Menschen
Ein Querdenker mischt Regensburg auf

Phuc Huynh und seine Familie kamen als Boatpeople. Der 39-Jährige hat alles erreicht. Er spricht über Kinder, Glück und Hass.

06.06.2017 | Stand 16.09.2023, 6:28 Uhr

Kann sich zurücklehnen: Phuc HuynhFoto: Koller

Mit einem Korb unterm Arm kommt Phuc Huynh ins „Il Baretto“. Er holt einen Laptop, Kinderfotos und sein Handy heraus. Der Korb ist sein Markenzeichen – ein Geschenk der Verlobten. „Damit ich nicht so wild aussehe“, sagt der 39-Jährige lachend. Der Unternehmer denkt in vielerlei Hinsicht radikal, zuweilen auch konservativ. Mehrmals fragt er: „Bin ich ein Spießer?“ Nein, ein Spießer ist er nicht. Aber Werte sind ihm wichtig.

Herr Huynh, Sie unterstützen die „Sea-Eye“. Hängt das mit Ihrer eigenen Rettung durch die Cap Anamur zusammen?

Ja. Die „Sea-Eye“ hat leider Negativpresse, dass sie mit Schleppern zusammenarbeitet. Dabei treten die Helfer für menschliche Werte ein, sie zeigen Mitgefühl und Nächstenliebe. Leider haben wir wenige solche Leitbilder und moralische Werte. Wir Boatpeople in den 80er-Jahren hatten mehr Rückhalt in der Bevölkerung als die heutigen Flüchtlinge. Es gab bundesweit Riesen-Spendenaktionen für die Cap Anamur von Rupert Neudeck. Ich bin in Neugablonz im Allgäu angekommen. Die Leute waren neugierig auf uns. Die haben Patenschaften für uns übernommen. Wir sind voll integriert worden (Zeigt Fotos von seiner Familie bei deutschen Festen). Die meisten vietnamesischen Kinder haben Abitur geschrieben und sind Unternehmer, Beamte, Ärzte oder Anwälte geworden.

Was ist heute anders?

Die Boatpeople waren nicht so viele. 35 000 haben in Deutschland Zuflucht gefunden. Wir haben automatisch Asyl erhalten. Die Bundesregierung hat 1979 entschieden, Vietnamesen, die von deutschen Schiffen gerettet wurden, sofort Asyl zu gewähren. Unsere Eltern durften gleich arbeiten. Gestern haben mich erst zwei Flüchtlinge, die auf der Durchreise nach Skandinavien sind, gefragt, ob sie bei mir im „Il Baretto“ schwarzarbeiten dürfen. Sie haben mir leidgetan, ihre Situation ist tragisch, aber ich kann sie nicht illegal beschäftigen. Ich sehe es als Problem, dass wir in Deutschland keine gesteuerte Zuwanderung haben, wie in Neuseeland seit Jahrzehnten. Es dürfte nicht sein, dass der Westen Waffen in alle Welt liefert und sich dann über Flüchtlingsströme wundert. Schauen Sie sich Trump an, er reist nach Saudi Arabien und verspricht Waffen für Milliarden.

Sie haben vor 19 Jahren die Webhosting-Firma Huynh Communications gegründet und betreiben drei Lokale. Wie ist Ihnen das alles gelungen?

Meine Eltern sagten uns, dass wir hier Gäste sind und uns so benehmen sollen. Dass in Deutschland alles möglich ist, wenn wir fleißig sind.

Ist in Deutschland immer noch alles möglich?

Im Prinzip schon, aber die Mittelschicht schrumpft. Mein Vater hat im Allgäu in den 80er-Jahren als Schweißer 3500 Mark verdient. Für eine Vier-Zimmer-Wohnung bei Neugablonz haben wir 350 Mark bezahlt. Meine Mutter putzte zusätzlich noch. Wir konnten uns als fünfköpfige Familie ein Auto und Reisen leisten, meine Eltern haben sogar noch für ihr erstes Restaurant gespart, das sie Ende der 80er in Regensburg eröffneten. Das geht heute nicht mehr.

