Gewerkschaft
Allein unter Männern

Olga Redda ist die erste Frau in der Geschäftsführung der IG Metall Regensburg. Sie kämpft gegen etwas Unausgesprochenes.

01.08.2016 | Stand 16.09.2023, 6:44 Uhr
Jana Wolf
Olga Redda (35) ist die Nachwuchshoffnung im Führungstrio der IG Metall in Regensburg. −Foto: Wolf

Es ist wie jeden Montag. Sie sitzt aufrecht neben dem Grauhaarigen. Ihre grünen Augen stehen weit offen. Er begrüßt die Gewerkschafter. Sie sitzt aufrecht. Der alte Kämpfer hustet schwer vom vielen Rauchen. Von ihr nicht mal ein Blinzeln. Sein Gehstock hängt an der Rückenlehne und schaukelt hin und her. Sie sitzt aufrecht. Auf dem Papier sind Olga Redda und Gerhard Pirner, den sie hier alle nur Lucki nennen, gleichgestellt. Beide sind Geschäftsführer der IG Metall in Regensburg. Doch an diesem Tisch gehört die Stirnseite ihm, und ihr die Seitenflanke.

Immer um 10 Uhr kommen die Metaller in Regensburg zusammen. Sechs Frauen und fünf Männer sitzen um den Tisch. Die Praktikantin hat Brezenstangen, Croissants, Quarkbällchen, frische Heidelbeeren, grüne Trauben und Kirschen serviert. Lucki sagt: Das hat sie gut gemacht. Die Männer am Tisch reden. Über die harten Verhandlungen, die sie in Betrieben führen, von ihren Kämpfen und Erfolgen. Die Frauen hören zu.

Gegen etwas Unterschwelliges

Und Olga Redda redet, von ihren Verhandlungen, ihren Kämpfen, ihren Erfolgen. Sie sitzt aufrecht und spricht über die Tarifverhandlungen in der Schweizer Group in Roding, Landkreis Cham. Die Gießerei produziert Motoren, Getriebe und Elektronik für die Automobilindustrie. Viel Metall, viele Männer. 128 Mitarbeiter sind dort beschäftigt, 105 Männer, 23 Frauen. Olga Redda kämpft für die Rechte der Arbeitnehmer. Das ist das eine.

Aber sie kämpft immer auch gegen etwas Unterschwelliges, Unausgesprochenes an, es sind Blicke, beiläufige Bemerkungen, kleine Gesten. Und über allem schwebt immer diese eine Frage, wenn sie in so eine Metall-Männer-Welt hineinstakst, mit ihren 35 Jahren, auf hohen Schuhen, im taillierten Jäckchen: Schafft die das denn auch? Als würden Frauen in Gießereien schmelzen, als würden sie schon beim ersten beherzten Männerhandschlag einknicken. „Schafft dieses junge Ding das? Mit dieser Frage muss ich natürlich umgehen“, sagt sie.

Bei den Verhandlungen in der Schweizer Group hatte Olga Redda großen Erfolg. Die Gehälter werden um 4,8 Prozent angehoben. Auch die der Männer.

„Schafft dieses junge Ding das? Mit dieser Frage muss ich natürlich umgehen.“Olga Redda

Mit Paragrafen für Respekt

Sie trägt ein schwarzes Kleid, das mit kleinen bunten Pelikanen bedruckt ist. Es fällt locker bis zu den Knien, kaschiert ihren schwangeren Bauch. Lucki kaut an seiner Brezenstange. In seiner Brusttasche eine Packung rote Gauloise. Olga Redda nimmt Trauben, eine nach der anderen, wie kleine Diamanten hält sie sie zwischen Zeigefinger und Daumen.

Luckis rechter Fuß wippt. Olga Reddas Füße stehen still, sie trägt lachsfarbene Sandalen mit hohem Absatz. Dann erzählt, sie, was sie in dieser Woche gemacht hat: Am Dienstag sprach sie im Technologiekonzern Continental über Digitalisierung und Arbeit 4.0. Am Mittwoch ging es beim Maschinenbauer A-Z Formenbau um faire Gehälter. Am Donnerstag setzte sie sich bei einer Frauenkonferenz dafür ein, dass Frauen nach der Teilzeit wieder voll arbeiten können. Am Freitag und Samstag erarbeitete sie ein Positionspapier zum Umgang mit der AfD. Lucki geht rauchen.

