Menschen Der Doktor mit dem großen Herz
Dr. Michael Reng war Kabarettist, das Geld reichte nie. Er spricht über arrogante Ärzte, Prostituierte und Gerhard Polt.

Poikam.Dr. Michael Reng ist eben zuhause eingetroffen. Es ist spät geworden, weil sich der neue Kelheimer Feuerwehrchef und sein Team in der Goldberg-Klinik vorgestellt haben. Chefarzt Reng leitet dort die Innere Medizin. Die Zusammenarbeit ist wichtig, denn das Krankenhaus bekommt einen neuen OP-Saal und eine neue Intensivstation. „Während der Baumaßnahme kann immer was passieren“, sagt Reng. Der 57-Jährige schenkt sich Kaffee ein. Dann reiht er nonstop Anekdoten aneinander, trägt bitterböse Kabarettstücke vor und führt durch sein Arbeitszimmer mit tausend Erinnerungsstücken.

Herr Dr. Reng, eigentlich wollten Sie nie Arzt werden. Sie sind als Kabarettist aufgetreten.
Vor dem Studium habe ich mit Kabarett angefangen, aber es hat nicht zum Leben gelangt. Ich war deshalb parallel Pflegehelfer im Nürnberger Klinikum und habe meine Schichtdienste immer so gelegt, dass ich auftreten konnte. Damals waren Ärzte extrem negativ besetzt für mich. Ich mochte sie nicht, weil sie so arrogant aufgetreten sind.
„Überfallen wurde ich auch. Es war eine wunderschöne Zeit.“
Der Herr Professor hat jeden Tag den Kittel in die Ecke geworfen. Es war mein Job, die echt goldenen Knöpfe auszuknöpfen, einen neuen Kittel zu bügeln und die Knöpfe wieder anzubringen. Meine Eltern waren so traurig, dass ihr einziges Kind nicht studieren wollte.
Sie haben sich so über die Ärzte geärgert, denen sie Leberkässemmeln holen und dann
auch noch bezahlen mussten, dass sie sich zum Studium entschlossen.
Ja. Ich habe mir gedacht, ich muss was ändern. Ich wurde ausgelost für den Mediziner-Test. Eine Woche lang habe ich jeden Tag den Test geübt, wie ein Depp gepaukt und nur Fisch gegessen, weil ich ganz naiv dachte, das sei Nervennahrung. Ein anderer Testteilnehmer sagte: „Ich habe mich auf den Malediven entspannt und werde die Praxis meines Vaters übernehmen.“ Naja, nach der Pause ist er nicht mehr angetreten. Und ich war einer der zwei Test-Besten in Deutschland.
Ihr Studium haben Sie mit Taxifahren finanziert.
Taxifahren ist klasse. Erst steigt der Sturzbesoffene ein, der kein Geld hat, dann ein edles Paar, das zum Opernball will oder eine Dame vom „Gewerbe“, die nach Hause möchte. Keiner soll sehen, was für ein Auto sie fährt.
Eine Prostituierte steigt ein und sagt: „Zum TÜV!“ Ich fahre zum TÜV. Die ruft aus: „Du Depp, wo fährst denn du hin? Ich will zum Gesundheitsamt.“ Überfallen wurde ich auch. Es war eine wunderschöne Zeit.
Im Video sehen Sie Dr. Michael Reng zuhause
Wie ging es mit dem Kabarett weiter? Sie sind in ganz Bayern auf der Bühne gestanden.
Mit unserer Gruppe „Kläranlage“ hatten wir von Donnerstag bis Sonntag Auftritte in München vereinbart. Am zweiten Tag kam der Veranstalter und forderte uns auf, die zwei Nummern über die damals aufstrebenden rechten Republikaner wegzulassen. Das haben wir nicht getan, aber dann auch kein Geld gekriegt. Da wurde mir klar, dass du erst sagen kannst, was du willst, wenn du ganz oben angekommen bist. Sogar dem Polt hat das ZDF gesagt, was er nicht sagen soll. Er stand also zehn Minuten auf der Bühne und stellte immer wieder fest: „Ich hätte was zu sagen, aber ich soll ja nicht.“ Das Publikum amüsierte sich köstlich. Wenn du nicht da oben hinkommst, wird es allerdings schwierig.

