Kirche
Baptistenpastor wär jetzt gern Katholik

Friedbert Kirsch wird mit 65 in Rente geschickt. Er beneidet die Kollegen in römischen Krägen. „Die dürfen bis 70 arbeiten.“

22.07.2015 | Stand 16.09.2023, 7:04 Uhr
Helmut Wanner
Abschiedslied: Pastor Friedbert Kirsch greift am Sonntag bei den Baptisten letztmals in die Saiten. −Foto: Wanner

Was ist eine kranke Seele wert? Es gibt eine kleine christliche Gemeinde in Regensburg, die stellte ihren Pastor frei, um einen Patienten, der gerade aus der Psychiatrie entlassen wurde zu begleiten. Drei Wochen ging er mit ihm bis Santiago de Compostela.

Die Erfahrungen, die Friedbert Kirsch damals machte, hätte er in einem Bestseller verarbeiten können, Titel: „Seelsorge extrem“. Doch er hat es nicht an die große Glocke gehängt. Auch 2009 nicht, als er den Atheisten-Bus bestieg, der seine Tour durch Regensburg machte. An der Theresienkirche ist er in die Linie der Gottlosen gestiegen. „Gottlos glücklich!“ Er hat sich das einfach angehört.

Spätberufener muss früh gehen

Er kann nicht erkennen, dass die Menschen ohne Gott glücklicher wären. „Die Leute klagen, dass es so nicht weiter geht. Der Kapitalismus macht alles kaputt.“ Es tut ihm leid, dass die Antworten, die die christliche Kirche zu geben hat, nicht mehr in dem Maße nachgefragt werden. Und das unabhängig von der Konfession.

Friedbert Kirsch ist „ein kleiner Baptisten-Pastor“. So nennt er sich selbst. Am Sonntag wird der Schreinersohn aus dem Möbeldorf Eschlbronn, wo auf 2000 Einwohner 60 Schreinerbetriebe kommen, von der kleinen Gemeinde entpflichtet. Vor zehn Jahren hatte er den Dienst angetreten. Nun, wo es Spaß macht, muss er gehen. Kirsch beneidet seine katholische Kollegen, die bis 70 arbeiten dürfen. „Ich würde gerne weitermachen“, bekennt er.

Großes geschieht unter vier Augen

Dass sie als Pennymarkt diente, sieht man der Kirche der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde (Baptisten) in der Adalbert-Stifter-Straße nicht an. Nach dem Einsatz des kirchlichen „Schöner Wohnen“-Arbeitskreises hat die Gemeinde nun auch ein Kirchen-Cafe. Von hier aus kann man die Häuser der Ganghofersiedlung sehen. Die Tür ist offen, aber keiner kommt. Aus der Ganghofersiedlung ist noch kein Gemeindemitglied dazugekommen.

Als Geste des Willkommens hat Pastor Kirsch Butterbrezen gekauft. Er ist ein stiller Pastor, ein Spätberufener, eine ewig Lernender, der sich auch zum therapeutischen Seelsorger und Eheberater weitergebildet hat. Zwar hat er auch bei großen Bewegungen wie „Pro Christ“ mitgemacht und sich beim Bürgerfest engagiert. Doch er ist überzeugt: „Das Wichtige geschieht im Leben unter vier Augen. Da werden Menschen verändert.“

Kirsch glaubt, dass die Kirche nicht untergeht. „Der Heilige Geist wirkt so stark. Er spricht Menschen auf die vielfältigste Weise an. Manche schlagen nur ein Buch auf - und schon hat er sie. Er ist ein Gentleman“, sagt er. Seine Augen glänzen sanft. Von diesem Pastor wird man kein böses Wort über die Konkurrenz hören, weder über die lutherische oder römisch-katholische. „Ich bewundere die Bildung meiner Kollegen.“ Kirsch sieht die Ausdifferenzierungen, die sich im Gottesdienstanzeiger in langen Kolonnen widerspiegeln, im Grunde als die eine christliche Kirche. Was sie unterscheide, seien unterschiedlich Berufungen.

Der Gottesdienstraum ist einfach, schön und klar. 450 Mal ist er seit 2005 auf der Predigtkanzel gestanden. 450 Mal stimmte er den Gemeindegesang an. Das macht er sein Leben lang. „Als ich 14 Jahre alt war, hat mir mein Vater den Quelle-Katalog gezeigt und gesagt: Such dir eine aus.“ Kirsch hat sich für eine Framus-Gitarre mit „Cut out“ entschieden, für 89 Mark. Einen Verstärker traute er sich nicht zu wünschen. „Wir waren ja sechs Geschwister.“

Vater war Vorsteher der Brüdergemeinde von Eschlbronn. Die Gitarre schenkte er seinem Sohn Friedbert, damit er den Jugendchor begleite. Mittlerweile ist er an der Gitarre so gut, dass er sich überlegt, nach der Pensionierung Ukulele-Lehrer zu werden. Er kann auch klassische Gitarre und nimmt Stunden bei Regensburgs bestem Jazzgitarristen, Helmut Nieberle.

Die Berufung zum Seelsorger habe er früh gespürt, aber es hat Zeit gedauert. Erst mit 47 Jahren wurde Kirsch Pastor. Mit seiner Frau, einer Krankenschwester, wollte der Maschinenbaumeister in die Mission gehen. Dazu brauchte er eine theologische Ausbildung. Mit der Mission hat es nicht geklappt, mit der Folge: Seine Frau ist jetzt Seelenärztin am Bezirksklinikum und ihr Mann Friedbert Kirsch „innerer Missionar“ in Regensburg.

1948 wurden die Baptisten hier von drei Personen gegründet. Unter Pastor Wayne Jenkins war die Gemeinde in den 80er-Jahren am größten. Mit Friedbert Kirsch hatte sie einen feinfühligen Seelsorger. Der ging für eine einzige Seele auch mal mehr als eine Meile: 330 Kilometer waren es von Leon nach Santiago de Compostela.