Menschen
Am China-Stammtisch ist er Hahn im Korbe

Discobetreiber Krausnecker hat sich nach einer Pleite neu erfunden. Als Gründer einer Facebook-Community ist er König Albert.

30.10.2015 | Stand 16.09.2023, 6:55 Uhr
„Bei meinem Stammtisch werden sie nicht dumm angemacht“, sagt Krausnecker. −Foto: Krausnecker

Bei Albert Krausneckers „China-Stammtisch“ durchläuft jeder ein automatisches Upgrade. Er hängt seinen Angestelltenmantel an die Garderobe und wird vom Gastgeber sofort reihum als „der Schef“ seiner Firma vorgestellt. Die Menschen, denen dies geschieht, lachen zwar, aber das Lachen klingt geschmeichelt. Albert lässt alle Leute gut aussehen.

Krausnecker trägt Tracht. Dazu kombiniert er einen weißen Schal. Das macht ihn als Meister des Vergnügens sichtbar. Er war lange Jahre Viehhändler und gleichzeitig Discobetreiber in Niederbayern. Er war Albert V., Viehhändler in fünfter Generation. Mit 23 Jahren schon hat er für den Lebensmittelgiganten März, Rosenheim, 800 Bullen in Irland gekauft. Er kann mit Mensch und Tier umgehen. Das ist seine Kompetenz.

„Psychologie ist alles“

Die Genres ähneln sich, meint er. Von seinen Erfahrungen aus beiden Bereichen zehrt er heute. „Psychologie ist alles“, sagt er. Als er die Hand heben musste und gar nichts mehr war, kein Viehhändler und kein Disco-König, hat er dank „Facebook“ den ambulanten China-Stammtisch erfunden. Dort ist er jetzt der König. Ein König ohne Land. Ein König der Herzen.

Am 17. April 1952 ist er in Niederleierndorf geboren. Sein Leben beschreibt er wie eine Fahrt auf der Achterbahn. Und diese Fahrt war atemberaubend. Krausnecker war in den 70er- und 80er Jahren ganz oben, der Disco-König von Niederbayern. Audrey Landers, Nicole, Geier Sturzflug, Peter Maffay, Thomas Gottschalk, Münchner Freiheit … er hatte sie alle in seinem Starlight. Nicole kam sogar direkt nach ihrem Grand Prix-Gewinn 1982 nach Langquaid. Der 7. Februar 1983 läutete die Talfahrt ein. In Parsberg brannte die neu errichtete Disco ab. Das hatte Folgen. In letzter Konsequenz ging der elterliche Bauernhof, einer der schönsten von Niederbayern, 1997 übern Jordan. Die Krausneckers auf der Gant: Das ist eine Wunde, die wohl nie verheilt. Albert nahm Schlaftabletten. „Wenn mich meine Mama nicht gefunden hätte, wär i tot“, sagt er. Seine Mama ist heute 88 und immer noch sein Ein und Alles. Dreimal die Woche besucht er sie. Er nimmt Bahn und Bus. Sie ist das Maskottchen des Chinastammtisches.

Und wo steht er heute auf seiner Achterbahn? „In der Mitt’n“, sagt er. In die fürstliche Notstandsküche geht er mit Würde. Seine Hartz-IV-Existenz ist Vergangenheit. Albert Krausnecker ist seit April Frührentner. Jetzt ist er 63 Jahre alt. Den Führerschein hat er mit dem Öko-Ticket des RVV getauscht. Vor 12 Jahren, „als es mit meiner Beziehung auseinandergegangen ist“, zog er aus der Steinmetzstraße mit Promi-Umfeld in die Puricellistraße.

