Syrienkrieg
Regensburgerin Engel der Containerkinder

Es gibt Türken, die schließen sich dem „IS“ an. Özge Ataman (24) sucht die Folgen des islamistischen Terrors zu lindern.

03.02.2015 | Stand 16.09.2023, 7:03 Uhr
Helmut Wanner
Özge Ataman bei Containerkindern in einem Flüchtlingslager −Foto: Ataman

Sie heißt Özge Ataman. Im Schatten des syrischen Bürgerkriegs macht die gebürtige Regensburgerin Schlagzeilen. Özge Ataman gilt in ihrer Heimat als ein Engel der Containerkinder. So heißen die Kinder, die elternlos in den Flüchtlingslagern entlang der türkischen Grenze leben.

Die Türkei hat über eineinhalb Millionen Syrien-Flüchtlinge aufgenommen. Davon wohnen mehr als eine Viertelmillion in Istanbul. 200 000 leben in den Lagern entlang der türkischen Grenze zu Irak, Iran und Syrien.

4000 Waisenkinder betreut

Der Bürgermeister des Istanbuler Stadtteils Beykoz, Yücel Celikbilek, dankte Özge Ataman für den humanitären Einsatz an den Kriegskindern in der Türkei. Nach einem Bericht der auch in Deutschland erscheinenden „Yeni Posta“ hat die Organisation 4000 Waisenkinder in 74 Dörfern in 42 Bezirken intensiv betreut. Diese Kinder brauchen nicht nur Brot und Wasser, sondern Menschen, die ihnen zuhören, die mit ihnen lernen und spielen.

Eine davon ist Özge Ataman. In ihrem Pass steht als Geburtsort Regensburg. Vor kurzem wurde die quirlige und hilfsbereite Regensburgerin zur Präsidentin der Hilfsorganisation GCYK gewählt. Dessen ehrenamtliche Mitarbeiter sind meist Studenten der bekannten Istanbuler Elite-Universität, die für die moderne, westlich orientierte Türkei stehen. „Günes Cocuklari Yardim Club“ heißt soviel wie „sonniges Kinderhilfswerk“.

Die Studentin Özge Ataman sieht zwar immer mehr Kopftuchträgerinnen an der Uni, zeigt aber selbstbewusst offenes Haar. Sie hält die Werte der westlichen Welt hoch, die sie in Bayern schätzen gelernt hat. Özge Ataman wurde am 27. August 1990 in der Regensburger Hedwigsklinik geboren und wuchs bei ihren Eltern in der Puricellistraße auf. 1996 wurde sie in der Killermann-Grundschule eingeschult. Sie hat einen hellen Kopf. Gerade beendet sie ein Masterstudium an der Marmara-Universität.

Ihre Eltern waren 1960 nach Regensburg gekommen, um zu arbeiten und dann wieder zurückzugehen. „Und so haben sie es auch gemacht“, sagt Bora Ataman. Er ist der Bruder von Özge, CSU-Mitglied, getaufter Türke und zu Agnes Heindls Zeiten gern gesehener Gast im Haus des Papstbruders, Domkapellmeister Georg Ratzinger (91, die MZ berichtete).

40 Jahre Arbeit in „Almanya“

Vater Emin Ataman war Maschinenführer bei Siemens, seine Frau Perihan arbeitete ebenso als Maschinenführerin beim Weltkonzern. Als die Abteilung im Jahr 2000 geschlossen wurde, gingen die beiden Atamans nach 40 Jahren Arbeit in „Almanya“ mit Abfindung zurück in die Heimat und bauten sich im Stadtteil Kadikoy ein Häuschen. Der Stadtteil Kadikoy im asiatischen Teil Istanbuls ist das antike Chalcedon, wo im Konzil 451 das Bekenntnis zur Trinität festgelegt wurde.

Das Nesthäkchen Özge ging mit den Eltern zurück in die Türkei und beendete in Istanbul die Schule. Die Liebe zu Bayern ist geblieben. Auf ihrem facebook-Account („wohnt in Istanbul, stammt aus Regensburg“) schmückt sie sich mit Fotos aus Bayern. Die Skyline von Passau hat sie sich als Titelbild gewählt. Hier hat sie studiert und ihren Bachelor gemacht.

Wie es heißt, stehen die Aussichten nicht schlecht, dass sie nach ihrem Master-Abschluss im Unternehmen der Familie als Betriebswirtschaftlerin arbeiten wird. Ihre Cousine hat in die Familie Kiran eingeheiratet. Die Reeder gelten als Onassis vom Bosporus. Sie besitzen die Kiran Holding.

Als Brückenkopf in die alte Welt dient ihr der ältere Bruder, Bora, ein Immobilienmakler, der in Regensburg wohnt und hier eine Zeit lang als Integrationsbeauftragter der CSU von sich reden machte. Von Özges letztem Besuch in Regensburg existieren Fotos von einem gemeinsamen Essen im Japan-Corner am Viereimer-Platz und einem nächtlichen Spaziergang über die Steinerne Brücke.

Hier hat sie ihm die traurige Geschichte der syrischen Kriegskinder erzählt. Die Flüchtlinge aus Syrien prägen bereits das Straßenbild der Städte. Allein in der Metropole Istanbul leben mehr als 300 000 Syrer.

Wer kann, verdingt sich für einen Hungerlohn als illegaler Arbeiter auf dem Bau oder in Fabriken. Umgerechnet etwa 200 Euro im Monat kann ein Syrer nach Schätzungen damit verdienen. Das ist die Hälfte des offiziellen Mindestlohns in der Türkei. Die Syrer schaffen mit ihrer Anwesenheit neue Realitäten in der Türkei. Mittlerweile werden jedes Jahr 38 000 syrische Kinder auf türkischem Boden geboren. 350 000 ältere Geschwister brauchen eine Schulbildung.

„Günes Cocuklari Yardim Club“ nimmt sich der elternlosen Kinder an. Präsidentin Ataman sagt, das erfordere viel Geduld. „Manchmal hören wir nur zu. Mehr kann man oft nicht tun“, sagt der Engel der Containerkinder mit dem Geburtstempel Regensburg.