Tradition
Der Leberkäs ist eigentlich ein Pfälzer

Der wie das Bier zur bayerischen Identität gehörende Leberkäs ist eine rheinische Erfindung. Das gibt sogar die bayerische Staatsregierung zu.

13.05.2013 | Stand 16.09.2023, 21:04 Uhr
Harald Raab

Traurig, aber wahr: Ein Mannheimer Metzgermeister ist der Erfinder des bayerischen Leberkäs. Foto: Fotolia

Es ziehen dunkle Wolken am sprichwörtlich weißblauen Himmel über München auf: Sie werden mit vollen Backen von den Kurpfälzern an Rhein und Neckar herübergeblasen. Die rüsten nämlich zum großen Wittelsbacher-Jubiläum – und nehmen nicht ganz ohne Genuss ein wenig Rache an den Bayern. Im Jahr 1214 übertrug der Stauferkaiser Friedrich II. die Pfalzgrafschaft bei Rhein an die Wittelsbacher. So weit, so gut. Das ergab 600 Jahre Wittelsbacher-Herrschaft in der Pfalz. Hier ein weinseliges blühendes Land, dort das als etwas rückständig verrufene Bayern. Nach Pfälzer Lesart haben die Wittelsbacher aus Mannheim und Zweibrücken den Bayern entscheidende Entwicklungshilfe geleistet.

Um das Maß voll zu machen, wird ein in Bayern gut gehütetes Geheimnis beim großen Ausstellungsprogramm in Mannheim gelüftet: Der als urbaiowarisch geltende Leberkäs ist eine Mannheimer Erfindung. Beim Leberknödel kann man wenigstens noch sagen: Nix G’wiss woaß ma net. Die Dampfnudel jedenfalls wurde urkundlich zuerst in der Pfalz erwähnt. Und natürlich ist der Englische Garten in München ein Ableger des berühmten Schwetzinger Schlossgartens. Alexander Schubert, der die drei Länder – Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen – übergreifende Ausstellung in den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen managt, hat es vom bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten schriftlich: Der Leberkäs ist ein Pfälzer G’wachs.

Nach Pfälzer Lesart begann das bayerische Glück mit dem Aussterben der regierungsfähigen Wittelsbacher-Linie an der Isar. Kurfürst Carl Theodor (geboren 1724 bei Brüssel, gestorben 1799 in München) muss einen gehörigen Schrecken bekommen haben, als er in seinem prächtigen Barock-Schloss am Mannheimer Rheinufer erfahren hat, dass Bayerns Kurfürst Max III. Joseph 1777 in der etwas düsteren Münchner Residenz das Zeitliche gesegnet hat. Dabei war der doch jünger als der Mannheimer Verwandte. Nach dem Wittelsbacher Hausvertrag musste Carl Theodor das bayerische Erbe antreten und an die Isar umziehen. Er tat es mit Sack und Pack, mit beachtlichen Kunstschätzen und seinen Bediensteten. In Mannheim ließ er nur seine Gattin Elisabeth Auguste und seine vier illegitimen Kinder zurück.

Für die Hofküche war auch ein Mannheimer Metzgermeister im kurfürstlichen Gefolge. Seine Name ist nicht überliefert, aber die unumstößliche Tatsache, dass er der Erfinder des bayerischen Leberkäs ist. Pasteten waren ja damals an den europäischen Höfen sehr in Mode, war es doch mit dem zum Teil fürchterlich kariösen Kauwerkzeug der hochgestellten Persönlichkeiten recht schlecht bestellt. Der Mannheimer Metzger zerkleinerte Rind- und Schweinefleisch, tat Speck, Zwiebeln, Wasser, Salz, Majoran und Pfeffer hinein und füllte die Fleischmasse in eine kastenartig, längliche Form. Die Kreation kam in den Ofen und wurde gebacken, so dass sich außen eine braune Kruste ergab und innen das Fleisch noch schön rosa und saftig blieb. Nicht nur an der Hoftafel ließ man sich den Leberkäs munden. Er wurde zur bayerischen Volksspeise. Als die ist er über die weiß-blauen Grenzen hinaus bekannt geworden.

