Menschen
Speedy und die Kraft der Schildkröte

Die Polizei gab Matthias Krieger den richtigen Spitznamen: Er schreibt Berichte von Blitzer-Aktionen und gibt nie auf.

06.05.2017 | Stand 16.09.2023, 6:35 Uhr

Matthias Krieger (31), Ortsvorsitzender CSU Steinweg-Winzer, mit Franzl, seiner Schildkröte Foto: altrofoto.de

Er heißt Franzl, steckt sein Leben lang im Panzer und ist dennoch schneller als man denkt. Matthias Krieger besteht auf einem Foto mit seinem Haustier. Hätte er nicht die Kraft und die Ausdauer der Schildkröte gehabt, dann würde er schon nicht mehr hier sitzen.

„Ich wollte schon immer der sein, der anderen helfen kann.“Matthias Krieger,CSU-Ortsvorsitzender Steinweg-Winzer

Es war im Dezember 2014 im Heimspiel des EVR gegen Peiting, als Matthias Krieger aus seinem Rollstuhl fiel und in der Donauarena 14 Stufen nach unten kullerte, bis ihn eine Betonwand aufhielt. Alle dachten, er sei tot. Die Drittelpause musste wegen des Einsatzes der Rettungskräfte verlängert werden.

Absturz in der Donauarena

Es war eine hitzige Partie gewesen. „Das war das erste Spiel in einer langen Siegesserie, in der wir verloren haben. Kurz vor Ende des zweiten Drittels habe ich mich so aufgeregt, dass ich mich nach vorne beugte. Dabei habe ich den Joystick berührt und der Rollstuhl hat sich in Gang gesetzt.“

An diesen dunklen Moment seines Fan-Lebens erinnert ein Eishockeyschläger in der Lobby seiner Wohnung in Winzer. Spieler haben ihn damals mit dem Trainer im Krankenhaus besucht, wo er mit einem Schädelbasisbruch und dem Bruch einer Augenhöhle lag. Eishockey ist sein Ding. Weil er für sein Leben das gleiche Motto gewählt hat: „Nie aufgeben.“ Was ihn beim schnellen Sport auf dem Eis so begeistert, ist, dass man ein Spiel noch in den letzten zwei Minuten drehen kann. Seit die Donauarena steht, hat er kein Heimspiel seines EVR versäumt. Sein kleiner Bruder Michael und seine Mutter begleiten ihn.

Krieger ist geboren mit der Erbkrankheit der Achondroplasie, der Kleinwüchsigkeit. Dazu gibt’s ein „Upgrade“. „Eigentlich wäre ich Linkshänder, aber bei mir fehlt die Software für das Gefühl der linken Hand. Das reicht für’n Anfang“, sagt er nach einer Pause und lacht. Mit Humor hat er sein Leben auf die Reihe gekriegt. Familie und Freunde sind für ihn das wichtigste. Er beginnt mit dem Unwichtigsten: „Ich habe 1023 Facebook-Bekannte.“ Unter den 15 bis 20 guten Freunden sind 6, „die das ändern können, wenn es mir schlecht geht“. Er hat einen Job bei der Verkehrspolizei und: Er ist Ortsvorsitzender der CSU Winzer-Steinweg. Am Samstag wurde er erst wieder in seinem Amt bestätigt. Für ihn ist das „eine krasse Ehre“.

Die Partei der kleinen Leute

„Wer behauptet, die CSU sei nicht für die kleinen Leute da, der schaue in den Ortsteil Winzer“. Über diesen Kalauer kann Matthias Krieger gut lachen. Als der stellvertretende Kreisvorsitzende der CSU, Michael Lehner, dem JU-Mitglied das Angebot machte, in die CSU einzutreten und zugleich ihr Ortsvorsitzender zu werden, musste er nur kurz nachdenken. Matthias Krieger (nomen es omen) beerbte übrigens Barbara von Fabeck.

„Ich dachte mir, das ist genau das, was du willst, nur auf einem anderen Weg. Ich wollte schon immer der sein, der anderen helfen kann. Ich war ja in meinem Leben mehr der Empfangende. Aktiv zur Feuerwehr ging nicht. Hier als Ortsvorsitzender ist es so, dass ich für die Menschen kämpfen kann.“

Er wünschte sich allerdings, dass sich mehr Menschen mit ihren Problemen an ihn wendeten. Zusammen mit der SPD hat er eine Straßenlaterne beim Küffner durchgesetzt, damit Küffners Kinder im Winter einen sicheren Heimweg haben. Er kümmert sich um den richtigen Standort derMüllcontainer.

Dass er sich unter Kampf nicht die Arbeit für sein eigenes Fortkommen vorstellt, zeigen auch Details in der Wohnungs-Deko. In seinem Schlafzimmer steht ein gerahmtes Plakat von Ernesto Che Guevara, der Marylin Monroe des bewaffnetes Kampfes. „Viva la revoluçion!“ Über diesen politischen Stilbruch geht Matthias Krieger lachend mit der Bemerkung hinweg: „Was ich nicht mag, das ist Stillstand.“ Er will Schablonen aufbrechen und Bilder im Kopf verändern – das des Behinderten und das des CSUlers. Krieger mag Geselligkeit, ist aber kein Stammtisch-Politiker. „Ich bin nicht mein Rollstuhl“, sagt er und steigt aus, um zu beweisen, dass er gehen kann.

Wer glaubt, im Leben zu kurz zu kommen, der schaue auf diesen Mann: Den langen Marsch hat er hinter sich. Stationen waren die Grundschule Stadtamhof, die Pindl-Realschule, die Büroangestellten-Lehre in Rummelsberg, die Maschinenfabrik Reinhausen. Seit sieben Jahren ist er nun schon bei der Polizei in der Kleiberstraße. Dort schenkte man ihm Zuneigung und einen Spitznamen. „Ich heiße Speedy, weil ich im Dienstgebäude rumflitze. Die Kollegen sind schwer in Ordnung. Kein Tag ist wie der andere.“ Er bearbeitet die Anzeigen, die die Kollegen von der Autobahn hereinbringen. Das sind Unfälle und Blitzer-Aktionen. Die Presseberichte aus der Kleiberstraße sind oft mit Matthias Krieger unterzeichnet. Am liebsten schreibt er das Wort „Fehlanzeige.“

Dank der städtischen Verkehrsüberwacher hat Matthias Krieger ein scharfes Bild von sich hinterm Steuer seines rollstuhlgerechten „Kia Carnival“. Sie haben ihn in der 30-er-Zone in Winzer sauber geblitzt.