Menschen
Urlaub! Der Prof chillt auf einer Yacht

Dr. Thomas Loew steuert in den Ferien ein Schiff. Der Mediziner weiß, was die Seele braucht: Faulenzen und neue Eindrücke.

20.08.2016 | Stand 16.09.2023, 6:41 Uhr
Professor Dr. Thomas Loew segelt noch im August los. −Foto: Loew

Jeder Urlauber kennt die Vorfreude. Zuweilen löst sie sich aber schon im Brenner-Stau oder beim nicht enden wollenden Karibikflug auf. Am Meer holen einen dann die Gedanken an Unerledigtes ein. Der Psychosomatiker Professor Dr. Thomas Loew erforscht die Zusammenhänge zwischen Körper und Seele. Wer könnte besser Auskunft geben über Wege zur Erholung? Der 55-Jährige wirkt unkompliziert und offen. Weil die Zeit für einen Fototermin fehlt, sendet er Urlaubsbilder von sich: mit nacktem Oberkörper am Steuer einer Segelyacht, mit Helm beim Bergsteigen, mit Taucheranzug.

Herr Loew, dieses Wochenende starten wieder viele in den Urlaub. Wie können Reisende die Autofahrt oder den Flug nutzen, um den Alltag abzuschütteln?

Das fängt bei der Planung an. Die Erholung steigt, wenn man das Motto „Weniger ist mehr“ berücksichtigt. Keine fünf Bücher für den Strand mitnehmen, sondern zwei. Eine Faustregel lautet: Man sollte dieselbe Zeit, die man in eine Aktivität steckt, auch ruhen. Faulenzen ist absolut erlaubt, das Dolcefarniente, das süße Nichtstun, wie die Italiener es nennen. Auch das klassische Am-Strand-Liegen. Zugleich sollten Urlauber die Augen und Ohren offenhalten für Eindrücke und Genüsse. Sie sollten sich erlauben, die Gedanken fließen zu lassen.

Wie könne Urlauber die Anreise nutzen?

Sie können den Atem entschleunigen, kleine Körperbewegungen machen, sich immer wieder vor Augen führen, dass sie sich entspannen möchten. Das fängt an, wenn sie mit dem Koffer in der Schlange stehen. Sie sollten das nicht als Last sehen, sondern sich sagen, das ist geschenkte Zeit. Sie sollten lernen, sich abzuschotten von dem, was um sie herum passiert, sich nicht von der Hektik am Flughafen anstecken zu lassen, die seit den Anschlägen angstbesetzt ist.

Haben Sie praktische Ratschläge für die Entspannung?

Atmung und Bewegung. Sie atmen vier Sekunden ein und sieben Sekunden aus, das Ganze am besten elf Minuten lang. Länger ist besser, zwei- bis dreimal reicht nicht. Sie sollten dem Bewegungsimpuls folgen, der sich einstellt, wenn Sie zum Beispiel in der Schlange stehen. Viele Leute fangen an, zu wanken, weil ihnen das gut tut. Denken Sie an die Athleten bei Olympia. Wiegen Sie sich einfach mal in Sicherheit. Das ist ein zentrales Element der Entspannung. Nicht stocksteif sitzen oder stehen, sondern sich wiegen. Das geht überall, auch im Stau, im Flieger, und im Zug sowieso.

Unterstützt Offenheit die Entspannung?

Ja, offen zu sein für Neues, hilft auf jeden Fall. Ich vergleiche unser Gehirn gern mit einem Weihnachtsbaum, an dem Kerzen brennen. Durch eine neue Umgebung und neue Reize setze ich neue Kerzen auf den Baum. Die vernetzen sich. Am Ende ergibt sich ein ganz anderer Blickwinkel.

Gibt es Tricks, um sich an eine Zeitumstellung und ein anderes Klima anzupassen?

Die Indianer sagen, der Körper ist schneller, die Seele braucht länger. Jeder hat seinen eigenen Rhythmus, den kann man schlecht überlisten. Die Sportler von Rio sind früher hingefahren, weil sie wissen, der Körper braucht Zeit, um sich anzupassen. Im Urlaub ist es wichtig, die neue Zeit zu leben. Man muss sich anpassen. Wenn Sie nach Kalifornien fliegen, landen sie gefühlt um Mitternacht, es ist aber Nachmittag. Da ist es sinnvoll, ein wenig eher ins Bett zu gehen und zur normalen Ortszeit aufzustehen.

