Gesundheit
„Klosterfrau“ grub Karmeliten Wasser ab

Sr. Clementine, die Erfinderin des Melissengeists, ist entmystifiziert. „Schuld“ daran war ein Regensburger Doktorarbeit.

04.08.2015 | Stand 16.09.2023, 7:03 Uhr
Helmut Wanner
Seit 1721 zum Wohl der Menschen: Frater Meinrad präsentiert vor dem Karmelitenkloster am Alten Kornmarkt das von Pater Ulrich Eberskirch erfundene Original. −Foto: altrofoto.de

Am Samstag, 18. Juli, um die Mittagsstunde wurde Pater Wilfried Walbrun vom Orden der unbeschuhten Karmeliten zu Grabe getragen. Provinzial Dr. Ulrich Dobhan führte Karmeliten aus München, Nürnberg und Regensburg an, die dem Sarg des letzten Geistpaters folgten.

Der geweihte Priester und geprüfte Brennmeister fand seine letzte Ruhe in der Karmelitengruft unterm Hochaltar. Der 81-Jährige war der letzte in der langen Reihe der Geistpatres seit Ulrich Eberskirch. Der erfand 1721 den „Echten Regensburger Karmelitengeist“. Nun sind Fratres für das Produkt zuständig.

Die Wahrheit kam ans Krankenbett

Auf dem Krankenbett hat man Pater Wilfried im Frühjahr noch die Doktorarbeit gezeigt, in der der Kölner Jurist Helmut Heckelmann (77) auf über 330 Seiten die Lebenswunde der Karmeliter beschrieben und ausgeleuchtet hat. Ausgerechnet die „Klosterfrau“ aus Köln hatte sie ihnen geschlagen, damals in der napoleonischen Zeit, als man die Klöster auflöste. Die Rede ist von der ehemaligen Annuntiatin Maria Clementine Martin (1775 bis 1843).

Heckelmann erinnert sich: „Wir hatten zwar nur brieflichen Kontakt und telefonierten gelegentlich“. Der Kölner hat den Mann aus Rötz „als total freundlich und hilfsbereit“ in Erinnerung. Er sei zuletzt „spürbar krank“ gewesen. Aber Dr. Heckelmann hofft, dass es ihm noch einen Funken Freude gespendet hat, zu sehen, dass die Wahrheit ans Licht gekommen ist.

Die Wahrheit nach Heckelmann ist: Maria Clementine Martin hatte durch den Zusatz Klosterfrau in den Firmennamen und das geschickte Marketing des Melissengeistes als einer mittelalterlichen Klostermedizin den Regensburger Karmelitengeist bis zur Bedeutungslosigkeit marginalisiert. Das Produkt aus Regensburg war, bis die Klosterfrau kam, in Köln und den rheinischen Provinzen sehr beliebt gewesen.

Doktorarbeit – ein Wirtschaftskrimi

Mit seinen biografischen Forschungen zu „MCM“, wie er die deutsche Geschäftsfrau vom Range einer Käthe Kruse, Melitta Benz und Margarete Steiff nennt, wurde der pensionierte Rechtsanwalt kürzlich mit 77 Jahren an der Uni Regensburg promoviert (die MZ berichtete). Im als gottlos verschrienen „Spiegel“ hat das Feuer der Heckelmannschen Wahrheit ihren Widerschein gefunden (Heft 28, Seite 11, „fromme Lügen“). Die quellenreiche Doktorarbeit liest sich in der Tat wie ein Wirtschaftskrimi. Sie zeigt im letzten Kapitel auch Aufstieg und Niedergang des Regensburger Karmelitengeist, Urbilds des „Klosterfrau Melissengeists“. Nach 1721 hatte die Regensburger Geistfabrik das damals noch große Kloster St. Josef in Regensburg am Leben gehalten und zwei arme Klöster in Schongau und Urfahrn bezuschusst. Der Markt reichte in alle deutschsprachigen Länder.

Heute haben sich die Verhältnisse umgedreht. Während das Original, das in oranger und lila Verpackung an der Pforte des Klosters St. Joseph am Kornmarkt von Frater Meinrad gehandelt wird, nur noch punktuelle Verbreitung findet, hat der „Klosterfrau Melissengeist“ die Regale der Drogerien erobert. Der Geist aus Kräutern, Zimt und 79 Prozent Alkohol fehlt in kaum einer deutschen Hausapotheke.

Nonne oder nur kluge Geschäftsfrau?

Erst gut 100 Jahre nach Geistpater Eberskirch kam „Schwester Melisse“. Sie konnte sich frei bedienen. „Die Rezepte waren 1826 publik“, schreibt Dr. Heckelmann. Der Erfolg gründet nach seinen Forschungen auf der Eigenvermarktung von Maria Clementine Martin als „Carmelitesse“ und der „Anlehnung ihrer beigelegten Gebrauchszettel an die des Regensburger Karmelitengeistes“. Er spricht sogar von einer „sklavischen Nachahmung derselben“. Die Klosterfrau habe sich am Regensburger Produkt hochgerankt, um es hernach hinter sich zu lassen. Sie schrieb, „das extraordinäre Melissenwasser sei, außer bei den barfüßigen Karmelitenklostergeistlichen in Regensburg allein echt bei ihr als rechtmäßiger Besitzerin der wahren Geheimnisse zu finden.“

Ob sie nun eine echte Nonne war oder nur kluge Geschäftsfrau, Fakt ist: Das von ihr gegründete Unternehmen ist heute einer der erfolgreichsten Anbieter nicht verschreibungspflichtiger Medikamente in Deutschland. Mit seinem prominentesten Produkt, dem Klosterfrau Melissengeist, erreicht das „Klosterfrau Healthcare“ (1000 Mitarbeiter), den Bekanntheitsgrad von 96 Prozent. Der Klosterfrau Melissengeist wird 2016 190 Jahre alt.

Zwei Fratres sind die Erben

Der Regensburger Karmelitergeist feiert 2021 das 300. Jahr seines Bestehens. Den Karmelitern ist es bis auf den heutigen Tag gelungen, das Arkanum zu hüten. Die Regensburger Geistfabrik hatte sich von Anfang an gegen Nachahmung zur Wehr setzen müssen. Die Regensburger Konkurrenz bestand aus Lehrer Schwarz aus St. Emmeram und Josepha Ziegler in Stadtamhof. Ihre Ordenszeichen wurden plagiiert. Die Nachahmer scheuten sich nicht, in dieselben Fläschchen abzufüllen. Sie nannten die Spirituose „Ächter Regensburger Karmelitengeist“, obwohl es nur Bierbrand war.

Die Doktorarbeit des Herrn Heckelmann trägt seit kurzem den „ex libris“-Stempel der Kloster-Bibliothek von St. Joseph. Pater Robert hat das Exemplar gestempelt. Er ist seit 2014 Prokurator. Mit 72 Jahren ist er der jüngste Pater am Kornmarkt. Der Karmelitengeist hilft noch heute, den Konvent wirtschaftlich zu erhalten. Im März 2010 war eine gefährliche Situation, als Pater Konstantin Kurzhals, der das Arkanum verwahrte und die Kräuter mischte, unerwartet starb. Heute teilen sich zwei Fratres des Ordens das Geheimnis der Produktion. Frater Christoph verwahrt das von Pater Ulrich Eberskirchen handgeschriebene Büchlein und mischt. Frater Tarsitius setzt an, destilliert und füllt ab. Beide sind anfangs der 50.

P. Wilfried Walbrun (OCD) dürfte der letzte Geistpater gewesen sein.