Dort lebt er in einem anonymen achtstöckigen Hochhaus mit 112 Appartments. Statt Namen tragen sie Nummern. Über 80 Prozent der Nummern sind von Ausländern bewohnt. Krausnecker hat die 507. „375 Euro warm und mit allem“, sagt er. Es riecht nicht nach Eau de Cologne, nach frisch gewachsenen Leinenmäntel und zartem Zigarettenrauch. Kaum, dass er sich drin umdrehen kann. Ins Fenster hat er als Sonnenschutz die Europafahne geklemmt. Zwei Nummern weiter vorne am Flur hat man vor Wochen einen Toten geborgen. „Er lag fünf Tage drin. Bis heute hat ihn niemand vermisst.“

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Doch Albert Krausnecker ist nicht allein. Er hat sein verloschenes Starlight als virtuellen Stammtisch neu aufstrahlen lassen. Bei Facebook hat er aktuell 4434 Freunde. Und hunderte weitere Freunde auf weiteren Accounts. Und echte Freunde? Nicht wenige. Um die zehn Prozent der 4434 Freunde zählt er zur engen Familie. Sie versammeln sich ständig um seinen virtuellen Küchentisch. 39 Zentimeter misst er im Durchmesser. Es ist ein leistungsfähiger Laptop „Dell Inspiron“, zwei Jahre alt, 700 Euro. Da darf man nicht aufs Geld schauen. Jeden Morgen um 7 Uhr steht er auf von seinem einsamen Lager, wirft die Kaffeemaschine an und fährt den Laptop hoch. Dann ist er da für seine Leute.

„Ich hab fast mehr zu tun als früher“, sagt er. Jedem Freund, jeder Freundin gratuliert er zum Geburtstag. 30 Freunde klopfen pro Tag an mit ihren Sorgen, mit ihren Fragen. „Hast du den Mike schon getröstet?“ 12 Beziehungen hat er schon gestiftet. Aber die eine oder andere löst sich schnell wieder auf. Ob er nicht wen wüsste, der einen Job oder eine schöne Wohnung hat? Er kennt Gott und die Welt, die Hohen und die Niedrigen. Die heute was in Regensburg und der Region zu sagen haben, waren „als Buam“ bei ihm in der Disco.

Er sammelt Handynummern und E-Mail-Adressen und Facebook-Freunde wie andere Goldmünzen. Bertl ist rund um die Uhr erreichbar. Er ist zu ihnen allen wie ein Vater, der im Gesichtsbuch steht. Frauen sagen ihm „ein warmes Herz“ nach. Wie zärtlich er von den schönsten Frauen geliebt wird, zeigt sich, wenn sich die ganze Familie in Schale wirft und sich trifft - im Leeren Beutel oder im Pachamama, beim legendären Hellring oder auf der Dult und am Gillamoos in Abensberg.

„Zwei Drittel Mädels“

Albert ist immer der Einladende. Er wird nie müde, zu rufen und bleibt nicht ungehört. Das letzte Mal waren beim großen Stammtisch 252 Freunde da aus 27 Nationen. Für jede Nation hatte er ein Fähnchen aufgestellt. Es waren Rentner, Geschäftsführer, Politiker, Künstler aus Nah und Fern – das wichtigste: „Zwei Drittel Mädels, alle geschieden.“ Das soziale Phänomen, das er mit Hilfe des Facebook kreiert hat, heißt „Chinastammtisch“. Krausnecker hat ihn sich beim Patentamt als Wortmarke schützen lassen.

Chinastammtisch klingt exotisch. Da erwartet man automatisch das Besondere. Mit Recht. denn in der Geburtsurkunde steckt auch etwas Besonderes, eine echte Liebe. Die Zuneigung zur Chinesin Li Hua, die er nur am Telefon kennenlernte, aber bis heute nicht zu Gesicht bekam.

Der Viehhändler hat den Hang zum Zarten. Bei der Expo 2000 in Hannover hatte er den bayerischen Pavillon gemanagt. Der chinesische Pavillon war Wand an Wand. Dort lernte er Tina Tian kennen. Die erzählte ihm von einer Freundin, die einen Deutschen heiraten will. „Warum nicht mich?“, dachte er. Damit Li Hua in Bayern nicht allein sei, gründete er den Chinastammtisch. Tina Tian schrieb die erste Einladung auf Chinesisch. Tatsächlich kamen einige Chinesinnen zum ersten Stammtisch im „Galileo“ am Arnulfsplatz. Aber nie kam seine Lotusblüte Li Hua.