Jubiläum
Vom HB-Männchen bis zum Edeka-Opa

Vor zehn Jahren wurde der Regensburger Verbund für Werbeforschung gegründet. Experten untersuchen hier, wie Werbung wirkt.

13.07.2016 | Stand 16.09.2023, 6:49 Uhr
PD Dr. Sandra Reimann zeigt im Magazin der Regensburger Universitätsbibliothek die Tonbänder des Historischen Werbefunkarchivs. −Foto: Knobloch

Werbesprüche bleiben oft im Gedächtnis. „Da weiß man, was man hat“, „Nichts ist unmöglich“ oder „Geiz ist geil!“ verbinden Millionen Menschen sofort mit Persil, Toyota und der Elektrohandelskette Saturn. Als kulturelles Phänomen, mit dem sich eine wissenschaftliche Auseinandersetzung lohnt, wurde Werbung allerdings lange nicht gesehen. Das hat sich inzwischen geändert: Seit zehn Jahren setzt sich derRegensburger Verbund für Werbeforschung (RVW)damit auseinander, wie Werbung wirkt und welche Methoden und Strategien sie verwendet. Mit einem Festakt im Oberen Foyer der Universitätsbibliothek Regensburg wurde das Jubiläum am Dienstagabend gefeiert.

Keimzelle des RVW ist das Historische Werbefunkarchiv, das rund 50 000 Radio-Werbespots aus den Jahren 1948 bis 1987 umfasst – unter anderem für Bärenmarke, Maggi, Persil oder Zentis. Dass diese Sammlung, die der Werbespezialist und Tonstudio-Leiter Prof. Ermut Geldmacher zusammengetragen hatte, heute Forschern aus der ganzen Welt zur Verfügung steht, ist einem glücklichen Zufall zu verdanken. PD Dr. Sandra Reimann, die heutige Sprecherin des RVW, war im Jahr 2003 im Zuge ihrer Dissertation über „Mehrmedialität in der werblichen Kommunikation“ auf das Archiv gestoßen, das damals beim Bayerischen Rundfunk in München lagerte. Auf ihre Initiative hin holten ihr Doktorvater Prof. Dr. Albrecht Greule, der Kanzler der Universität Regensburg, Dr. Christian Blomeyer, und der damalige Leiter der Universitätsbibliothek, Dr. Friedrich Geißelmann, das Werbefunkarchiv nach Regensburg.

Hier wurden die Werbespots zwischen 2004 und 2008 digitalisiert und sind seither über eine Online-Datenbank zugänglich. Mit der Zeit kamen zahlreiche weitere Sammlungen von Hörfunk- und Fernsehwerbung hinzu, darunter das zeitlich an das Historische Werbefunkarchiv anschließende Archiv des Tonstudios OPUS-multimedia.net mit Werbespots aus den Jahren 1986 bis 2000. Sie alle zusammen bilden nun das Regensburger Archiv für Werbeforschung (RAW) der Universitätsbibliothek Regensburg.

Viele Fachrichtungen – ein Verbund

Auf über 800 Regalmetern lagern im Magazin der Unibibliothek Tonbandspulen, VHS-Kassetten, U-Matic-Videobänder, DAT-Kassetten und Filmrollen, die nach und nach digitalisiert werden. Das RAW sei ein Alleinstellungsmerkmal in der nationalen Universitätslandschaft, betonte Uni-Präsident Prof. Dr. Udo Hebel beim Festakt. 736 registrierte Nutzer aus 15 Ländern verzeichnet das Archiv bereits.

Um das umfangreiche Material für Forschung und Lehre zugänglich zu machen, wurde am 28. Juni 2006 der Regensburger Verbund für Werbeforschung gegründet. Dieser organisiert Lehrveranstaltungen, Vorträge und Tagungen, publiziert Bücher undseit 2013 auch eine eigene Online-Zeitschrift. Für das Sommersemester 2017 ist eine Ringvorlesung zu ungewöhnlichen Werbemitteln wie Werbepostkarten, Sky-Writing oder Trikotwerbung geplant.

Von Anfang an war der Verbund interdisziplinär ausgerichtet, beteiligt sind Sprach-, Kultur- und Medienwissenschaftler, Psychologen, Historiker und Juristen ebenso wie Praktiker aus der Werbewirtschaft. „Hier kommen viele unterschiedliche Perspektiven zusammen, das macht es spannend“, findet Jörg Meister von der Kommunikationsagentur „Schultze. Walther. Zahel. GmbH“ in Nürnberg.

Der Kontakt mit Werbepraktikern sei wichtig, um auf dem Laufenden zu bleiben, was aktuelle Trends in der Werbung angeht, findet Reimann. Und hier tut sich einiges, wie Prof. Dr. Guido Zurstiege von der Universität Tübingen am Dienstag in seinem Festvortrag „Bye bye Baron Rocher. Werbeforschung in Zeiten der Werbung nach der Werbung“ zeigte. Ein großer Trend sei die voranschreitende Personalisierung der Werbung. Diese sei keine Erfindung der digitalen Medien – Werbung habe schon immer bestimmte Zielgruppen erreichen wollen, so Zurstiege. Durch die Digitalisierung funktioniere das aber viel besser. „Die Rezipienten werden heute systematisch beobachtet, vermessen, analysiert und zielgenau adressiert.“ Bei den Internetnutzern stellt der Medienwissenschaftler dabei ein „Privacy-Paradox“ fest – einerseits störe es viele, dass auf ihren Daten basierende, passgenaue Werbung eingeblendet werde, andererseits nutzten sie Seiten wie Facebook, Amazon oder Google.

Wenn Werbe-Clips viral werden

In Kombination mit einem weiteren Trend, der voranschreitenden Integration von Werbung und Programm – etwa durch Produktplatzierungen oder Split-Screen-Einblendungen –, werden neue Werbestrategien denkbar. „Bei Fußballspielen wird den Zuschauern künftig vielleicht personalisierte Bandenwerbung angezeigt, weil der SmartTV weiß, wer davor sitzt und das mit den gesammelten Daten verknüpfen kann“, so Zurstiege.

Eine weitere Entwicklung sind ästhetisch oft anspruchsvolle Clips, die sich viral in den sozialen Netzwerken verbreiten –wie der „Heimkommen“-Spot von Edeka an Weihnachten. „Um viral zu werden, müssen diese Spots viel witziger oder provokativer sein als klassische Werbung – sie sollen ja nicht nur ertragen, sondern aktiv geteilt werden“, sagt Zurstiege. Damit steige aber die Gefahr, dass Tabus gebrochen werden. Auch der Edeka-Opa, der seinen eigenen Tod vortäuscht, habe möglicherweise die Befindlichkeiten mancher Zuschauer verletzt. Die fundamentalen Veränderungen in der Werbung stellten auch die Werbeforschung vor neue Herausforderungen, so Zurstiege. Für den RVW gibt es also auch in Zukunft viel zu tun.

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