Katastrophe
Fluten brachten alle an die Grenzen

Am 13. August 2002 versank Nittenau in den Fluten des Regens. Gastwirt Josef Jakob erinnert sich in der MZ an das Hochwasser.

09.08.2017 | Stand 16.09.2023, 6:19 Uhr
Renate Ahrens

Niemand hatte mit einem solchen Ausmaß an Überflutungen gerechnet.Foto: Stadt Nittenau

So leicht würde ihn nichts aus der Bahn werfen, sagt Josef Jakob an diesem sonnigen Tag und blickt auf den sanft dahinfließenden Regen. „Aber dieses Hochwasser brachte uns alle an die Grenzen.“ Wie es hier, im Biergarten seines Gasthauses, an diesem denkwürdigen 13. August 2002 ausgesehen hat, kann man nur erahnen. Mit dem Boot war der Gastwirt auf den überfluteten Straßen in die Nähe des Rathauses gefahren, um seine dort vermeintlich sicher abgestellten Autos noch weiter wegzubringen. Die Pegelstände des Regens im flussaufwärts liegenden Cham stiegen bereits und der Katastrophenalarm wurde dort um 8 Uhr ausgelöst. Unvorstellbare Ausmaße sollte dieses Jahrhunderthochwasser annehmen.

Die Regierung der Oberpfalz räumte danach ein: „Wir haben in den zurückliegenden Jahrzehnten die Gefahr unterschätzt.“ Auch Jakob dachte zu Beginn, schlimmer als die Lage beim letzten Hochwasser im Jahr 1993 könne es doch nicht werden. Doch die Ereignisse überschlugen sich – und es regnete weiter.

Ein Stammgast nahm extra Urlaub

In seinem Betrieb erinnert heute eine Tafel an das Naturereignis. „1,30 Meter stand die Gaststube unter Wasser, ebenso Küche und Toiletten“, sagt der 59-Jährige. „Für 24 Stunden fiel die Elektrizität aus. Es war chaotisch.“ Das nebenan liegende Gästehaus aus dem Jahr 1944 war natürlich auch betroffen und bald nicht mehr zugänglich. Etwa die Hälfte der Gäste seien bereits kurz vorher in Panik abgereist; es war gerade Hauptsaison. „Doch die, die blieben, haben tatkräftig mitangepackt.

Das Wirtshaus ist abgesoffen

„Beim Pegelstand von 4,35 Meter ist das Wasser in das Wirtshaus eingedrungen“, erklärt Jakob. Um 12.40 Uhr lag der Stand bei 4,68 Meter – normalerweise beträgt er 1,20 Meter. Am Anger wurden am späten Nachmittag die Bewohner evakuiert, immer mehr Rettungskräfte trafen ein, auch die Bundeswehr. Und es regnete weiter. Josef Jakob koordinierte im Gasthaus die Mitarbeiter und die etwa 20 helfenden Gäste. Überall im Stadtgebiet kämpften die Menschen gegen die Wassermassen. Um 22.28 Uhr, so ist im Protokoll der Feuerwehr Nittenau vermerkt, stellte man eine Einsturzgefahr der Regenbrücke fest. Direkt daneben wohnt Robert Schmidt (Name geändert), der sich ebenfalls minuziös an die Ereignisse erinnert. Alles hätten sie versucht, so erzählt der 70-Jährige, um das Wasser vom Haus abzuhalten, doch vergeblich. Allerdings war Schmidt einer der wenigen, die gegen die Katastrophe versichert waren. So wurden seine Schäden in fünfstelliger Höhe ersetzt. Josef Jakob hatte diese Versicherung nicht, doch es gab Entschädigungen von staatlicher Seite, für ihn etwa 70 Prozent seiner Gesamtkosten in Höhe von etwa 300000 Euro

Erst in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages fielen die Pegelstände langsam. Familie Jakob ließ die 20 Gäste kurzerhand in ihrer Privatwohnung mit übernachten. „Duschen konnte man nur kalt, wie und ob wir Kaffee gekocht haben, weiß ich gar nicht mehr“, schüttelt Jakob heute den Kopf. Wochenlang waren die Nittenauer mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Der Gasthof blieb zwei Wochen geschlossen. Jederzeit könne wieder Hochwasser auftreten, warnt Jakob. „Ich wäre für eine ökologische Variante des Hochwasserschutzes, also durch Ausgleichsflächen. Es stehen genügend Flächen entlang des Regens zur Verfügung.“

„Je länger das Unglück zurückliegt, umso vergesslicher werden die Bürger.“Franz Schreiner von der Bürgerinitiative

Franz Schreiner, Vorsitzender der Bürgerinitiative „Aktiver Hochwasserschutz“ und damals selbst Betroffener, erklärt: „Das Konzept steht. Doch die Mühlen laufen langsam.“ Eine Bürgerinitiative könne jedoch nur etwas bewirken, wenn die Bürger hinter ihr stünden und mitdiskutieren würden. Zur letzten Versammlung, so kritisiert Schreiner, wären nur ein Dutzend Bürger gekommen. Doch sogar an etwas Positives bei einem anderem Hochwasser kann sich Robert Schmidt erinnern und lacht: „Einmal im Winter ist das Wasser gefroren und wir konnten im Garten auf dem Rasen Schlittschuhlaufen.“

5,60 Meter war der Scheitelpunkt

Der Scheitelpunkt des Jahrhunderthochwassers 2002 war in Nittenau am 14. August um 0.57 Uhr erreicht, der Pegel konnte aber wegen Überflutung nicht abgelesen werden. Nach Angaben der Feuerwehr wird der Stand auf etwa 5,60 Meter geschätzt. Zu diesem Zeitpunkt war die komplette Innenstadt, der Ortsteil Am Anger und die Gemeindeteile Untermainsbach und Muckenbach überflutet. Die 750 Einsatzkräfte hatten bis zu diesem Zeitpunkt etwa 250 Einsatzstellen zu bewältigen.

Bald nach der Katastrophe gründete sich dieBürgerinitiative „Aktiver Hochwasserschutz“. Sie zählt heute rund 120 Mitglieder. Die BI habe sich zum Beispiel dafür eingesetzt, dass in den Bereichen der Kraftwerke die Stauziele eingehalten und Schotte und Wehre frühzeitig geöffnet werden. In der „Buign“ wurde eine Flutmulde angelegt und der Ersatzbau für die marode Große Regenbrücke wird an den Hochwasserschutz angepasst. Weitere Maßnahmen für den technischen Hochwasserschutz sollen folgen.

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