Prozesse
Aufgabenberg für Regensburgs Justiz

Die Absage des Geiselhöring-Verfahrens am Landgericht sorgt für Wirbel. Die neue Präsidentin schildert die Personalnot.

06.09.2019 | Stand 16.09.2023, 5:30 Uhr

Sibylle Dworazik ist die neue Regensburger Landgerichtspräsidentin. Ihr Start fällt zusammen mit großen Verfahren, die im Herbst beginnen. Foto: Straßer

Geplant war der Einstand vermutlich anders. Die neue Regensburger Landgerichtspräsidentin holt kurz Luft. „Ich glaube das brennt ein bisschen“, leitet Sibylle Dworazik ein Statement ein, das ihr gleich zu Beginn wichtig ist. Dworazik hat die Presse eingeladen. Eigentlich zu einer unverfänglichen ersten Kennenlernrunde, aber unversehens steckte dann doch aktuelle Brisanz in diesem Termin. Denn Mitte der Woche hat eine Entscheidung des Landgerichts für Aufsehen gesorgt. Beim Landrat von Straubing-Bogen, Josef Laumer, nach eigenen Worten sogar für Entsetzen.

Es geht um die Hauptverhandlung im Strafverfahren wegen Manipulationsvorwürfen bei der Kommunalwahl 2014 im niederbayerischen Geiselhöring. Ein angeklagter Spargelbauer und einige seiner Mitarbeiter sollen Briefwahlstimmzettel von mehr als 400 Erntehelfern ausgefüllt oder diese bei der Stimmabgabe beeinflusst haben. Damit wollten sie laut Anklage den örtlichen CSU-Kandidaten helfen, unter anderem der Ehefrau des Angeklagten.

Der Mann bestreitet das. Die Erntehelfer hätten als EU-Bürger an den Kommunalwahlen teilnehmen dürfen, argumentierte er. Der Prozess muss verschoben werden. Das ist nicht das erste Mal. Zuerst tauchte neues Beweismaterial auf. Dann brauchten Verteidiger mehr Zeit für ein Gutachten. Im Frühjahr dieses Jahres platzte der Prozessbeginn schließlich wegen gesundheitlicher Probleme des Angeklagten. Der Grund für die inzwischen vierte Verschiebung des Verfahrens liegt aber nun beim Landgericht: Dort herrscht Personalnot. 18 Richter fehlen derzeit, hieß es zur Begründung. Das will Dworazik erklären. Insbesondere wie diese Zahl zustande kommt.

Dieselklagen wirken sich aus

Eines gleich vorweg: Es geht dabei nicht um unbesetzte Richterstellen, wie man im ersten Augenblick annehmen könnte. Ausgespuckt hat diese Zahl vielmehr das Personalbedarfsberechnungssystem der Justiz. Das System berechnet, wie viele Richter notwendig wären, um die eingegangenen Verfahren abzuarbeiten. Am Landgericht Regensburg wären das derzeit 61 Richter. Es arbeiten aber lediglich 43 Richter dort. Dass sie gerade mit Arbeit überhäuft werden, hat mit den sogenannten Dieselklagen zu tun. Das Landgericht Regensburg gehört zu den Gerichten in Bayern, die davon regelrecht überschwemmt werden. Dworazik spricht von einer „Flutwelle“. Etwa 1000 Verfahren wurden allein im vergangenen Jahr erledigt, rund 550 sind aktuell noch am Laufen.

Hinzu kommt, dass die Regensburger Strafkammern mit sehr komplexen Verfahren konfrontiert sind. Im Herbst stehen zwei große Prozesse an. Zum einen beginnt Ende September das Verfahren um den ehemaligen Geschäftsführer des niederbayerischen Unternehmens Bayern-Ei. Das Programm der Beweisaufnahme ist noch nicht komplett festgezurrt. Aber es steht bereits fest, dass mehr als 120 Zeugen und vier Sachverständige geladen werden, um den Salmonellen-Skandal aufzuklären.Zum anderen steht ab Anfang Oktober Regensburgs suspendierter Oberbürgermeister Joachim Wolbergs in einem zweiten Korruptionsverfahren vor Gericht. Mit ihm sitzen drei Bauunternehmer auf der Anklagebank. 22 Verhandlungstage sind vor der fünften Strafkammer des Landgerichts terminiert.

Herausforderung:Laufbahn:Lieblingsplatz:
Die 62-jährige Juristin Sibylle Dworazik ist seit Juli neue Landgerichtspräsidentin in Regensburg. Sie habe sich noch einmal eine große berufliche Herausforderung gewünscht, erklärt sie.Vor dem Wechsel nach Regensburg war sie Präsidentin des Landgerichts Ingolstadt. Dworaziks Laufbahn in der bayerischen Justiz begann bei der Staatsanwaltschaft München II, Zweigstelle Ingolstadt. Sie war außerdem Richterin am Landgericht Ingolstadt in verschiedenen Zivilkammern sowie einer Großen Strafkammer und Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht München.Zu Regensburg hat Dworazik eine private Verbindung, denn ihr Mann kommt von hier. Dadurch sei ihr die Stadt bereits vertraut. Auf die Frage nach einem Lieblingsplatz in der Stadt, antwortet sie, dass sie gerne am Haidplatz sitze.

Gericht musste abwägen

Vor dieser Strafkammer hätte auch der Geiselhöring-Prozess stattfinden sollen. Aber aufgrund der Überlastungssituation bekommen jetzt Anklagen Vorrang, bei denen Angeklagte in Untersuchungshaft sitzen. Auch das Wolbergs-Verfahren stand auf dem Prüfstand. Dworazik schildert, dass man abgewogen habe. Eine Rolle spielte die Zahl der Angeklagten und da hat man es im Wolbergs-Verfahren mit vier zu tun, während es im Geiselhöring-Prozess nur um einen Beschuldigten geht. Um solche für Juristen schmerzliche Entscheidungen vermeiden zu können, hofft Dworazik auf mehr Richterstellen. „Wir nehmen jeden Strohhalm“, sagt sie. Denn gutes Recht bedeute auch schnelles Recht.

„Wir brauchen Hilfe, weil wir für den Bürger arbeiten wollen.“Sibylle Dworazik, Regensburgs neue Landgerichtspräsidentin

Die Überlastung der Gerichte ist immer wieder ein Thema. Das Justizministerium verweist darauf, dass man in den vergangenen Jahren bereits reagiert habe. 2000 neue Stellen seien von 2013 an geschaffen worden, davon 330 für Richter und Staatsanwälte. Neben mehr Stellen sei es aber auch wichtig, dass die Bundesregierung ein strafferes Strafprozessrecht auf den Weg bringt, merkt Sven Rebehn, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, an. Das gelte umso mehr, als immer neue Aufgaben auf die Justiz zurollen. Rebehn führt dazu aus: „Während die Zivilgerichte derzeit zahlreiche Klagen von Dieselfahrern und von Flugreisenden wegen verspäteter Flüge zu bewältigen haben, bringen schwierige Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Kliniken und Kassen die Sozialgerichte unter Druck. Das Justizministerium hat zudem gerade ein Gesetz für schärfere Unternehmenssanktionen vorgeschlagen, das die Staatsanwaltschaften zusätzlich fordern wird.“