Extrawurst für Bayern

Bleibt nur noch zu klären, wie es zu dem Namen Leberkäs gekommen ist. Denn dieses Fleischgericht kommt eigentlich ganz ohne Leber aus. Der Regensburger Mundartforscher Ludwig Zehetner weiß Rat. Der Wortteil Leber habe sich aus Loabi oder eben Laib wie Brotlaib entwickelt. Und a Kas oder Käs ist eine essbare Masse. Die deutsche Lebensmittelverordnung sieht in der Bezeichnung Leberkäse freilich eine Irreführung des Verbrauchers. Deshalb muss überall in deutschen Landen im Leberkäse ein, wenn auch geringer Anteil Leber enthalten sein. Ist keine Leber drin, darf er nur als Fleischkäse verkauft werden. Eine Extrawust gibt es nur für Bayern. Hier siegte die traditionelle Bezeichnung über die Transparenz für die Konsumenten. Es gibt aber noch eine lokalpatriotische Mannheimer Erklärung für die Bezeichnung Leberkäs. Besagter Metzger habe natürlich kurpfälzische Mundart gesprochen und da klinge halt „Laib Kas“ wie „Lääba Käs“.

Bei einer anderen bayerischen wie Pfälzer Leibspeise ist nicht auszumachen, wo ihr Geburtsort ist – beim Leberknödel. Er jedenfalls enthält auch in Bayern garantiert Leber. Hier schwimmt er in einer Suppe und ist aus Rinderleber. In der Pfalz wird er meist etwas größer aus Schweineleber und Schweinefleisch geformt und auf Sauerkraut zu Kartoffelpüree verspeist. Bei der Dampfnudel tun sich schon wieder zwei Welten auf. In Bayern bevorzugt man die süße Variante, in Milch oder Vanillesoße. Die Pfälzer haben da einen anderen Geschmack. Der Hefekloß wird gern mit Salzkruste serviert und mit einer Kartoffelsuppe aufgetragen. Eine kräftige Weinsoße kann man auch dazu genießen. Allerdings legen die Pfälzer Wert darauf, dass die Dampfnudel zum ersten Mal in ihren Landen urkundlich erwähnt worden ist.

Bei der Laugenbreze hingegen haben endlich einmal die Bayern die Nase vorn, natürlich auch nur in der Ägide der pfälzischen Wittelsbacher. Die Laugenbreze erblickte 1839 in der Backstube des Königlichen Kaffeehauses in der Münchner Residenzstraße das Licht der Welt – wenn auch nur aus Versehen. Der Bäcker Anton Nepomuk Pfannenbrenner hatte die frischen Brezen statt mit einer Zuckerglasur mit einer Natronlauge bestrichen. Die neue Brezenkreation schmeckte den Gästen vortrefflich, nicht zuletzt auch zum Leberkäs.

Geliebt haben die Münchner ihren neuen Kurfürsten deshalb noch lange nicht. Auch haben sie mit ziemlichen Undank die Gründung des Englischen Gartens quittiert. Carl Theodor gab den Anstoß zu dieser wunderbaren Parkanlage im englischen Stil, weil er seine Sommerresidenz Schwetzingen mit einer der schönsten Parkanlagen Deutschlands so sehr vermisste. Die Bayern konnten mit dem frankophilen Herrscher nichts anfangen. Sie waren ihm gram, weil er die kirchlichen Feiertage und das fröhliche Wallfahren einschränkte, eine pfälzische und sogar ausländische Beamtenschaft bevorzugte, es mit dem Eintreiben der Steuern ernst meinte und die alte Ständeordnung durcheinanderwirbelte. Bei der gegenseitigen Abneigung wundert es einen nicht, dass Carl Theodor mit den Österreichern das schöne Bayernland gegen die wichtigsten Teile der Habsburger Niederlande eintauschen wollte. Den Bayern hätte das gepasst, nicht allerdings dem Preußenkönig Friedrich dem Großen. Der vereitelte den Deal.

Noch eine Pfälzer Erfindung

Mit dem Pfälzer Import konnte man sich in Bayern erst so recht beim Nachfolger Carl Theodors anfreunden. König Maximilian I. Joseph, der aus der Linie Pfalz-Zweibrücken stammte, verheiratete 1810 seinen Sohn Ludwig mit der Prinzessin Therese. Aus diesem Anlass lud der Bankier Andreas Michael Dall’ Armi zu einem Pferderennen auf der späteren Theresienwiese ein. Das Oktoberfest war gegründet.

Und noch eine Pfälzer Erfindung wird im Wittelsbacher-Jahr in Mannheim nicht vergessen. Ohne sie gäbe es den Siegeszug der Blue Jeans gar nicht. Den Anstoß dazu gab König Ludwig II. Der Märchenkönig benötigte für seine Venus-Grotte in Schloss Linderhof Lampen, die ein sattes Licht in Lapislazuli-Blau spenden sollten. Den Auftrag dazu bekam die junge BASF in Ludwigshafen. Die Chemiker forschten eifrig und konnten schließlich synthetisches Indigo herstellen. Die Massenproduktion dieser Farbe ist heute für das traditionelle Einfärben des BlueJeans-Stoffes unerlässlich.