Warum?

Meine Verlobte ist Zahnärztin mit eigener Praxis. Allein für die Krippenplätze unserer beiden Töchter für drei Tage zahlen wir 800 Euro monatlich, für die Krankenversicherung weitere 240 Euro. Die Grundkosten für Kinder, wenn beide Eltern berufstätig sind, summieren sich. Ich verstehe es, wenn manche Paare hedonistisch sind und keinen Nachwuchs wollen. Kinder sind ein Luxus in unserer Gesellschaft. Man muss sich fragen, ob die gesellschaftliche Ausrichtung noch stimmt, wenn familiäre Werte so in den Hintergrund treten. Bin ich ein Spießer? Familie ist für mich das Wichtigste. Ich verbringe vier bis fünf Stunden am Tag mit meinen Zwillingen.

Wie kriegen Sie das trotz Ihrer Unternehmen hin?

Ich habe das alles strukturiert. Ich habe Betriebsleiter und langjährige Mitarbeiter. Die größte Rolle aber spielt die Familienstruktur. Meine Eltern sehen die Enkel am Wochenende, meine norddeutschen Schwiegereltern kommen jeden Monat eine Woche lang und übernachten bei uns. Es ist Teil der Identität meiner Töchter, zu wissen, wer Opa und Oma sind. Auch meine Geschwister springen ein.

Ihre Kinder heißen Marie und Helene. Warum haben sie deutsche Namen gewählt?

Weil wir in Deutschland leben und das ihre Kultur ist. Sie werden im nächsten Jahr auch evangelisch getauft, wie ihre Mutter. Sie sollen am Religionsunterricht teilnehmen, sonst fehlt ihnen das christliche Wissen. Ich bin eigentlich Buddhist, aber das spielt für mich keine Rolle. Wir fokussieren uns immer darauf, was die Religionen trennt, statt, was sie verbindet. Wenn man alle Religionen vergleicht, bleiben letztlich die Zehn Gebote übrig. Ich verstehe nicht, warum wir 2017 nicht einfach sagen, wir sind alle Menschen. Man sollte sich bemühen, ein guter Mensch zu sein. Mehr ist es ja nicht – oder?

Stimmt es, dass Sie das Nam Asia Cuisine gegründet haben, um Jobs für Ihre Eltern zu schaffen?

Ja, die waren zur Zeit der Finanzkrise 55 Jahre alt. Mein Vater war arbeitslos und schwer depressiv. Ich bin seit 19 Jahren selbstständig und habe Unterhalt für meine Eltern bezahlt. Irgendwann wollte ich eine eigene Familie und ich wollte, dass meine Eltern würdevoll leben können. Mit dem Nam verdiene ich kein Geld. Meine Eltern können nicht noch mehr arbeiten als fünf Tage. Sie müssten sieben Tage arbeiten, damit das richtig rentabel wäre. Durch den Ansturm waren wir gezwungen, mehr Leute einzustellen, aber man verdient deshalb nicht mehr. Das zweite Lokal im Gewerbepark haben wir nur eröffnet, weil das Gebäude in der Puricellistraße bald abgerissen wird.

Sie vergeben Mikrokredite, um Arme zu unterstützen.

Ich bin großer Fan des sozialen Unternehmertums. Es gibt Microfounding-Unternehmen. Man kann 30 Dollar verleihen, damit eine Frau, die in Kambodscha auf der Straße lebt, Getränke für einen Stand kaufen kann oder damit sich ein Afrikaner Ziegen anschaffen kann. Ich unterstütze über 200 Projekte, zum Beispiel zehn Frauen, die sich in Bangladesch zusammenschließen, um ein Restaurant zu betreiben.

Wie finden Sie die Projekte?

