Ernährung
Ein Münchner Startup mixt gesunde Säfte

Die Sorten heißen Karotte Kid, Liquid Salad oder Big Melons: Antidote erobert mit raffinierten Mischungen Bio-Supermärkte.

21.02.2016 | Stand 16.09.2023, 6:57 Uhr
Katja Meyer-Tien

Julien Jockers, Alexander Weinig und Sebastian Kobarg vom Antidote-Team. Foto: Katia Meyer-Tien

Manchmal, sagt Julien Jockers, da kann er das Wort einfach nicht mehr hören. Dann kommt er nach Hause, und in seinem Kopf ist nur noch „Saft, Saft, Saft. Saft. Saft!“ Er lacht. Es gibt wohl Schlimmeres.

Julien Jockers ist 27 Jahre alt und zuständig für Marketing, Design und die Homepage beim Münchner Startup Antidote. An diesem Morgen läuft er durch das geräumige Büro, das stilecht in einem kleinen Hinterhof liegt, und packt zwei große Kisten mit Promotionmaterial, noch heute sollen die Kisten nach Hamburg und Frankfurt gehen. Es fällt ihm nicht leicht, alles zu finden, denn das Team ist gerade von der Nürnberger Messe Biofach zurückgekommen, noch liegt nicht alles wieder da, wo es liegen soll, Kisten und Kartons stapeln sich. Firmengründer Alexander Weinig sitzt dazwischen am großen Besprechungstisch und lächelt, müde, aber zufrieden: Die Messe ist super gelaufen, erzählt er, Firmen aus ganz Europa, sogar aus Asien interessieren sich für Antidote.

Wie flüssiger Salat

Antidote. Ein Gegengift, das auf den Wellen von Detox- und Bio-Trend gleichzeitig schwimmt, pro Flasche 473 Milliliter Heilsversprechen gegen all das ungesunde Zeug, das jeder Mensch tagtäglich zu sich nimmt, aber auch gegen den Lebensmittelwahnsinn, gegen pestizidverseuchte Überproduktion und den Perfektionismus der Supermarkt-Gemüseauslagen. Der Gegengift-Saft ist mal grün, mal gelb, mal orange oder weiß, immer bio, immer kaltgepresst und nie pasteurisiert. Die Sorten haben Namen wie Karotte Kid, The Cure oder Big Melons. Wer eine Flasche Liquid Salad öffnet - das ist Weinigs Lieblingssorte - dem schlägt ein intensives Gurkenaroma entgegen, der Saft schmeckt wie er heißt: wie flüssiger Salat. Mit Apfel und Gurke, Spinat, Sellerie, Zitrone, Grünkohl, Romanasalat, Petersilie und Ingwer, alles möglichst regional produziert. Ware, die es wegen Schönheitsfehlern nie in die Supermärkte geschafft hätte, wird bevorzugt verarbeitet. Nach einer Flasche ist man satt.

Probieren, probieren, probieren

Alexander Weinig ist 29 Jahre alt, sein Vater ist Deutscher, seine Mutter kommt aus New York, und dort wuchs Weinig auch auf. Auf den Tisch kamen daheim immer frisch gepresste Säfte, und was seine Mutter da auftischte, geht über die die Deutschland üblichen Apfel-, Orange- oder Traubenvariationen weit hinaus: Kurkuma und Ingwer, Minze und Ananas, immer wieder versuchte sie etwas neues. Bis sie ihren Sohn angesteckt hatte. Seit etwa neun Jahren, erzählt Weinig, macht er jetzt selber Saft, liest Rezeptbücher und probiert, probiert, probiert. In New York traf der studierte Betriebswirtschaftler, der sich gerne in Deutschland selbstständig machen wollte, auf Sebastian Kobarg, Diplomkaufmann und heute 27-jähriger Doktorand an der TU München.

Die beiden überlegten: Was gibt es in den USA, in Deutschland aber noch nicht? Was könnte ein neuer Trend werden? Erst kamen sie auf Energy Drinks, aber so richtig begeistern konnten sie sich nicht dafür. Dann die Saftbars, die es in New York an jeder Ecke gibt. Aber die Kosten für Ladenmiete und Equipment? Zu hoch, besonders in München. Also nur die Säfte. Die Entscheidung war gefallen.

Es schmeckte und machte Spaß

Im Februar 2014 kam Weinig nach München, Kobarg und er holten sich Julien Jockers dazu und noch zwei Freunde, darunter einen Lebensmitteltechniker. Im März gründeten sie die Firma. Sie begannen mit Onlineversand, getestet wurde in Weinigs Küche, der man das bald ansah: Die Wände, die Möbel,irgendwann war alles voller Saft, erinnert sich Weinig. Die Etiketten klebten sie per Hand auf die Flaschen, auf jede drei Stück, dann noch das Haltbarkeitsdatum drauf schreiben, verpacken, adressieren, zur Post bringen. Unfassbar viel Arbeit. Egal: Es schmeckte, machte Spaß, und Weinig hatte aus den USA nicht nur seine Rezepte, sondern auch eine Methode mitgebracht, mit der er die Säfte ganz ohne Erhitzen, also ohne den Verlust von Geschmack oder Inhaltsstoffen haltbar machen konnte: Der Saft wird in der Flasche unter Hochdruck gesetzt und dadurch bis zu 30 Tage lang haltbar. Auf dem deutschen Markt war das ein Novum, und der Antidote-Saft war damit - anders als Konkurrenzprodukte - auch interessant für Supermärkte und Großhändler. Seit Sommer 2015 beliefert Antidote Bio-Supermärkte, seit Ende 2015 sogar deutschlandweit und in Österreich. Auch konventionelle Supermärkte haben schon angefragt.

Nicht allein auf dem Markt

„The right time, the right place“: Alex Weinig, dem immer wieder englische Worte in sein sonst perfektes Deutsch rutschen, weiß, dass er nicht nur einen guten Riecher, sondern auch eine Menge Glück gehabt hat. Der deutsche Bio-Markt ist im Wandel, verliert sein Körnerecken-Image und wendet sich mehr und mehr einer Generation zu, für die bewusste Ernährung zum Lebensstil gehört. Ein Obst- oder Gemüsesaft als schneller Ersatz für Snack oder gar Mittagessen passt dazu. Und drei- bis fünftägige Saftkuren, die Antidote als als „Detox“ oder „Cleanse“ vertreibt, sind zwar bei Ernährungswissenschaftlern umstritten, werden aber von Hollywoodstars als Wellnesstipps gehypt: Saft ist die neue Kohlsuppe.

Auch andere haben das erkannt. Antidote ist nicht allein auf dem deutschen Markt: Von Detox Delight bis Frank Juice gibt es auch hier mehr und mehr Unternehmen, die kaltgepressten Saft anbieten. Dem Antidote-Team macht das keine Angst, die fünf sind von ihrem Produkt überzeugt. 12 000 bis 15 000 Flaschen produzieren sie inzwischen pro Woche in einer eigenen Industrieküche in Glonn, arbeiten zusammen mit Flaschenherstellern und Logistikpartnern. Wenn Weinig an die Anfangszeit in seiner Wohnung denkt, grinst er. Unfassbar sei es, dass das nicht mal zwei Jahre her sei. „Ich bin sehr zufrieden, wo wir jetzt sind“.