Klage
„Verwahrloste Gräber“ am Bergfriedhof?

Wenn Bäume zwischen Grabplatten Wurzeln schlagen, ist dies ein Indikator. Das Regensburger Bestattungsamt sieht das anders.

19.08.2016 | Stand 16.09.2023, 6:41 Uhr
Helmut Wanner
Der Berg lebt: Ein Grabnutzungsberechtigter zeigt in Abteilung 54 auf Absenkungen zwischen den Grabreihen. −Foto: Wanner

Gabriele P. ist aufgebracht. „Wir haben einen Angehörigen am Dreifaltigkeitsberg beerdigt und müssen feststellen, dass immer mehr Gräber verwahrlost sind“, sagt die Regensburgerin. In ihren Augen ist ein Drittel der Grabstätten verwahrlost. Aber ihre Beschwerden verhallen.

„Diese Generation pflegt die Gräber ja noch. Danach wird es schwieriger“Andreas Weis

„Nach Rücksprache mit der dortigen Friedhofsverwaltung wurde mir mitgeteilt, dass es keine Handhabe gibt, diesen Zustand zu ändern.“ Nun weiß sich die Mutter, die am Berg einen Sohn betrauert, nicht mehr zu helfen. Sie fragt: „Wie viel Müll ist den Angehörigen, die sich liebevoll um die Gräber ihrer Lieben kümmern möchten, noch zuzumuten?“

Nun liegt die Verwahrlosung oft im Auge des Betrachters. Und die Sensibilitäten der Menschen sind unterschiedlich ausgeprägt. Deswegen machte sich unsere Zeitung selbst ein Bild. 12 000 Gräber sind nach Angaben von Armin Walling, Leiter des Bestattungsamtes, auf dem Berg verteilt. „Da sind Baumgräber und Urnennischen schon mitgerechnet.“

Ahorn als Verwahrlosungs-Indikator

Unser Gesamteindruck von der schönsten Beerdigungsstätte der Stadt Regensburg ist durchaus fried- und würdevoll. Hie und da liegt auf Gräbern ausschließlich Plastik. In Abteilung 54 kündet nur ein jämmerlicher Erdhaufen mit einem einzigen Grablicht, davon, dass darunter ein Mensch liegt. Kein Kreuz, kein Name, nichts. Und aus nicht wenigen Gräbern wachsen Disteln, Löwenzahn und Giersch, schlagen junge Bäume Wurzeln. Einige angeflogenen Ahornbäume sind zu einer stattlichen Höhe von bis zu drei Metern gewachsen. Das wird auf anderen Friedhöfen in Deutschland als Indikator für Verwahrlosung gesehen. Experten erkennen darin: Dort ist seit zwei bis drei Jahren nichts mehr getan worden. Auf dem Bergfriedhof ist dies offensichtlich bislang noch kein Grund zum Handeln gewesen.

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In Abteilung 54 treffen wir einen Mann, der das Grab seiner Großeltern pflegt. Das Dachdeckerehepaar liegt hier seit den 60er-Jahren. Weil die Mutter nicht mehr kann, kommt der Sohn alle zwei Wochen auf den Berg, er kann sich also über die Jahre hinweg ein Bild machen. „Ich stimme der Dame teilweise zu,“ sagt der sogenannte Grabnutzungsberechtigte, wie es in der Sprachregelung des Bestattungsamtes heißt. „Bei dem Gedenken der Angehörigen ist wohl der Wurm drin. Das ist die neue Zeit, die Mobilität der Menschen.“ Die Einstellungen der neuen Zeit verursachen nach seiner Ansicht weitere Probleme. Die Gräber werden von den Hinterbliebenen heute leichter aufgelassen. Die Lücken, die bleiben, wirken nicht nur ungepflegt. „Die Erde sinkt ab. Dann wird mit Erde aufgefüllt und Kies drüber gelegt. Doch das Niveau zwischen den Gräbern verschiebt sich. Der Berg lebt.“ Vor einigen Jahren hat der Regensburger deswegen schon einen Zettel am Grabstein angefunden, weil der beim Rütteltest durchgefallen war.

Der Chef des Bestattungsamtes, Heinrich Walling, sieht im Falle verwahrloster Gräber durchaus eine Handhabe. Diese liegt in der Friedhofssatzung. Wenn das Grab einen würdelosen Eindruck mache, dann würden die Grabnutzungsberechtigten angeschrieben mit der Bitte, den Zustand zu beseitigen. Es könne Ordnungsgeld erhoben werden oder eine kostenpflichtige Ersatzmaßnahme angedroht werden. Letzteres sei aber noch nie geschehen.

„Der Eindruck ist so gut wie immer“

Hohe Bäume in den Grabstätten zu entfernen sei das Tagesgeschäft der jeweiligen Friedhofsverwaltung, gerade im Sinne der Verkehrssicherungspflicht. Doch aus seiner Warte könne er keine negative Veränderung am Bergfriedhof feststellen, schon gar keine Verwahrlosung. „Der Eindruck ist so gut wie immer“, sagt Walling.

Der Chef des städtischen Bestattungsamtes räumt allerdings ein, dass sich die Flexibilität der Menschen erhöht habe. „Manche Leute können die Gräber nicht mehr pflegen, weil sie an anderen Orten leben. Sie könnten zwar einen Gärtner einschalten, aber das wollen viele nicht.“ Diesem Trend kommt die Stadt entgegen, in dem sie zunehmendpflegefreie Gemeinschaftsanlagenund Waldbestattungsanlagen anbietet, in denen die Friedhofsverwaltung die Pflege übernimmt.

Andreas Weis, der Friedhofsgärtner vom Dreifaltigkeitsberg, dessen Firma schon seit 35 Jahren am Berg ist, bestätigt veränderte Einstellungen der Hinterbliebenen. Gräber, deren Grabrecht ausläuft, werden tendenziell heute leichter aufgelassen. Und das werde in Zukunft noch schlimmer. „Diese Generation pflegt die Gräber ja noch. Danach wird es schwieriger“, wagt Weis eine Prognose. Auch beim Blumenschmuck muss er sich auf veränderte Sitten einstellen. 65 Prozent der Menschen in Regensburg lassen sich einäschern. An den Urnen gibt es oft keine Blumen.

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