Geschichte
Wie D. Martin Luther sein „r“ verlor

Alle Regensburger haben sich schon einmal gefragt, warum man den deutschen Reformator bei uns so und nicht anders schreibt.

26.04.2017 | Stand 16.09.2023, 6:36 Uhr
Helmut Wanner

Blick in die D. Martin-Luther-Straße. Das fehlende „r“ erzürnt sprachsensible Regensburger. Foto: Wanner

Ob er nun seinen Geldbeutel verloren hat, eine Meldebescheinigung braucht oder neue Müllbeutel, im Bürgerbüro Stadtmitte wird dem Regensburger geholfen.

Manches ist auch telefonisch zu erledigen. Doch wer dort anruft, kommt in der Regel erst einmal in die Warteschleife. Eine nette Frauenstimme überbrückt die Zeit: „Sie haben die Nummer 507-3333 des Bürgerbüros in der D. Martin Luther Straße gewählt…“ Dass die Stimme wirklich „Depunkt“ sagt und nicht „Doktor“, verblüfft Anrufer.

„Die D. Martin-Luther-Straße gibt es erst seit der Nazizeit, was eigentlich auch interessant ist.“Matthias Freitag

Das hat den sprachsensiblen Regensburger Wolfgang Rüby veranlasst, im Bürgerbüro einmal direkt nachzufragen. „Ich bekam zur Antwort, dass das D für Dekan steht.“ Diese Interpretation hält dem Fakten-Check nicht stand.

Vorgängerin Klarenangerstraße

Die Straße, die nach dem Reformator benannt ist, dürfte so um die 500 Meter lang sein. Sie reicht vom Eck des Neuen Rathauses am Minoritenweg bis hinauf zur Galgenbergbrücke, und nichts Spirituelles haftet ihr an. Die Markthalle, die IHK und das Neue Rathaus tragen die Adresse. Wie Karl Bauer in seinem „Regensburg-Buch“ schreibt, wird sie erstmals im Adressbuch 1934/1935 erwähnt. Dazu der Historiker Matthias Freitag: „Die D. Martin-Luther-Straße gibt es erst seit der Nazizeit, was eigentlich auch interessant ist.“

Freitag ist Verfasser desBuches über die Regensburger Straßennamen. Jeder Regensburger Straße widmete er fünf bis sechs Zeilen. Dessen Update wird im kommenden Herbst bei Pustet erscheinen. Der Historiker und Gästeführer hat den Grund herausgefunden., „Alle Doktoren sind mit Dr. abzukürzen, mit Ausnahme der Gelehrten der evangelischen Theologie. Die kürzte man mit D. ab.“ Das sei ein akademischer Brauch. Das Adressbuch der Stadt bestätigt das. Hier heißt es: „D. oder später DD. – so heute noch im Englischen – steht für den Doktor der Theologie (Doctor Divinitatis, Doctor of Divinity).“

Ein Stein des Anstoßes

Deswegen also D. Martin Luther. Heuer feiern wir die 500. Wiederkehr des Tages, an dem der deutsche Reformator in Wittenberg seine Thesen anschlug. Regensburg war bestrebt, bald den neuen Glauben anzunehmen. Bereits 1525 hatte der Magistrat der Stadt Regensburg versucht, mit Martin Luther Kontakt aufzunehmen. Seine Straße dagegen ist gerade mal 83 Jahre alt und ist immer mal wieder ein Stein des Anstoßes. Für die Mitarbeiterin der städtischen Pressestelle, Dagmar Obermeier, war sie „die erste Sache überhaupt, über die ich in meiner Arbeit stolperte“. Als sie von der Dr. Martin-Luther-Straße sprach, wies sie ihre damalige Chefin, Frau Adamek, freundlich daraufhin, dass das, lautmalerisch ausgedrückt, nicht „Doktor“ sondern „Depunkt“ heißt.

Ein weltbewegendes Problem ist der „Depunkt“ nun gerade nicht. Der Zahnarzt Dr. Wolfgang Rupprecht praktizierte Jahrzehnte in der D. Martin-Luther-Straße 17, ohne sich dabei etwas zu denken. Dr. Wolfgang Rupprecht: „Ich hatte da nie ein Problem.“ Der Rechtsanwalt Michael Jensen hat sich vor 36 Jahren gewundert, als er in der Kanzlei von Karl Miedel in der D. Martin-Luther-Straße 15 einstieg. Er ist der Sache dann auch nachgegangen, hat das Ergebnis seiner Forschungen aber wieder vergessen. „Ich freute mich, dass mich die Straße mehrmals befördert hat. Briefe gingen an Dr. Jensen in der Martin-Luther-Straße. Da ist manchen einfach der Doktor verrutscht.“

Ganz schnörkellos „M. Luther 15“

Noch heute herrscht in der Bürgerschaft Verwirrung: „Dr. Who?“ Kaum einer weiß auf Anhieb, wie und wann der Doktor der Theologie sein „r.“ verloren hat. Es herrschen die unterschiedlichsten Schreibweisen in der Straße des Reformators. Man schreibt ihn mit und ohne Striche. Vorgefunden haben wir sogar das völlig schnörkellose „M. Luther 15“.

Bis 1933 hatten die Regensburger dieses kleine Problem nicht. Damals hieß die Straße Luthers nach einem katholischen Kloster. „Klarenanger“ setzt sich zusammen aus Klara und Anger. Karl Bauer schreibt: Wohl schon 1228 haben sich auf dem Areal des heutigen Dachauplatzes, damals noch außerhalb der Stadtmauer, der Römermauer, gelegen, Frauen in klösterlicher Gemeinschaft niedergelassen. Sie nannten sich zuerst Reuerinnen oder Magdalenerinnen, später Klarissinnen nach der hl. Klara.

Die letzte Erinnerung an die alte Regensburger Ortsbezeichnung verschwand mit der guten alten Klarenangerschule. Sie wird seit 1982 als Geschäftshaus genutzt.

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