Menschen
„Meine Patienten waren meine Freunde“

Er war Regensburgs Promi-Arzt. Doch 80 Prozent duzten den „Wigg“ aus der Drehergasse. Jetzt ist Dr. Hecht Rentenempfänger.

27.03.2015 | Stand 16.09.2023, 7:10 Uhr
Helmut Wanner
Dr. Ludwig Hecht (66) will als angestellter Arzt bis zum 70. Geburtstag in seinem Beruf weitermachen. −Foto: Wanner

Es gibt sehr viele Ärzte in Regensburg. Man könnte sagen, die Domstadt sei mit Halbgöttern in Weiß gesegnet. Man braucht zwei Zeilen, um ihre Namen, ihre Titel und ihre Fachkompetenz zu beschreiben. Nur einen kennt man mit der bloßen Koseformel des Vornamens, „der Wigg“. Das macht die Aura.

„Wenn er einen Menschen trifft, gibt er ihm das Gefühl, er kennt ihn schon über 100 Jahre“, umschreibt eine Patientin das Phänomen „Wigg“. Da wirken auch geheime Unterströme gemeinsamer Milieus. „Wigg“ stammt aus der Drehergasse, Regensburg-Steinweg. Die Wäscherei „Wiendl&Hecht“ haben Mutter und Großmutter betrieben. „Als Bua hab ich die Ladentür aufg’halten und g’sagt: Danke. Auf Wiedersehen. Beehren Sie uns wieder. Das mach ich im Grund heut noch.“ Der Handwerkerbub im weißen Kittel ist am 28. Februar 66 Jahre alt geworden. Dr. Ludwig Hecht ist Rentenempfänger.

„Ach Gotterl“, sagt der „Wigg“

Er hatte die Gabe, allem die Spitze zu nehmen. „Ach Gotterl“, sagte er, wenn er vom werten Befinden hörte. Dann tätschelte er die Hand oder gar den Bauch. Beim Paniker glättete der Wigg den Sturm negativer Emotionen, und still ruhte der See.

Ihm erklärte der „Wigg“ einmal seinen Berufs-Ethos und sein Christsein so: „Meine Art zu arbeiten ist meine Art, den Glauben zu leben.“ Kardinal Dr. Gerhard Ludwig Müller, Sohn eines Sattlers bei Opel und absoluter Kopfmensch, hat darauf nichts gesagt, sondern ihm nur die Hand getätschelt.

Schwäche für Leute wie John Wayne

Jetzt ist er’s wieder: Ein treuer Sohn der Kirche, der er mal am Dreifaltigkeitsberg als Ministrant gedient hatte. „In die Maria Läng stell ich mich hinten rein und dank der Muttergottes.“ Seine Offenheit ist schonungslos. Katholisch zu sein und Freunde wie Kardinal Müller zu haben, macht ihm in Regensburg keine Freunde. Aber das ist ihm egal. 2003 hat er eine Thrombose in der Halsschlagader überlebt. „Ich weiß, dass es Wichtigeres gibt, als zu wichteln und Liebkind zu sein.“

Bis dahin sei er „die Nutte der Gesellschaft“ gewesen. „Ich habe mich gehasst dafür“, sagt er bei einer Flasche Wasser. Der Rotwein-Freund ist vor der Karwoche in Büßer-Stimmung. Grau ist sein Stoppelbart, sein Haarschopf steht wild in die Höhe. „Es gab ja bis vor 12 Jahren keine Autovorstellung ohne mich, den Promi-Arzt Dr. Ludwig Hecht.“ Dem „Wigg“ folgte sein Ruf wie die Bugwelle einer Millionen-Yacht: einer der besten Sportmediziner Deutschlands, Heiler der Ölscheichs und Arzt der russischen Oligarchen. Diese Aura verunsicherte Top-Kollegen mit Einser-Abitur bis ins Mark. Sie fühlten sich neben ihm wie Schattengewächse. Wie atmeten sie auf, als sich das ständige Blätterrauschen um „Wigg“ endlich legte.

Jetzt ist Stille um ihn, wie nach dem großen „Showdown“. Aber „Wigg“ kann von sich sagen: „Auch John Wayne hab ich behandelt.“ Der Westernstar lag im General Hospital Birmingham Alabama und hat ihn zärtlich „my bavarian boy“ genannt. „Wigg“ war dort Stationsarzt. Noch heute ist Dr. Hecht Chefarzt für Orthopädische Chirurgie der U.S.-Army Süddeutschland. Er bekam den höchsten Orden „Order of medical merit“.

Der Ruf des Darlings fliegt einem nicht zu. Als er sich am 1. März 1982 mit einer eigenen Praxis in Regensburg niederließ, musste er mit Vorträgen über „Erste Hilfe am Sportplatz“ von Verein zu Verein tingeln. Erst dann ging er steil: Als Mannschaftsarzt der Fechtnationalmannschaft und der U 21 des DFB. „Dem Eder Klaus“, sagt er, „hab ich viel zu verdanken.“ Eder machte ihn zum sportmedizinischen Leiter der Eden-Reha in Donaustauf.

Nach über 40 Jahren ist Feierabend. „Wigg“ hat von den Sportdoctors in der Ziegetsdorfer Straße 113 sein Schild abgeschraubt, bildlich gesprochen. Am 28. Februar war dort sein letzter Arbeitstag. Er wollte noch zwei Tage die Woche weitermachen, aber, na ja. Sein Satz „Wir sind als Freunde auseinandergegangen“ lässt Spielraum für Interpretationen.

Natürlich macht der „Wigg“ weiter. Jetzt sieht man ihn als angestellten Arzt im Kindler Reha-Fit im neuen Sallerner Service Center. „Ich mach vier Tage am Vormittag, um nicht zu verblöden.“ Und für die russischen Freunde unter seinen Patienten geht er einmal die Woche an die Uni ins Sprachlabor. Er lernt Russisch. Auch den Menschen aus Kasachstan will er das warme Gefühl geben, der ihre zu sein.