Ernährung
Die Oberpfalz ist ein Reich für Veganer

In Nabburg ist aus einer Nische ein veganes Imperium herangewachsen. Die Firma AVE gedeiht, doch die Konkurrenz nimmt zu.

02.09.2016 | Stand 16.09.2023, 6:37 Uhr
Christine Hochreiter
Sie gehören zu einem starken Team: Stephan Scherer (Produktmanager Eigenmarke) und Daniela Woywode (Portfolio Manager) im neuen Logistikzentrum −Foto: Schönberger

Sollte es einen Himmel für Veganer geben, Tobias Graf hätte einen Platz darin verdient. In Nabburg jedenfalls glaubt so mancher Weggefährte, dass der Gründer des AVE (Absolute Vegan Empire) Reichs öfter mal nach unten auf sein irdisches Werk schaut. Auch John Gahlert war ein Freund von Graf. Die beiden spielten zusammen in der Metal-Band Deadlock. Als sich abzeichnete, dass der Oberpfälzer den Krebs nicht überleben wird, holte er den Thüringer in die Geschäftsführung. Der denkt mit Herzschmerz an die schwere Zeit des Abschiednehmens von seinem Kumpel zurück: „Ich wohnte in einem Container zwischen der Firma und dem Wohnhaus der Grafs und dachte mir manchmal: Auf der einen Seite entsteht etwas und auf der anderen geht einer.“

2015 war ein heftiges Jahr: Der Kopf der Firma war am 2. September 2014 mit erst 35 Jahren gestorben, der Umzug in das neue Gebäude samt Logistikzentrum war mitten im laufenden Geschäft zu bewerkstelligen. Aber das AVE-Team um Grafs Frau Heike und Gahlert hat diesen enormen Kraftakt gemeistert. Das Unternehmen strotzt vor Energie. John Gahlert: „Das Thema Veganismus hat unglaublich Fahrt aufgenommen. Inzwischen bedienen wir rund 50 Prozent des deutschen Lebensmittelmarktes mit veganen Produkten.“ Von Nabburg aus werden 35 Länder beliefert. 80 Prozent des Umsatzes werden allerdings in Deutschland erzielt. Heute sind vegane Nahrungsmittel ein Mega-Trend. Hauptumsatzträger sind Fleisch- und Käsealternativen, Süßigkeiten und veganes Tierfutter.

Der engagierte Tierschützer Tobias Graf war 2001 als Großhändler für vegane Produkte gestartet. Laut Gahlert war er damit der Vegan-Pionier in ganz Europa. Von da an ging es bergauf. 2006 übernahmen die Oberpfälzer mit dem Online-Shop Alles-vegetarisch.de einen Kunden (der Shop heißt heute noch so, obwohl ausschließlich vegane Produkte angeboten werden). Das Ziel war es, diese Ernährungsform einer breiteren Bevölkerungsschicht zur Verfügung zu stellen.

Der Region verpflichtet

John Gahlert ist selbst seit acht Jahren überzeugter Veganer. „Wer bei uns arbeiten will, sollte schon hinter unserer Philosophie stehen“, sagt er. AVE beschäftigt aktuell 85 Mitarbeiter und bildet insgesamt acht junge Leute aus. „Wir sehen uns der Region verpflichtet“, sagt Gahlert. „In der Oberpfalz gibt es viele kluge Köpfe, die wir fördern und denen wir interessante Perspektiven bieten wollen.“ Täglich verlassen bis zu 2000 Sendungen den Firmensitz im Gewerbegebiet Nabburg. Man haben großen Wert darauf gelegt, dass der Neubau umwelt- und mitarbeiterfreundlich gestaltet wurde, betont der Geschäftsführer. So gebe es beispielsweise das System der Jobrotation. Im Logistikzentrum wechselten sich die Beschäftigten ab. Gahlert: „Damit auch keiner längere Zeit im Kühlhaus arbeiten muss.“

„Wer hätte gedacht, dass Algengewürz einmal ein Verkaufsrenner wird?“Geschäftsführer John Gahlert

