Porträt
Der Schauspieler mit Lust am Experiment

Zunächst wollte Martin Hofer Pianist werden. Doch der Schauspieler wurde als Faust eine Regensburger Institution.

27.04.2017 | Stand 12.10.2023, 10:21 Uhr
Helmut Hein

Der Schauspieler Martin Hofer zeigt in seinen Rollen immer wieder neue Facetten von sich. Foto: altrofoto.de

Jeder Mensch hat ein Geheimnis. Wer Martin Hofers Geheimnis kennenlernen möchte, hat dazu einmal im Monat Gelegenheit. Immer sonntags. Im Turmtheater. Dort läuft derzeit die bitter-böse ... ja was eigentlich? Beziehungskomödie? Nein, eher verhinderte große Liebesgeschichte, deren Terrain umständehalber die Briefe sind, die ein Mann und eine Frau, erst blutjung, dann mit den Jahren älter werdend, wechseln: „Love Letters“. Und „Andy“ (Martin Hofer), der Mann in diesem Spiel der Verfehlungen – der weibliche Widerpart ist Eva Sixt –, setzt sich, wenn wieder einmal gesagt werden soll, wofür die Worte fehlen, ans Klavier.

Nun gibt es, selbst bei guten Schauspielern, Momente unleugbarer Peinlichkeit. Wenn etwa junge Männer coram publico minutenlang fechten und doch nie auch nur annähernd das Niveau erreichen, das der verwöhnte Sport-Aficionado gewöhnt ist. Oder wenn nicht mehr ganz junge Männer sich ans Klavier setzen und am Ende noch zu singen beginnen, um ihrem Seelenschmerz für alle hörbar Ausdruck zu verleihen.

Bei Martin Hofer ist es nicht peinlich. Sein Geheimnis ist tief in seiner Biographie versteckt. Sein erster Berufswunsch war: Pianist. Er war auch schon weit über das Neverending-Etüden-Niveau höherer Töchter („Für Elise“) hinaus, maß sich unerschrocken mit Beethovens „Pathétique“. Und warum müssen wir uns trotzdem mit Sokolow und Lang Lang begnügen statt einem Martin Hofer zu lauschen? Hofer: „Am Konservatorium war es mir zu einsam.“

Einen Hang zum Kabarettistischen hatte Martin Hofer schon immer

Martin Hofer braucht die Kommunikation. Er ist ein soziales Genie. Oder, wie es unter Theatermenschen heißt, wenn erst alle Masken fallen: „eine Rampensau“. Einer, der die Nähe zum Publikum sucht, weil er von dessen Begeisterung lebt.

Auch wer keinen der berühmt-berüchtigten Berner-Witze kennt, ahnt vielleicht, warum. „Dort war es einfach gemütlicher, auch skurriler“, sagt Hofer. Sein erstes Engagement hatte der Schweizer dann in Göttingen. Hofer: „Das hieß damals: Vorsprechen mit der ganzen Klasse.“ Und was? Hofer, mit der trockenen Lakonie, die allein diesem Beckett-Stück angemessen ist: „Warten auf Godot. Ich war der Estragon.“

Estragon alias Gogo, der Niemandsland-Buddy von Wladimir alias Didi? War es nicht eine andere Figur, die an Hofer bis heute klebt – nein, nicht wie Pech, eher wie eine theaterhimmlische Fügung, der Faust? „Ja, der Faust“, sinniert Martin Hofer, und man imaginiert sofort dazu die passende Studierstube und wartet nur noch darauf, dass der Pudel sein wahres Wesen, „den Kern“, zeigt. „Der Faust begleitet mich fast ein Leben lang.“ So lang wie Heinz Müller. Und, na ja nicht ganz, Michael Bleiziffer.

Hofer wiederum hatte, anders als der kosmische Wüstling Faust, Frau und drei Töchter – heute 3o, 24 und 20 Jahre alt –, konnte also nicht nur Trieb- und Geist-Titan sein, sondern musste nolens volens auch Familienverantwortungsmensch sein. Und doch erinnerte er sich, unzufrieden mit der Knechtsrolle im Stadttheaterbetrieb, irgendwann an die Devise berühmter Vorgänger: „Hinaus, ins Offene.“ Das hieß: Schluss machen und neu beginnen, sprich ins Risiko gehen und selbst Theaterdirektor werden. Denn es wohnten ja immer schon viele Seelen in Hofers Brust, auch eine Selbständigen- und Unternehmer-Seele. Als sich 2009 die Gelegenheit bot, das Turmtheater zu übernehmen, griff er zu. Was damals hilfreich war: das Schweizer Erbe, ganz konkret in Form von Land und Wohnblock, das ein Fundament bot. Trotzdem war der Schritt – und ist es immer noch – ein Wagnis. Hofer: „Ich werde ja nicht groß subventioniert.“ Und mit einem bösen Blick in Richtung Politik, die vom großen Wort besser lebt als von der kleinen Tat: „Da wurde zu viel versprochen.“ Das kann einen wie Hofer zornig machen.

Im Turmtheater warten täglich drei Rollen auf ihn

Es gibt viele Fans, Leute, die manche Stücke mehrmals anschauen, oder andere dazu animieren. Was Hofer ersichtlich besonders freut: dass sich der Erfolg nicht dem Kalkül, sondern, ganz im Gegenteil, der Lust am Experiment verdankt. Die Reihe „Fröhliche Wissenschaft“ hat er konzipiert.

Mittlerweile gibt es ein halbes Dutzend Stücke. Und, natürlich, „die absolute Bombe“: Joseph Berlingers Mega-Erfolg „Mei Fähr Lady“, eine Art Bairisch-Crashkurs, den der Dialekt-Guru Ludwig Zehetner einer Chinesin gibt, die partout Fährfrau bei Matting werden will und dazu die nötigen Sprachkenntnisse braucht. Das ist ur-komisch. Man kann beim Zusehen und Zuhören süchtig werden. Den „Faust“ hat Hofer 99 Mal gespielt, von der „Fähr Lady“ gibt es schon 220 Vorstellungen. Ende: nicht absehbar. Die Chinesin spielt Eva Sixt. Hofer: „Sie macht das wunderbar.“ Dann tut er so, als habe er sie als Komikerin erst entdeckt (was nicht ganz stimmt) und schließt seine minutenlange Schwärmerei mit der knappen Würdigung: „Sie ist der Glanzpunkt.“

Auf der Bühne kann ein Schauspieler Vieles ausleben

Natürlich stabilisiert so ein „Selbstläufer“-Projekt (O-Ton-Hofer) das Haus. Aber Hofer bleibt offen für Neues: „Ich höre mich um. Ich recherchiere im Internet. Ich schaue, was an anderen, ähnlichen Bühnen gespielt wird.“ Und er gönnt sich natürlich seine Passionen. Wie zur Zeit etwa den Balladen-Abend „Goethe, Schiller, Bob Dylan“. Da steht er selbst auf der Bühne, und seine Begeisterung teilt sich mit. Gibt es so etwas wie ein Resümee seines langen, reichen Theaterlebens? Eine Frage treibt ihn um: „Wer bin ich?“ Dann stellt er fest, und es klingt fast wie ein Bekenntnis: „Auf der Bühne kann man sehr viel ausleben.“

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