Es gibt die Internet-Plattform Kiva (klappt Laptop auf und zeigt sein Konto aufwww.kiva.org). 6000 Dollar habe ich verliehen. Cool, man kann einer Familie helfen, aus der Armutsspirale herauszukommen.

Was macht Sie glücklich, außer Familie?

Glücklich ist man, wenn man so leben kann, wie man es sich wünscht. Ich meine damit, dass man die Freiheit hat, so zu entscheiden, wie man will. Außerdem finde ich es wichtig, dass Menschen Träume haben. Das zeichnet sie aus.

Können Sie frei entscheiden?

Ich denke schon. Ich habe es im Angestelltenverhältnis probiert, aber das ist bei mir schwierig, weil ich so hohe moralische Ansprüche habe.

Ihr Traum?

Eine glückliche Familie. Dass es so bleibt, dass alle gesund bleiben.

Haben Sie ein moralisches Vorbild?

Schwierig. Ich ziehe den Hut vor Angela Merkel, weil sie in der Flüchtlingskrise geholfen hat, trotz Gegenwinds von allen Seiten. Aber ansonsten... Da braucht man nur in Regensburg zu schauen. Wer taugt als Leitbild für die Jugend? Mein Freundeskreis – das sind gute Menschen. Sie machen sich Gedanken über die Gesellschaft, sind hilfsbereit und bescheiden. Das ist der Kern. Überhaupt: Freundschaft ist ein hohes Gut.

Wie finden Sie Regensburg?

Regensburg ist die schönste Stadt der Welt, nicht zu groß und nicht zu klein. Man geht durch die Stadt und trifft Bekannte oder Freunde, ohne sich groß zu verabreden. Das ist ein Stück Lebensqualität.

Lesen Sie mehr:In der Serie „Reden über Gott und die Welt...“spricht MZ-Autorin Marion Koller mit Menschen aus allen Gesellschaftsbereichen über aktuelle oder persönliche Themen.

Was müsste sich ändern?

Regensburg sollte parteiunabhängig gesteuert werden. Es sollte Stadträte geben, die keiner Partei angehören. Der Meinungsbildungsprozess in Parteien bildet häufig nicht mehr die Ansichten und Hoffnungen des Otto-Normal-Verbrauchers ab. Welche Partei versteht schon die Ängste und Sehnsüchte der jungen Leute? Ich hätte im Stadtrat keine Chance, da ich kein Faible für interne Konkurrenzkämpfe habe. Außerdem kenne und mag ich Leute verschiedener Couleur, Christian Schlegl, Anja Wolbergs und Jürgen Huber. Ich habe den CSU-Kandidaten Schlegl im OB-Wahlkampf unterstützt und musste mir einen wahren Shitstorm anhören, wieso ich als Boatpeople für die CSU bin. Ich habe Hassbotschaften erhalten. Damals habe ich mitgekriegt, wie schnell sich scheinbare Freunde vom Verlierer zum Sieger orientieren. So etwas finde ich schlimm. Den Fall Joachim Wolbergs finde ich ebenso tragisch. Es ist schlimm, wenn „Freunde“ sich abwenden, wenn es mal schlecht läuft, da man scheinbar keinen Mehrwert mehr bieten kann.

Wie geht es jungen Unternehmern in Deutschland?

Das ist ganz schwierig. Deutschland hat Probleme mit Querdenkern. Ich war Werkstudent bei einem Großunternehmen in Regensburg und hatte die Produktidee für ein IT-System, das kontaktlose Zeiterfassungs- und Zugangskontrollen per RFID-Chips ermöglichte. Das war damals ganz neu. Ich habe das Konzept geschrieben. Auf Druck der Geschäftsführung musste ich die Idee zurückziehen und schriftlich versichern, dass ich auf alle Rechte freiwillig verzichte. 15 Jahre später hat das Unternehmen sie selbst realisiert und als eigene Innovation vorgestellt. Im Silicon Valley hätte ich ein eigenes Team bekommen und die Chance, das Projekt umzusetzen.

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