Menschen
Eine Liebeserklärung an Dampfnudel-Uli

Als Kind musste Uli Deutzer Karlsbad verlassen und kam nach Regensburg. Mit 75 werden ihm in Tschechien Kränze gewunden.

07.01.2018 | Stand 16.09.2023, 6:15 Uhr
Helmut Wanner

Dampfnudel-Uli freute sich sehr über den Besuch von Dr. Lubos Barta (links), Chefredakteur des tschechischen Gourmet-JournalsFoto: Iva Kovarikova

Eines schönen Tages im Jahr 2017 stand beim Dampfnudel-Uli, Watmarkt 4, dieser Mann in der Tür und sagte mit leichtem Schwejk-Akzent: „Bitteschön, Herr Dampfnudel-Uli, darf ich, bitte, über Sie eine Geschichte machen?“ Man sah, der Mann liebt das Essen. Er stellte sich vor als Dr. Lubos Barta, Chefredakteur des Gourmet-Journals „Revue pro Hotel a Restaurant“. Das Magazin wird in Hrusice gemacht, dem Dorf, in dem Kinderbuch-Illustrator Josef Lada (Kater Mikesch) geboren ist. Es ist 30 Kilometer südöstlich von Prag und 126 Kilometer weg von Karlsbad, wo 1904 die unglaubliche Deutzer-Story begann.

Als Dr. Barta mit seiner Fotografin wieder gegangen war, war es eine schöne Stunde mit netten Gesprächen. Uli Deutzer hätte sich nie gedacht, dass da am Ende so etwas rauskommen würde: Die Reportage über „Regensburg, Hauptstadt der Dampfnudel“ zog sich über zehn Seiten. Sie war enthusiastisch überschrieben mit „Wo Duft und Geschmack überirdisch sind“.

Die „Heimat“ interessiert sich

Die Geschichten über Stars und Sternchen, die in der Kapelle des Genusses Einkehr hielten, würden Bände füllen. Über den Dampfnudel-Uli wurde schon viel geschrieben. Aber warum hat ihn gerade dieser Beitrag so elektrisiert? „In der Kurve vor der Zielgeraden meiner fast 43 Jahre währenden Karriere im Baumburger Turm“ schließt sich für Uli Deutzer der Kreis. Die wiedererwachte Liebe zu den Deutschen aus Böhmen träufelt Öl auf die Wunde. „Im Herzen bin ich noch immer ein Sudetendeutscher“, sagt der 75-Jährige Konditormeister.

Am 29. August 1942 ist er in Karlsbad geboren. Als Dreijähriger musste er das Land verlassen. Nach 70 Jahren und drei Generationen merken die Tschechen, dass vieles, was ihr Land so schön macht, von Deutsch-Österreichern gebaut wurde. Dr. Barta: „Wir wissen, dass ein Viertel Tschechiens einmal deutschsprachig war. Wir wollen hier gerne die Geschichten aus dieser Zeit lesen.“ Die Grenzen sind gefallen. Die Vorurteile auch. Die „Heimat“ interessiert sich wieder. So geht Frieden.

Ein Karlsbader ist immer auf Trab: An einem arbeitsfreien Dienstag, an dem der 75-Jährige seine Bilanz macht und nebenbei 120 Dampfnudeln, hat er seinen Stammgast, den Architekten Prof. Oswald Peithner, in das leere Lokal gebeten. Der top-fitte Peithner lässt seinen Blick über die Wände streifen und gibt seine Expertise ab. „Hier ist die einzige Stelle in Regensburg, wo echte Historie im Raumgefüge ist, ein historisches Raritätenkabinett, das einen Dr. Walter Boll noch erlebte.“

Peithner, Sohn eines Kunstschmieds, ist 1931 in Karlsbad geboren. Der „jugendliche“ 86-Jährige kann als Zeitzeuge die Bedeutung der Konditoreifamilie Deutzer bestätigen. „Ich bin in Karlsbad zur Schule gegangen. Die Deutzer waren ein Begriff. Sie hatten ihr Geschäft in der Prager Gasse, mitten im Zentrum,“ beginnt er an der Theke zu plaudern. Dahinter steht Deutzer in der weißen Schürze und strahlt. An diesen Wänden hängt seine Seele.

„Im Herzen bin ich noch immer ein Sudetendeutscher.“Uli Deutzer

Unter diesem Gewölbe wirkt ein Engel, der übern Dampfnudel-Uli wacht. Hier ist sein Gesundbrunnen. Gemeinsam lassen Deutzer und Peithner die süße Welt Karlsbader Konditoreien wieder entstehen: Sie sprechen von Liebesknochen mit Sahnefüllung, Gebetsbüchern mit Ananas, Cremeschnitten und den berühmten Kolatschen. Ein rundes Hefegebäck mit Quarktupfern Mohn und Powidlmus sowie Streuseln obenauf. Uli Deutzers geliebter Opa Hans hatte in der Zuckerwarenfabrik Heller in Wien und im Firstclass-Hotel Pupp in Karlsbad gelernt. 1904 hatte er sich mit drei Geschäften in Karlsbad selbstständig gemacht. Er war wegen seiner Größe und seiner schwarzen Haare bekannt als der „schwarze Hans“. Aber für noch mehr Aufsehen sorgte er, wenn er mit einem Fuchs, den er selbst gezähmt hatte und einem Foxterrier durch die Stadt flanierte. Wäre Hans Deutzer keine echte Nummer in Karlsbad gewesen, hätte Harry Nerad nicht die Operette die „Karlsbader Oblate“ für ihn komponierte. Der schwarze Hans stand selbst auf der Bühne und sang. „Ich setz mich gerne zusammen mit einem Flascherl Wein…“ Bei den 23. sudetendeutschen Musiktagen wurde das tönende Deutzer-Denkmal aufgeführt. Es galt als verschollen. Widmar Hader hat‘s entdeckt.

Als die Oblaten kamen

Nach dem Krieg erlebte auch die Oblate ihre Renaissance. „Die Oblaten waren hier völlig neu. Die Leute standen Schlange,“ bestätigt Peithner. Deutzer entwickelte sich in der Pfauengasse schnell zum Café der Sudetendeutschen. „Der alte Backpulver-Müller holte die frischen Kolatschen direkt in der Backstube ab“, sagt Deutzer. Dazu gab es Kaffee von einem weiteren Karlsbaders, Hugo Rehorik. „Der fünfte Volksstamm hat Bayern erneuert“, meint Peithner. 2004 endete die Ära Deutzer. Die Pfauengasse wurde geschlossen. Aber nicht der Dampfnudel-Uli. Er ist nach 43 Jahren „in“ wie nie. Auch im Osten. Im Frühling will ihm Dr. Barta „persönlich und kostenlos“ Exemplare seiner Illustrierten vorbeibringen, bestätigte der Chefredakteur gegenüber unserer Redaktion. „Wir lieben Dampfnudel-Uli, wir lieben diesen Platz.“

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