Sie fahren nach wie vor als Notarzt raus. Warum?
Das mache ich seit 1989 und es gehört für mich dazu. Ein Patient aus Riedenburg kam heute Nacht in die Goldberg-Klinik. Ihn drückt es so auf der Brust, sagte er. Kurz darauf blieb sein Herz stehen. Er musste wiederbelebt werden. Ich habe ihn als diensthabender Notarzt zur Universitätsklinik gebracht. Wenn er selbst nach Regensburg fahren hätte müssen, wäre er bei Bad Abbach tot gewesen. Diese Geschichte zeigt, dass eine flächendeckende Notfallversorgung Sinn macht. Das kostet was. Auch Polizei und Feuerwehr kosten was. Wir sind die Gesundheitsfeuerwehr

Ist die Notfallversorgung auf dem Land in Gefahr?
Natürlich. Die Leistungen der kleinen Krankenhäuser werden sehr schlecht vergütet. Deshalb haben wir an der Goldberg-Klinik ein Defizit von drei Millionen Euro. Auch für einen 90-Jährigen, der eine neue Hüfte braucht, weil er aus dem Bett gefallen ist, bekommen wir nur die Fallpauschale. Er bleibt aber viel länger stationär als ein junger Sportler. Die Hüfte braucht er, sonst kann er nicht mehr zur Toilette gehen und wird zum Pflegefall. Wir können uns nicht aussuchen, wen wir operieren, haben also viele, die teuer sind, und bei denen nicht immer ein ideales Ergebnis erzielt werden kann. Die Daseinsberechtigung der kleinen Häuser ist die Notaufnahme.
Warum?
Ein Beispiel: Ein Einjähriger, dessen Körper zu 30 Prozent verbrüht war, wurde zu uns gebracht. Wir haben ihn ins künstliche Koma versetzt, damit er die Schmerzen nicht mehr spürt, dann wurde er versorgt, damit er sicher in eine Münchner Spezialklinik für Verbrennungen geflogen werden konnte. Es geht auch um die mehr oder minder unbezahlte Erstversorgung, damit der Patient keinen weiteren Schaden nimmt.

Mit zwei Kollegen und Ideen haben Sie für die Regensburger Kinder-Uniklinik gesammelt.
Wenn mich irgendwas im Leben reizt, ist es, wenn alle sagen, das geht nicht. Bei KUNO haben alle gesagt, das kann nichts werden. Wir, der frühere Uniklinik-Verwaltungsdirektor Dr. Hans Brockard, Pressesprecherin Cordula Heinrich und ich, hatten 2004 nach drei Monaten die erste Million gesammelt. Auch wegen der Medienpartnerschaft mit der Mittelbayerischen. Das sage ich jetzt nicht, weil Sie da sitzen.
Reng erhielt den Felix Burda Award
Wie haben Sie das erreicht?
Wir wollten die Mehrheit der Bevölkerung ansprechen, nicht nur den Golfclub. Wir haben von Conrad Electronic tatsächlich eine Million gekriegt und von drei Kindern aus Piesenkofen 3,70 Mark, weil sie Gänseblümchen an die Nachbarn verkauft haben. In einem Bierzelt in Rosenhof habe ich KUNO-Shirts angepriesen. Zum Schluss hat das ganze Bierzelt „Anziehen!“ statt „Ausziehen!“ gebrüllt. Insgesamt wurden zehn Millionen Euro gesammelt. Ich war so lange bei KUNO aktiv, bis die Klinik 2010 in Betrieb ging.

Ist die Goldberg-Klinik in Gefahr?
Ja, weil die kleinen Häuser wenig Chancen haben, sich in den Vergütungsverhandlungen
sinnvoll darzustellen. Unsere großen Probleme heißen aber Pflegenotstand und Herzkatheter.
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat beschlossen, dass Kliniken mit Notaufnahme unserer
Größenordnung einen Herzkatheter brauchen. Das Geld dafür stellt unser Träger sogar
zur Verfügung, wir schaffen es personell aber nicht, 24 Stunden ein Herzkatheterlabor
zu betreiben. Wir brauchen – wie auch andere, größere Krankenhäuser – die kollegiale Hilfe des Uniklinikums oder der Barmherzigen Brüder, sonst wird es entweder ein ruinöser Wettbewerb oder
das Ende der Notaufnahme und damit der Goldberg-Klinik.
Wovon träumen Sie?
Davon, dass ich es irgendwie schaffe, die vier bis fünf Bücher mit Geschichten zu schreiben, die ich im Kopf habe.
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MZ-Serie: Alles ausser gewöhnlich
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Die Serie:
Es gibt Menschen, die auf eine spezielle Weise leben oder die Dinge auf ganz eigene Art anpacken. Sie sind „alles außer gewöhnlich“. -
Die Autorin:
Marion Koller wundert sich, wie viel manche Menschen unter einen Hut bekommen. Dr. Michael Reng etwa hat auch noch Familie. Er räumt aber ein: „Gott sei Dank hatte ich nicht so viel Zeit wie andere. Das würde keiner aushalten. Die Familie lacht bloß immer, wenn ich die nächste verrückte Idee habe.“
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