Menschen
Rumsrüttelkoog liegt an der Donau

Nach dem Tod des Regensburger Barfußläufers ist der Käpt’n, ein Mann in weißer Admiralsuniform, an seine Stelle getreten.

19.09.2015 | Stand 16.09.2023, 6:58 Uhr
Helmut Wanner
Am liebsten sitzt der Käpt‘n im DEZ in der Nähe vom Glöckl: Da sieht er alle und alle sehen ihn. −Foto: Entleutner

Rumsrüttelkoog liegt am Donaustrand. Denn Käpt’n Blaubär ist mal dort, mal hier. Der Kapitän ist ein Phänomen. Wer ihn sucht, der findet ihn nicht. Und wer nicht mit ihm rechnet, vor dem blitzt er auf wie eine Sternschnuppe. Da sitzt er zum Beispiel am Gutenbergplatz auf der Bank, im Dreieck „Black Bean“, „Hubert H“ und „Pustet“, schaut und lässt sich anschauen. Man ist schon an ihm vorbei, da sagt die innere Stimme „Stopp“. Man beschließt, wieder umzukehren und bei ihm sein Reporter-Glück zu versuchen. Es wird eine Sternstunde.

Wie Käpt’n Blaubär ist er ein Schlitzohr. Aber seine Stimme ist oberösterreichisch gefärbt. Sie klingt gütig, nicht so rau und seebärig wie die von Wolfgang Volz. „Ich weiß nicht, wie viele mich heute schon fotografiert haben“, sagt Käpt’n Blaubär in seiner ruhigen Art. Käpt’n Blaubär nennen ihn die Regensburger, die mit der „Sendung mit der Maus“ großgeworden sind.

Das ist ihm recht, so lange sie ihn nicht nach seinem Namen fragen. Soviel sei gesagt: Er hat den Vornamen des bayerischen Märchenkönigs. Seinen richtigen Namen verschweigt er, obwohl er im Telefonbuch steht, mit dem Zusatz „chem. techn. Erzeugnisse“. Der Mann hat nach dem Krieg sein Leben mit dem Vertrieb von Autopolitur verdient. Jetzt trägt er wieder die weiße Uniform eines Corvetten-Kapitäns.

Ein Selfie mit Käpt’n Blaubär

„O, Gott! Und der Käpt’n hat Sprechstunde!“ Einige Minuten mit ihm erzeugen das Gefühl, das Katholiken haben, wenn sie bei der Generalaudienz unverhofft in der „prima fila“ stehen - und der Papst gibt ihnen die Hand. So daneben ist die Assoziation nicht. Auch der Pontifex trägt Weiß. Im Inneren des Regensburgers geht ein ganzer Kandelaber an Kerzen an. Innerlich zittert er vor Glück. Sogar ein Selfie mit Käpt’n Blaubär geht.

Nach dem Tod des Barfuß-Professors Herbert Obauer, der 2015 von uns gegangen ist,musste in Regensburg wieder ein Original aufstehen. Ein Mann, den jeder kennt. Eine Erscheinung, die beeindruckt. Ein „running gag“, über den jeder redet. In der Facebook-Gruppe „Du bist ein echter Regensburger, wenn…“ wird zum Thema „der Kapitän“ geschrieben. „Wenn ich mich nicht irre, war er bei der Marine und trägt die Uniform im Gedenken an seine verunglückte Besatzung,“ schreibt ein User. Der Autorin Lisa Weichart war es nach einem kurzen Gespräch mit ihm sogar so, „als stand mir für Augenblicke die gesamte geisterhafte Flotte stumm vor Augen“.

War der Professor ohne Schuhe ein Asket, so trägt der Käpt’n weiße Slippers und ist das genaue Gegenteil: Ein Stück schillernder Popart, ein Gesamtkunstwerk im Sinne von Joseph Beuys. Als solches dient er als Projektionsfläche eigener Wünsche und Träume. Der Käpt’n ist somit ein Kind seiner Zeit, obwohl der Mann mit dem blonden Backenbart und dem Pferdeschwanz flotte 88 Jahre alt ist.

Er ist Witwer. Seine Frau soll er abgöttisch geliebt haben, heißt es. Aber er hat sich nicht vergraben. Alte Menschen werden im Alltag links liegen gelassen. Um dem sozialen Tod zu entgehen, hat sich der schöne alte Mann als Käpt’n quasi selbst erfunden. Jeder sucht jetzt seine Nähe, wenn Käpt’n Blaubär ausgeht.

Kleine Mädchen sind glücklich, wenn er ihnen die Kopie seines kleinen Talismans schenkt, den Teddy mit Herz. Der Teddy hängt an seiner Herzseite unter dem Revers seiner weißen Kapitäns-Uniform.

Es ist das Herz eines Boxers. An seiner weißen Brust hängt der Beweis: Das ist kein Modeschmuck, sondern die Kopie der Siegerkette, die er mit 18 Jahren nach seinem Finalkampf 1945 in Japan erhielt. Der Japaner hatte gegen den Rechtsausleger (170 cm, 95 Kilo)keine Chance.

Seit er 14 ist, trägt er die Marine-Uniform

Sein Ruhm hält an. Beim Gang über die Steinerne Brücke, so sagt er, sei es ihm vor kurzem passiert, dass junge Menschen von der Jahninsel-Wiese zu ihm heraufgerufen haben. „Ahoi, Käptn. Sie waren doch mal Weltmeister.“

Der Käpt’n, ein Box-Weltmeister? Das muss er uns schon selber erklären. Ahoi, ihr Landratten! Der Käpt’n erzählt seine wahre Geschichte: „Ich bin 1927 geboren und auf dem Oberen Wöhrd aufgewachsen. Als ich 12 war, hat mich mein Großvater beim BC Heros angemeldet. Und Marine-Uniform trage ich seit meinem 14. Lebensjahr. Ich hab als Schiffsjunge beim Bayerischen Lloyd angefangen. Meine erste Fahrt war auf der Ruthof. Ich fuhr mit ihr die Donau rauf und runter. Dann bin ich aber bald zum Norddeutschen Lloyd gewechselt. Das war auch mein Glück. Denn die Ruthof ist bekanntlich in Ungarn versenkt worden. Einige Matrosen sind ertrunken. Ich hatte eigentlich immer Glück.“

Märchenhaftes Glück sogar. Durch den Boxsport hat der Käpt’n vom Krieg faktisch nichts mitbekommen. Als Marine-Soldat sei er in eine Boxstaffel nach Dänemark versetzt worden. Sein KaLeu habe sein Talent gefördert. „Er hat mich zur Box-Weltmeisterschaft nach Japan geschickt. Das war vor Hiroshima.“

In den Annalen der Boxabteilung des BC Heros, der in der Jahn-Sportabteilung aufgegangen ist, taucht zwar sein Name nicht auf. Aber dennoch scheint Käpt’n Blaubär nicht geflunkert zu haben. Der Archivar aus der Spiegelgasse, Peter Skrabut, ist sein Zeuge. Er kennt den Käpt’n lange. „Der trainiert noch. Der schaut sich jeden Boxkampf an. Als ich beim Donaustrudl am Viereimer-Platz Bücher verkaufte, kam der Käpt’n vorbei und interessierte sich für einen Band über Cassius Clay.“ Später habe er ihn dann im Laden besucht und ihm eine Dose Auto-Politur geschenkt. So bekam der Käpt’n den Antiquar zum Strahlen.