Phänomene
Die Irrlichter vom Ebersberger Forst

Immer wieder tauchen die seltsamen „Lichtwesen von Anzing“ auf. Eine unheimliche Suche nach dem Unbekannten.

02.11.2010 | Stand 16.09.2023, 21:09 Uhr

Anzing.Von den „Lichtwesen von Anzing“ hatte ich noch nie etwas gehört. Es sollen Lichterscheinungen im Ebersberger Forst sein, östlich von München. Weiße, kugelförmige Lichtblitze am Boden, in den Blättern und den Baumkronen. Man könne sich ihnen nicht nähern, eine Art „Angstschranke“ hielte einen ab, weiterzugehen. Die Kunde kam von Peter und Anna Rodeck, einem reizenden Ehepaar aus dem Landkreis Regensburg (die Namen wurden auf Wunsch der Betroffenen geändert).

Oft schon hatten wir in ihrem schönen alten Wohnzimmer gesessen, Tee getrunken und über spirituelle Phänomene gesprochen. „Ich habe“, sagte Anna, „ein Video von diesen Lichtwesen.“ Sie kramte unten im Schrank und überreichte mir eine Videokassette mit dem Titel: „Die Lichtwesen von Anzing – der Kontakt mit kosmischen Wesenheiten. Authentische Aufnahmen. Mit genauer Wegbeschreibung.“

Zuhause legte ich die Kassette ein. Sie war häufig kopiert worden und von miserabler Qualität. Obendrein war der Film dilettantisch gemacht und mit albern zischender Horrormusik unterlegt. Es wird gezeigt, wie die liebenswürdige Mrs. Margaret Falconer, eine schottische Hellseherin, mit Übersetzerin, Kameramann und noch ein paar Leuten Waldwege im Ebersberger Forst abschreitet, um Kontakt mit diesen Lichtwesen aufzunehmen.

„Die einen sehen sie, andere nicht“

In Trance erkennt sie eine Gruppe von Leuten aus dem Jenseits, von denen ein russischer Herr mit altmodischem Umhang und eine hagere, verzweifelt dreinschauende Frau ihr besonders auffallen. Der Mann, der eine Art Wächterfunktion innehat, soll Bernard Roschokatoff heißen und um 1870 hier gelebt haben – je nun. Die Lichtblitze sind immer wieder groß und deutlich zu erkennen. Die Hellseherin spürt eine „Nebelwolke“ und sagt leise: „It is around us.“ Als man versucht, den Blitzen mit dem Wagen entgegenzufahren, wird Margaret Falconer von Panik ergriffen und bricht die Expedition sofort ab. Die Wegbeschreibung mit Fotos nennt die Straße durch den Wald nach Ebersberg. Wegmarkierung links: „IX23“. O-Ton: „Dies ist der Weg zu den Lichtwesen von Anzing“. Kindern, Hunden und Menschen mit Herz-Kreislaufproblemen wird vom Besuch abgeraten.

Anzing.1. Besuch im Wald, 2. September.

Mit meiner Freundin Andrea, einer überaus vernünftigen und sehr sportiven Philosophie-Doktorandin aus Regensburg, fahre ich am Nachmittag nach Anzing. Sonne, blauer Himmel – herrlich. Den Waldweg „IX23“ markieren wir mit rot-weißem Absperrband, um ihn im Dunkeln wiederzufinden. Dann gehen wir das erste Mal den genannten Weg tief in den Wald hinein – zunächst mit beklommenem Gefühl. Vielleicht werden wir ja in Steine verwandelt oder kommen um sieben Jahre gealtert hier wieder raus? Aber nein. Es duftet wundervoll, Holz und Moos, grünwürzige Luft, frühherbstliches Ausflugswetter. Wir spüren nur positive Energie und fühlen uns instinktiv wohl. Dann fahren wir nach Anzing zum Kirchenwirt, um anständig zu schmausen und die Dämmerung abzuwarten...

Mit Einbruch der Dunkelheit waren wir wieder im Wald. Allmählich wurde es tiefblau, nachtblau. Wir hielten Ausschau, gingen in uns: „Fühlst Du etwas Ungewöhnliches?“ „Nein, gar nichts.“ „Siehst Du Ungewöhnliches?“ „Nein, nichts.“ Lichtblitze? Keine. Um es kurz zu machen: gegen 22.30 Uhr fuhren wir nach Hause.