Wie gelingt es, die Gedanken an den Job abzuschütteln?

Konzentrieren Sie sich auf das Bergpanorama oder das Meeresrauschen, dann werden die Gedanken an die Arbeit abebben. Das Wort „Urlaub“ kommt von „erlauben“. Mir ist erlaubt, von der Arbeit Abstand zu nehmen.

Hängt die Tiefe der Entspannung von der Urlaubsdauer ab?

Sie spielt eine große Rolle. Ein Jahresurlaub von drei Wochen sollte sein. Alles andere ist Quatsch. Die beste Erholung kriegt man hin, wenn man die Uhr ablegen kann. Das heißt, aufstehen, wann man Lust hat, essen, wann man Lust hat, einfach den autonomen Rhythmen folgen.

Ferien sind die einzige Zeit, in der die Familie rund um die Uhr zusammen ist. Wie lassen sich Konflikte vermeiden?

Die Kunst ist, dass man vorher bespricht, was auf einen zukommt. Ein Kompromiss ist die Lösung. Das bedeutet, ich muss akzeptieren, was der andere möchte und kaufe mir damit ein, dass auch meine Wünsche berücksichtigt werden. Man muss wirklich zuhören. Mit unter Zwölfjährigen sollte man aber nicht diskutieren, ob man in die Berge oder an die See fährt. Bei der klassischen Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern und einem Acht-Stunden-Tag ist für jeden zwei Stunden lang etwas dabei. Zwei Stunden Shoppen wird kompensiert mit einem langen Strandspaziergang, zwei Stunden Spielhalle mit einem Museumsbesuch. Es ist hilfreich, wenn man das budgetmäßig gestaltet, also den Kindern sagt, es gibt kein Füllhorn. Die Familie sollte auch akzeptieren, dass ein Mitglied alleine etwas unternimmt.

Begünstigt eine Reise die Erholung oder kann man auch zu Hause abschalten?

Neue Reize sind wichtig. Urlaub zuhause funktioniert nur, wenn ich mich verhalte wie ein Urlauber, also etwas unternehme. Ob ich im Labertal wandere oder in Berchtesgaden, ist egal. Ich kann ein Nachbarstädtchen besuchen oder ein Renaissancestädtchen in Italien.

Nur wenige verreisen ohne Smartphone. Raten Sie, das Handy daheim zu lassen?

Wir wären ja bescheuert, das zu tun, weil wir uns über das Smartphone eine Fülle von Informationen holen können. Aber: Leise stellen, nur vibrieren lassen! Wenn ich mich selbst diszipliniere und nur zweimal am Tag darauf schaue, habe ich viel gewonnen. Ich selbst lese am Strand E-Book und meine Zeitung lese ich am Tablet.

An welchem Ort findet der Reisende am besten zur Ruhe?

Man muss dem Herzen folgen. Wenn jemand gerne am Wasser ist, ist es Quatsch, den in die Berge zu jagen. Wenn man unangenehme Erinnerungen loswerden will, sind neue Orte am besten.

Wo verbringen Sie Ihren Urlaub?

Ich bin ab 25. August am Schiff. Ich segle mit Freunden in Zypern los, dann schauen wir, wohin der Wind uns treibt. Meine Familie ist in Österreich. Das Segeln ist sportlich und der Familie zu viel.

Studien sagen, dass die Menschen mit zu hohen Erwartungen verreisen. Wie kann ich eine Enttäuschung vermeiden?

Die Welt ist, wie sie ist. Der Prospekt ist nicht die Realität. Ich empfehle radikale Akzeptanz. Wenn man sich über das Hotel grämt, ist das eher eine Belastung. Ein Schnäppchenurlaub im Vier-Sterne-Hotel beinhaltet nicht den Top-Service und das beste Zimmer. Wir kaufen ja eine Dienstleistung. Es wird das Materielle wahrgenommen und nicht der Mensch dahinter. Ich darf nicht erwarten, dass die Putzfrau, die einen Tagesverdienst kriegt, der unserem Stundenmindestlohn entspricht, putzt wie im Adlon.