Natur
Jagd auf stille Segler in tiefster Nacht

Zwei Biologinnen haben im Auftrag von TenneT mit Netz und Sendern den Fledermausbeständen im Kreither Forst nachgespürt.

15.07.2017 | Stand 16.09.2023, 6:25 Uhr
Renate Ahrens

Die gefangene Fledermaus – ein Männchen – ist nicht begeistert. Fotos: Renate Ahrens

Es wird langsam dunkel hier mitten im Kreither Forst bei Irlaching. Laut quaken die Frösche und Kröten am Weiher, die ersten Glühwürmchen tanzen in der warmen Sommernacht, und der Vollmond taucht den Wald in silbernes Licht.

Trotz lauer 21 Grad, die jetzt um 22 Uhr noch herrschen, haben sich die Biologinnen Lisa Höcker (29) und Sandra Störkel (31) eingepackt, mit fester Jacke, Mütze und sogar dickem Schal – und schnell wird klar, warum. Die Mücken stechen angriffslustig in jede freie Stelle der Haut. Doch sie bedeuten auch Futter für Insektenfresser wie Fledermäuse.

In Mitteleuropa leben nur noch rund 25 verschiedene Arten dieser fliegenden Säugetiere, deshalb sind sie europarechtlich geschützt, erklärt Lars Fischer, Teilprojektleiter der Firma TenneT, die gerade die neueStreckenführung des Ostbayernringszur Versorgung der Oberpfalz mit regenerativen Energien plant. TenneT hat deshalb das Institut für Tierökologie und Naturbildung in Gonterskirchen für eine Kartierung der Fledermausbestände beauftragt.

Die beiden Biologinnen aus Hessen, die nun eine Woche lang jede Nacht hier sind, haben viel vorzubereiten: Netze werden an verschiedenen Stellen gespannt, vorzugsweise unter Blätterdächern, wie Störkel erklärt. Dort sei die Chance am größten, waldlebende Fledermäuse wie die Mops- oder die Wasserfledermaus, den Abendsegler oder das Braune Langohr zu fangen. Tagsüber dürfen die Netze wegen der Vögel nicht gespannt sein. Die Strecke westlich vom Kreither Forst ist eine von zwei positiv beurteilten Varianten für dasRaumordnungsverfahren der geplanten Trasse.

TenneT hat sich zwar bei der weiteren Planung für die Variante im Naabtal entschieden, doch für den anstehenden Variantenvergleich im Planfeststellungsverfahren muss auch die Westvariante weiter untersucht werden. Hier sei bereits eine Gasleitung und somit eine Schneise vorhanden, berichtet Ina-Isabelle Haffke, Referentin für Bürgerbeteiligung – und verjagt vergebens den Mückenschwarm um sie herum.

Insgesamt zehn Flächen wurden untersucht.Denn der Ostbayernring ist umstritten.Rund 2000 Grundeigentümer seien von Rückbau und Neubau betroffen. Zur Planung gehöre auch der Schutz gefährdeter Tiere. Sollte sich herausstellen, dass im Kreither Forst viele Fledermäuse leben, wird die Variante in Bezug auf den Artenschutz wesentlich schlechter bewertet als die Naabtalvariante. In anderen untersuchten Waldgebieten könnte dies bedeuten, dass eine Überspannung notwendig sei, erläutert Fischer. Dadurch könne der Schutz von „Wochenstubenquartieren“, wo die Tiere ihre Jungen aufziehen, oder wichtigen Jagdgebieten gewährleistet werden.

Inzwischen ist es ganz dunkel geworden, die Sterne funkeln am Himmel. Nun sind alle Fledermäuse auf der Jagd. Zur Ortung der Beute und für die Kommunikation senden sie Laute aus, die vorwiegend im Ultraschallbereich liegen. Bis zu 160 Rufe pro Sekunde können erzeugt werden. Manche Töne der Fledermäuse, nämlich sehr tiefe Frequenzen, kann sogar das menschliche Ohr wahrnehmen.

Bereits im Mai waren die Biologen des Instituts im Kreither Forst und haben eine akustische Erfassung von Fledermausrufen durchgeführt. „Dies wurde ergänzt mit Luftbildanalysen, Datenrecherche und Anfragen bei lokal kundigen Experten zu den jeweiligen Flächen“, erklärt Haffke. Einer dieser Experten war beispielsweise Rolf Dorn, der hier 50 Kästen mit Wochenstuben betreut.

Die Biologen haben nicht zufällig die Zeit jetzt im Juli ausgesucht: Gerade säugen die weiblichen Fledermäuse ihre Jungen. „Nur durch den Netzfang vervollständigt sich das Bild über das Artenspektrum in den Flächen. Durch Akustik allein werden nicht alle erfasst“, sagt Höcker. Die ganze Nacht, bis in die frühen Morgenstunden, werden die Wissenschaftlerinnen alle 20 Minuten sämtliche Netze kontrollieren, gefangene Fledermäuse untersuchen und bei reproduzierenden Weibchen waldlebender Arten in ihren Fellen einen Sender GPS anbringen, der nach etwa einer Woche wieder abfalle.

Auf diese Weise könnten nicht bekannte Baumquartiere, zum Beispiel in Spechthöhlen, mit der anschließenden Telemetrie aufgefunden werden. Da, die erste Fledermaus hängt im Netz! Lisa Höcker nimmt sie vorsichtig in die Hand, spreizt die Flügel und führt Messungen und Untersuchungen durch; ihre Kollegin schreibt alles auf. Ganz still hält die kleine Wasserfledermaus, die mit gespannten Flügeln zehn Zentimeter groß ist. Höcker nimmt nun einen knallroten Nagellack in die Hand – nanu?

Die Biologin lacht und erklärt: „Wir markieren die bereits erfassten Tiere.“ Behutsam lackiert sie die Krallen der Fledermaus, die die Ohren spitzt und missmutig blickt. „So, fertig“, sagt Höcker und entlässt sie in die Nacht, wo sie weiter auf Jagd gehen wird. Ein Männchen war es, deshalb hat es keinen Sender bekommen. Nur wenige Minuten haben die beiden Biologinnen Zeit, etwas auszuruhen. Trotzdem haben sie den schönsten Arbeitsplatz der Welt, finden beide übereinstimmend. „Vergangene Nacht waren sogar Sternschnuppen zu sehen.“