Krebsgefahren
Dicke und Große mit hohem Krebsrisiko: Neue Regensburger Studie rüttelt auf

04.02.2023 | Stand 15.09.2023, 1:46 Uhr
Krebszellen werden durch den Fettanteil im Körper und auch durch die Körpergröße begünstigt. −Foto: dpa

Mit dem Gewicht wächst das Krebsrisko. Auch großgewachsene Menschen leben in höherer Gefahr: Das sind die Ergebnisse einer neuen Studie der Regensburger Forscherin Anja Sedlmeier. Sie hatte Daten aus neun Ländern EU-Ländern ausgewertet.



Sie haben vier Körperformen identifiziert, drei davon mit hohem Risiko für spezielle Krebserkrankungen. Was ist das Ziel Ihrer Forschung? Wollen sie Betroffene wachrütteln oder Ärztekollegen Hinweise geben?

Anja Sedlmeier:Wachrütteln ist vielleicht ein bisschen extrem formuliert, aber wir wollen es auf jeden Fall in die Köpfe bringen. Letztendlich wollen wir in der breiten Bevölkerung ein größeres Bewusstsein dafür schaffen, dass bestimmte Körperformen mit bestimmten Risiken einhergehen. Wir hoffen, dass unsere Forschungsergebnisse auch für unsere Ärztekollegen von Vorteil sind. Unser großes Ziel ist, dass Patienten irgendwann einmal zu ihrem Hausarzt gehen, er sie dann in einem Risiko-Score einordnet und frühzeitig in die Prävention einsteigt. Was wir jetzt vorgelegt haben, ist der Anfang. Wir werden in den kommenden Jahren genau herausarbeiten: Welche Art von Körperfett spielt eine Rolle? Welchen Einfluss hat die Körperzusammensetzung? Dabei kooperieren wir auch mit der Forschungsabteilung der Weltgesundheitsorganisation WHO.



Körperform 3 mit Fett in der Bauchregion öffnet nach ihrer Studie die Tür für zwölf Krebserkrankungen. Das ist im Vergleich der höchste Wert. Warum tragen diese Menschen scheinbar das höchste Risiko?

Anja Sedlmeier:Das stimmt so nicht. Die Anzahl der möglichen Krebserkrankungen sagt nichts über die Höhe des konkreten Krebsrisikos aus. In diesem Punkt haben wir bei Körperform 1 mit übermäßigem Fettanteil am gesamten Körper einen viel stärkeren Zusammenhang festgestellt. Bei Körperform 3 mit Fettgewebe in der Bauchregion gehen wir im übrigen davon aus, dass das tieferliegende Fett der hauptausschlaggebende Faktor ist.

Heißt das, es gibt „gutes“ und „schlechtes“ Fett?

Anja Sedlmeier:Überspitzt gesagt: Ja. Es gibt das so genannte Unterhautfettgewebe, das sich vor allem an Hüfte und Gesäß anlagert. Es wird nicht mit so vielen Erkrankungen in Verbindungen gebracht. Und dann gibt es das tieferliegende Fett, das die Organe umhüllt. Es ist mit vermehrten Entzündungsreaktionen verbunden und mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit, Erkrankungen zu entwickeln.

Empfehlen Sie Übergewichtigen schlicht und einfach Diät? Wäre das Risiko mit dem Schlankwerden wieder erloschen oder ist der Schaden dann schon angerichtet?

Anja Sedlmeier:Bei Körperform 1 und 3 empfehle ich nicht nur Diät, sondern einen gesunden Lebensstil mit mehr Sport, viel Bewegung und weniger Sitzen. Der einmal angerichtete Schaden ist damit nicht erloschen, aber das Risiko, an Krebs zu erkranken, ist auf jeden Fall minimiert.



Potenziert sich das Krebsrisiko mit der Höhe des Übergewichts?

Anja Sedlmeier:Davon gehen wir aus. Je extremer die Körperform ausgeprägt ist, desto mehr steigt das Risiko.

Ein Sonderfall ist Körperform 2: Großgewachsene Menschen mit gleich breiter Taille und Hüfte tragen selbst bei Normalgewicht erhöhtes Risiko. Warum?

Anja Sedlmeier:Bei großen Menschen haben wir unter anderem einen verstärkten Zusammenhang mit Hautkrebs festgestellt. Grundsätzlich gilt: Je größer ein Mensch ist, desto mehr Oberfläche und Zellen hat er. Damit steigt das Risiko, das sich – anders als beim Übergewicht – auch kaum persönlich reduzieren lässt.

Was heißt denn eigentlich „groß“ genau? Ab wann rutschen Männer und Frauen ins Risiko?

Anja Sedlmeier:Wir sind dabei, Werte zu definieren, ab wann das Risiko um welchen Faktor erhöht ist.

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Nur die athletischen Menschen – Sie sprechen von Körperform 4 – sind laut Ihrer Studie aus dem Schneider. Doch auch Sportliche bekommen doch Krebs.

Anja Sedlmeier:Das stimmt. Wir haben uns in unserer Studie auf den reinen Effekt der Körperform konzentriert und alle anderen Faktoren wie etwa Rauchen oder Alkoholkonsum anhand unserer statistischen Modelle herausgerechnet. Individuelle Faktoren bleiben aber natürlich bestehen.

Sie haben Ihre Arbeit im British Journal of Cancer veröffentlicht. Gab es schon Reaktionen aus der Fachwelt?

Anja Sedlmeier:Es gibt positives Feedback. Die Wissenschafts-Community ist sehr interessiert, weil ihr bewusst ist, dass der Body-Mass-Index als bisheriger Maßstab ein zu limitiertes Instrument ist. Denn er berücksichtigt nicht Körperzusammensetzung, das Verhältnis von Muskel- und Fettmasse und die Art des Fettgewebes.

Viele Menschen in Bayern sind übergewichtig. Was ist die Konsequenz? Steuern wir ohne Gegenmaßnahmen auf eine Krebswelle zu?

Anja Sedlmeier:Tatsächlich steigt die Anzahl der Krebsfälle zunehmend. Wir versuchen als Epidemiologen und Präventivmediziner, rechtzeitig gegenzusteuern.

Europaweite Studie

Studie:Dr. Anja Sedlmeier vom Lehrstuhl für Epidemiologie und Präventivmedizin der Universität Regensburg hat mit einem Forscherteam in einer europaweiten Studie den Einfluss von Körperformen auf das Krebsrisiko untersucht. Zu den Partnern zählt die Weltgesundheitsorganisation WHO.

Ansatz:In bisherigen Studien wird das Krebsrisiko von Übergewichtigen vor allem mit dem Body-Mass-Index verknüpft. Die aktuelle Forschungsarbeit soll der Grundstock für ein weit tragfähigeres Modell sein. Ziel ist es, Ärzten einen Risiko-Score für die Patientenbehandlung anzubieten.

Zur Person:Anja Sedlmeier arbeitet seit 2017 am Institut für Präventivmedizin der Uni Regensburg. Ihre Doktorarbeit beschäftigte sich mit Krebs und Mortalität. Für die Studie zu Körperformen wurden Daten von 340 000 Männern und Frauen aus neun Ländern Europas ausgewertet.