Um sich bei Verhandlungen durchzusetzen, helfen Olga Redda die Paragrafen. Sie sind das Werkzeug, mit dem sie als Juristin hantiert. Mit den Paragrafen verschafft sie sich Respekt: Das „junge Ding“ kennt sich mit den Rechten der Arbeiter aus. Während des Jurastudiums in Berlin hat Olga Redda selbst in einem Betrieb gearbeitet. Ihr damaliger Chef hat am Jahresende jeden Mitarbeiter zu sich geholt und Weihnachtsgeld verteilt. Jeder im Büro sah, wer mit einem Umschlag herauskam und wer nicht. Sie kam mit einem Umschlag heraus, in dem ein volles Monatsgehalt steckte. Sie fand es trotzdem absurd.

Olga Reddas Fingernägel sind rot lackiert, korallenrot. An den schmalen Fingern stecken zwei Silberringe. Ihre Hände liegen ruhig auf der Tischfläche neben dem metallisch-glänzenden Notizbuch. Auf Dauer, sagt sie, war es unbefriedigend, nur für das eigene Recht zu kämpfen. Sie wollte sich für das Kollektiv einsetzen. Nach dem ersten Staatsexamen arbeitete sie für die sozialdemokratische Friedrich-Ebert-Stiftung in Warschau. Der Autobauer Opel war im Begriff, Standorte dicht zu machen. Auch das Werk im polnischen Gleiwitz war in Gefahr. Das wollte sie retten.

Um sich bei Verhandlungen durchzusetzen, helfen Olga Redda die Paragrafen. Sie sind das Werkzeug, mit dem sie als Juristin hantiert.

Dann regt sich ihr Kampfgeist

Sie arbeitete eng mit der IG Metall und der Solidarnosc zusammen, der erfolgreichsten unabhängigen Gewerkschaft im ehemaligen Ostblock. Nach dem Fall des Kommunismus musste das Vertrauen zwischen Ost und West erst wieder aufgebaut werden. Sie führte Gespräche, viele Gespräche.

Olga Reddas Muttersprache ist Polnisch, sie lebte in Polen bis sie sechs Jahre alt war. Die Mutter ist Polin, der Vater Türke. Olga Redda spricht akzentfrei Deutsch und fließend Englisch. Lucki spricht Bayerisch. Und ein paar Brocken Englisch.

Ihre Augen stehen weit offen, kein Blinzeln. Bis zum Ende ihres Studiums hielt sie den Kontakt zur IG Metall und fing dann ein einjähriges Traineeprogramm in Regensburg an. Das war im November 2012. Dreieinhalb Jahre später, im Februar 2016, wurde sie in die Geschäftsführung gewählt und zur Kassiererin ernannt. Olga Redda führt jetzt die Finanzen der Gewerkschaft. Gerhard „Lucki“ Pirner und Jürgen Scholz sind die Bevollmächtigten. Gemeinsam bilden sie das Führungstrio.

Wenn die Männer von der Frau an der Spitze sprechen, dann sagen sie Worte wie: jung, weiblich, ambitioniert, Migrationshintergrund. Olga Redda beugt sich nach vorne, blinzelt jetzt, es regt sich Kampfgeist. Sie kennt das nur allzu gut. „Hallo, ich bin nicht die Quotenfrau. Ich bin nicht dieses Migrantenkind, das man überall hinstellen und zeigen kann: Sie hat es geschafft, schaut, sie spricht sogar Deutsch.“ Sie sagt das, wenn die Männer nicht im Raum sind.

Olga Redda ist im siebten Monat schwanger. Obwohl der Bauch nach vorne zieht, bewahrt sie ihre Haltung. Anfang September geht sie in Mutterschutz, irgendwann im Oktober ist Geburtstermin. Es wird ein Mädchen.

Natürlich hat Olga Redda schon einen Plan. Die Elternzeit teilt sie sich mit ihrem Mann, er ist Halbpole und Halbäthiopier. Von der Elternzeit übernimmt ein halbes Jahr sie, ein halbes Jahr er. Gleichgestellt eben. Danach will sie wieder in Vollzeit arbeiten.

Ihre schmalen Hände mit den korallenroten Nägeln liegen flach auf dem Tisch. Luckis nicht ganz so schmale Hände liegen daneben, tellergroß. Lucki spricht. Sie schaut ihn an – und sitzt aufrecht.

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