Unglück
Todessturz: Trauer um junge Studentin

Das Hiltner-Heim war auch am Tag zwei nach dem Unfall in Schockstarre. Kerzen schmückten eine improvisierte Gedenkstätte.

22.09.2016 | Stand 16.09.2023, 6:46 Uhr
Eine Gruppe von Erasmus-Studentinnen ordnet am Mittwoch rote Grabkerzen in dem Durchgang zwischen Haus 4 und Haus 5 des Johann-Hiltner-Wohnheims in der Dr.-Gessler-Straße an – ganz in der Nähe der Stelle, an der ihre Kommilitonin in der Nacht zuvor bei einem Unfall in den Tod stürzte. −Foto: mt

Die Lichter sind schon aus der Ferne zu sehen. In einem kleinen Halbkreis hat eine Gruppe von Erasmus-Studentinnen am Mittwoch rote Grabkerzen in dem Durchgang zwischen Haus 4 und Haus 5 des Johann-Hiltner-Wohnheims in der Dr.-Gessler-Straße angeordnet – ganz in der Nähe der Stelle, an der ihre Kommilitonin Pauline am Mittwoch bei einem Unfall in den Tod stürzte.

„Pauline, das netteste französische Mädchen. Wir vermissen dich“ oder „Für Pauline, das Mädchen mit dem schönsten Lächeln“ haben die Kommilitoninnen auf die Kerzen geschrieben. Davor liegen gelbe und weiße Rosen. Laut den Angaben des Heimleiters und einer Heimbewohnerin kletterte die 22-jährige Studentin aus dem Elsass in der Nacht zum Mittwoch gegen 4.45 Uhr zusammen mit einer oder mehreren Heimbewohnerinnen über das Geländer eines Balkons im obersten Stockwerk auf das Dach von Haus 4. Dort rutschte sie ab und stürzte neun Meter tief. „Die anderen Studenten haben sofort um Hilfe gerufen“, sagte der Heimleiter am Mittwoch. „Die Rettungskräfte waren ganz schnell da, konnten aber nur noch den Tod feststellen.“

Studentin kam vor zwei Wochen an

Auch am zweiten Tag nach dem Unglück stehen Bewohner und Verwaltung dem Unglück fassungslos gegenüber. Es herrscht eine bedrückte Stimmung in dem Regensburger Wohnkomplex aus fünf Häusern. Insgesamt können hier 456 Studenten in den 3er-, 4er-, 5er- und 6er-Wohngemeinschaften untergebracht werden. Die 6er-Wohngemeinschaften befinden sich jeweils im obersten Stockwerk. Vor zwei Wochen wurde Pauline von ihren Eltern nach Regensburg gebracht. Seither lebte sie in einer solchen 6er-WG in Haus 4 zusammen mit einer Kommilitonin. Noch sind nicht alle Zimmer in dem Wohnheim belegt. Offiziell beginnt das Wintersemester erst am 17. Oktober. „In diesen Wochen trudeln die Studenten erst so nach und nach bei uns ein“, sagt der Heimleiter.

Entsprechend leer sind die Wege und Innenhöfe auch noch am Donnerstag. „Wir sind sehr schockiert“, sagt eine Studentin, die am Vormittag mit zwei Kommilitonen über den Vorplatz von Haus 5 läuft. Die verunglückte Studentin hätten sie noch nicht gekannt, weil sie ja erst eingezogen sei. „Ihre Eltern haben sie vor zwei Wochen gebracht. Jetzt müssen sie sie tot wieder abholen. Das ist doch Wahnsinn“, sagt einer der Studenten mit belegter Stimme. Davon, dass Heimbewohner über die Dächer klettern, habe er noch nie gehört, sagt er auf Nachfrage unserer Zeitung.

„Die Nachricht macht alle natürlich sehr betroffen“, sagt eine andere Studentin, die in Haus 3 wohnt. Von dem Rettungseinsatz habe sie in der Nacht nichts mitbekommen. Am Mittwoch hätte aber die Heimleitung in einer Mail alle Bewohner informiert. „Leider müssen wir euch mitteilen, dass es heute im Hiltner-Heim frühmorgens einen tödlichen Unfall gegeben hat“, beginnt die Mail, die auch als Aushang an mehreren Stellen in dem Wohnkomplex zu finden ist. Die Verwaltung bietet darin die Möglichkeit zum Gespräch an. Die Verwaltung und „die Senioren“ stünden den Bewohnern zur Seite, sollten sie einen Ansprechpartner brauchen, heißt es unter anderem in dem Text. „Mit diesem Hintergrund möchten wir euch darauf hinweisen, dass die Dächer eine große Gefahr sind. Wir bitten euch, diese nicht zu betreten!“, schließt die Mail.

„Die Stimmung im Heim ist natürlich sehr gedrückt. Wir bedauern das alles sehr – natürlich auch das Kuratorium“, sagt Michael Krauß, Verwaltungsleiter der Alumneumstiftung, die Träger des Heims ist. Den ganzen Tag über seien am Mittwoch Bewohner, „die ihren Schmerz loswerden wollten“, zum Heimleiter gekommen, der auch Diakon und Seelsorger ist. Am Mittwoch hätte eigentlich ein Bar-Abend in dem Wohnheim stattfinden sollen. Stattdessen trafen sich auch hier Mitarbeiter und Bewohner zum Gespräch. Die evangelische und die katholische Studentenschaft wollen am Dienstag einen Gedenkgottesdienst an der OTH, an der die 22-Jährige studiert hat, abhalten.

Bewohner überkletterten Geländer

Vor vier Wochen seien erst Brandschutz- und Bauordnungsamt für eine Routinekontrolle im Haus gewesen. „Die haben alles kontrolliert. Es entspricht alles den Vorschriften“, sagt Krauß. „Es kam bislang noch nie vor, dass Studenten auf den Dächern herumgeklettert sind.“ Man müsse an der entsprechenden Stelle ganz bewusst ein Geländer überklettern, sagt der Heimleiter. „Da ist die Studentin drübergestiegen und dann abgerutscht.“ Krauß schätzt die Höhe des Geländers auf 1,20 Meter. „Wenn man Verbote überschreitet, kann leider immer etwas passieren“, sagt er. Die Balkone seien auch Fluchtbalkone. „Die müssen wir offenhalten. Da haben wir keine andere Möglichkeit.“ Laut den Angaben einer Erasmus-Studentin hatte Pauline am Abend vor dem Unfall noch eine Party besucht.

Polizei geht von tragischem Unfallgeschehen aus

Zum genauen Ablauf der Geschehnissekonnte die Polizei am Mittwoch noch keine Angaben machen. Der Leichnam wurde für eine rechtsmedizinische Untersuchung nach Erlangen gebracht. Am Donnerstagnachmittag schrieb die Polizei dann in einem Bericht: „Die durchgeführte Obduktion des Leichnams erbrachte in einem vorläufigen Ergebnis keine Erkenntnisse, die ein Fremdverschulden erkennen lassen.“ Nach derzeitigem Ermittlungsstand gehe die Polizei von einem „tragischen Unfallgeschehen“ aus. Die Studentin habe von einem Balkon aus auf einen begrünten Dachbereich übersteigen wollen und sei dabei in die Tiefe gestürzt. Die polizeilichen Ermittlungen zum Sturzgeschehen, die in enger Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft Regensburg durchgeführt würden, seien aber noch nicht abgeschlossen.