moderne Gaskraftwerke werden immer wieder für ihren Wirkungsgrad von bis zu 60 Prozent gerühmt. Dennoch verbrennen sie Gas, es entsteht CO und wir müssen fast 90 Prozent des Erdgases importieren. Geothermie ist übrigens keine Erfindung der Neuzeit. Das älteste Geothermie-Kraftwerk der Welt in Larderello (Toskana) speist seit mittlerweile 101 Jahren Strom ein. Die Stadt San Francisco wird seit 50 Jahren im Wesentlichen mit Geothermie-Strom versorgt und die ältesten geothermischen Anlagen in Deutschland laufen mittlerweile auch bereits seit 30 Jahren. Nicht zu vergessen unsere etwa 150 Thermalbäder, von denen die ältesten seit etwa 500 Jahren in Betrieb sind. Die Tiefen-Geothermie ist die intelligenteste und sauberste Form der Energieerzeugung, da durch gleichzeitige Produktion von Strom und Wärme große Synergieeffekte entstehen. Und wer die Energiewende nicht nur zur Stromwende abstempelt, der weiß, dass wir einen erheblichen Bedarf an Strom und Wärme aus Erneuerbaren haben, wenn wir Atom und Kohle ersetzen wollen. Unser Projekt in Kirchweidach beweist, dass die beiden Nutzungsarten nicht konkurrierend, sondern ergänzend eingesetzt werden können.“

Andere Länder, allen voran die USA, aber etwa auch Island, sind bei der Nutzung von heißem Wasser aus der Tiefe zur Energiegewinnung schon viel weiter. Gerade Bayern hat laut dem Geothermie-Atlas ebenfalls ein großes Potenzial – wird es in den nächsten Jahrzehnten auch entsprechend genutzt?

„Von den 27 laufenden Geothermie-Anlagen stehen 17 in Bayern, 16 davon in Südostbayern. Das liegt daran, dass Südostbayern mit dem Molassebecken die besten geologischen Verhältnisse in Deutschland aufweist. Auch von den zehn aktuell im Bau befindlichen Projekten liegen sechs in Bayern und bei den 37 geplanten Kraftwerken hat Bayern mit 15 den größten Anteil, wobei in dieser Liste noch gar nicht alle unsere Projekte veröffentlicht sind. Mit diesem Hintergrund ist es nicht zu verstehen, dass sowohl die KfW als auch deutsche Versicherungsgesellschaften umfangreiche Investitionen in ausländische Geothermie-Projekte stecken und hier in Deutschland recht lustlos an die Sache heran gehen.“