Rund 2500 Produkte haben die Oberpfälzer im Sortiment. Sie profitieren auch davon, dass die vegane Ernährung viele Möglichkeiten für Allergiker bietet. Eine eigene Scouting-Abteilung ist ständig auf der Suche nach neuen Trends und coolen Produkten. Gahlert: „Wir haben es mit einem schnelllebigen Thema zu tun. Da ist jeden Moment etwas anderes in.“ Im veganen Mikrokosmos sind gerade sogenannte Superfoods – Beeren und Samen mit so exotischen Namen wie Açaí, Chia, Goji oder Maqui – angesagt. Und wer hätte gedacht, dass Algengewürz einmal ein Verkaufsrenner wird?

Ein Video aus dem Logistikzentrum von AVE sehen Sie hier.

Privatkunden bestellen ein- bis zweimal im Monat für einen durchschnittlichen Warenwert von 50 Euro. 75 Prozent sind internen Erhebungen zufolge Wiederholungstäter. Die Kunden stammen oft aus dem ländlichenRaum, wo die Versorgung mit veganen Produkten nach wie vor schwierig ist, Die Altersgruppe 18 bis 36 Jahre weiblich ist stark vertreten, ab 43 Jahren weiblich ebenso. Gahlert: „Dazwischen ist ein kleines Loch.“ Nach dem Einkauf im veganen Online-Supermarkt werden Obst und Gemüse dann stationär zugekauft.

Das AVE-Imperium steht auf mehreren Vertriebsbeinen. Die Oberpfälzer beliefern neben den Endkunden über ihren Online-Shop Lebensmitteleinzelhändler wie Rewe oder Edeka, Caterer sowie die Gastronomie und Hotellerie. 45 Prozent des Umsatzes entfallen auf die Eigenmarke Vantastic Foods. Trotz Zuwachsraten, von denen andere Firmen nur träumen können, blicken die Nabburger mit Argusaugen auf den Markt. In den vergangenen Jahren sind völlig neue Wettbewerber hinzugekommen – wie etwa der Wursthersteller Rügenwalder Mühle, der mit neuen Angeboten auf den Trend aufgesprungen ist. Laut Gahlert gibt es seit dem Markteintritt von AVE vor allem mehr Anbieter für Alternativen zu Fleisch und Wurst.

„Wir wollen einen Mehrwert bieten“

Die Nabburger haben eine Philosophie: „Es läuft alles über Geschmack und Qualität. Wer einmal etwas Veganes gegessen hat und es scheußlich fand, der wird es wieder lassen“, ist Gahlert überzeugt. In einen Wettbewerb um die billigsten veganen Produkte will man bei AVE jedenfalls nicht einsteigen. Das passe auch nicht zur Unternehmensethik.

Beim Thema vegane Ernährung gebe es insgesamt einen hohen Informations- und Gesprächsbedarf. Daher hat man in Nabburg eine eigene Beratungsabteilung installiert. Der Geschäftsführer: „Wir wollen nicht nur Produkte verkaufen, sondern auch einen Mehrwert bieten.“ Kompetente Mitarbeiter informierten unter anderem über Inhaltsstoffe und gäben Tipps für die Zubereitung von Speisen. Analog gebe es auch für die Großkunden einen „Veggie“-Service – von der Kochschulung bis hin zum strategischen Aufbau des Sortiments.

Für einen Mittelständler bedeutet es laut Gahlert eine riesige Kraftanstrengung, mit den Großen mitzuhalten und mit ihnen zu verhandeln. Man versuche, das eigene Ding so gut wie möglich und so konsequent wie möglich zu machen. Bislang funktioniert das offensichtlich prächtig: Im laufenden Jahr rechnet man bei AVE mit einem Umsatz von 15 Millionen Euro – ein Plus von 20 Prozent. Auch für 2017 wird ein Zuwachs in einer ähnlichen Größenordnung erwartet. Die Tür für eine vegane „Volksversorgung“ sei noch nie so weit offen gestanden, sagt der Geschäftsführer. Dem „Tobi“ oben wird das gefallen.