2. Besuch im Wald, 5. September.

Das Ehepaar Rodeck war schon fünf Mal im Ebersberger Forst, sommers wie winters: „Nein, hier ist das nicht“, sagt Anna, als ich auf das rot-weiße Band am Baum zeige, „das ist der falsche Weg.“ Wir wenden und fahren in das Waldstück „IX13“, ein paar hundert Meter zurück. Also ist die Wegbeschreibung auf dem Video falsch. Was soll der Blödsinn? „IX13“ sieht genau so aus wie in dem Film: Gleich rechts liegt eine große Wiese.

Wir machen den ersten Erkundungsgang. Wieder schönes Wetter, angenehmer Waldduft. Zweimal bekommen Peter und ich gleichzeitig eine starke Gänsehaut bis in die Zehen, das ist alles. Danach kehren wir wieder beim Kirchenwirt ein, fragen die Bedienung nach den Lichtwesen: „Das ist so eine Sage“, meint sie, „die einen sehen sie, die anderen nicht“.

Anzing.Als es dunkel ist, stehen wir wartend auf dem Waldweg. Nichts geschieht. Wir gehen vor und zurück. Am Horizont über den Baumkronen sieht man die Positionslichter der startenden und landenden Flugzeuge von Erding blitzen. Nein, die meinen wir nicht. Nach einer halben Stunde sehen wir ein paar schwache Blitze in den Baumkronen, nicht viel. Ich denke, wenn Ihr nicht blitzt, blitze ich – und schieße Fotos in die Dunkelheit. Und fast jedes Bild hat „Orbs“. Orbs sind sog. „Geisterflecke“ – das Phänomen wird als „Unschärfen-Artefakt“ beim Fotografieren beschrieben. Die mediale Schriftstellerin Diana Cooper behauptet allerdings, Orbs seien Engel-Botschaften aus der geistigen Welt.

3. Besuch im Wald, 12. September.

Angelika, eine spirituell hochbegabte Freundin und Heilerin aus München, zwei weitere Frauen, „die auf dem Weg sind“, und ich wandern des nachmittags über den Waldweg „IX13“. Angelika ist entzückt über die immaterielle Aktivität: „Hier ist eine Menge los“, lächelt sie, „aber ich spüre nur Liebe.“ Kein misstrauischer Russe, niemand? „Nein. Vielleicht hat sie jemand ins Licht entlassen.“ Nach dem Abendessen beim Kirchenwirt stehen wir wieder wartend im Wald. Stetig wird es dunkler. „Da kommt ein Nebel auf uns zu“, sagt Angelika, „siehst Du ihn? Und da von der Wiese her noch einer.“ Nein, sehen kann ich sie nicht. Aber spüren. Ich blitze mit der Kamera ins Dunkle. Einen schönen Nebel hab ich festgehalten, das sehe ich sofort. Lichtblitze gab’s die Nacht wieder gar keine.

Michael Augustin, der die Chronik zur 1200-Jahrfeier Anzings 2012 koordiniert, hält nichts von Spukgeschichten, bestätigt aber, dass alte Quellen solche Phänomene schildern, die Damen und Herren vom Forstamt und Kreisheimatpfleger Markus Krammer („So an Schmarr’n“) halten es ebenso.

Trugbilder von morschem Holz?

In Hans Sponholz’ Sammlung „Die schönsten Sagen aus dem Münchner Osten“ (München 1972) heißt es u.a.: Zwischen Zorneding und Eglharting sahen Bauern, wie auf dem Dachsberg überall Lichter tanzten und hüpften. Wenn der Mond nicht schien, leuchteten die Lichter besonders hell(...) Der Fischer Sepp sah zwischen den Gfängwiesen und Eichenried bei Nacht ein Licht sich ihm nähern. Das hüpfende Licht bewegte sich über die Gfällach, obwohl es dort keine Brücke gab(...) Sponholz merkt an: „Es gibt leuchtendes Holz bei alten, morsch werdenden Stümpfen. Hervorgerufen wird das Leuchten von den Pilzfäden des Hallimasch. Bei dunkler Nacht ermangelt es geängstigten Menschen häufig der Fähigkeit, zu unterscheiden, wo genau und in welcher Höhe sich die Lichter bewegen. Es sind dann Trugbilder, die er wahrnimmt.“ Fazit: „Und so sehen wir betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ (Brecht)