Sonntagszeitung
Eva Sixt zelebriert die Freiheit

Die umtriebige Regensburger Künstlerin ist eine Aktrice für starke Frauenrollen. Ihr Weg begann in einem Dorf bei Kelheim.

01.04.2017 | Stand 16.09.2023, 6:39 Uhr
Michael Scheiner

Ihr Talent für die Bühne hat Eva Sixt bereits während der Schulzeit entdeckt.

Halb biblisch, halb profan: In ihrem Namen trägt Eva Sixt zwei Prinzipien mit durchs Leben, die sich nicht immer grün sind. Das geistig-immaterielle als Stammmutter „Eva“ einerseits, die bare Münze in der Marke des international erfolgreichen Konzerns andererseits. Mit Letzterem verbindet die Regensburger Schauspielerin nicht einmal eine entfernte Verwandtschaft, der Name Sixt ist in Ostbayern weit verbreitet. Den Vornamen dagegen hat die in Niederbayern aufgewachsene Künstlerin von ihren Eltern in bewusst christlich-katholischer Tradition mit auf den Weg bekommen. Der begann vor 50 Jahren in einem kleinen niederbayerischen Dorf bei Kelheim. Dort ist Sixt mit ihren drei Geschwistern in einem 100-Seelen-Dorf im Dorfwirtshaus aufgewachsen. Gleich neben der Kirche, wie es sich gehört. Tatsächlich bilden diese beiden Stätten menschlichen Theaters, die Wirtsstube mit ihren menschlichen Komödien und Tragödien und das Gotteshaus mit seiner ikonographischen Liturgie, wichtige Einflüsse auf dem Weg zum Theater und zur Gestaltung ihrer Bühnenfiguren. „Vermutlich hat mich der Berlinger“, mutmaßt die gern mal als „Muse“ des Regisseurs und Autors Josef Berlinger bezeichnete Schauspielerin, „deswegen gleich für die Emerenz besetzt“. Über diese Gastwirtstochter aus dem Bayerischen Wald, die in die USA ausgewandert war und als Dichterin eine gewisse Bekanntheit erlangte, hat der Theatermacher ein Stück geschrieben. In einer Inszenierung spielte Eva Sixt die eigensinnige Hauptfigur mit großem Erfolg. Das lag sicher auch mit daran, dass sie sich mit ihrer Spielfigur gleich auf mehreren Ebenen identifizieren konnte. Neben den praktischen Erfahrungen, schon früh im Wirtshaus Bier gezapft und bedient zu haben, gehörte auch das emanzipatorische Potential der Waldlerin dazu. Die hatte trotz Spott und Hohngelächter schon als Schülerin zu schreiben begonnen und später selbst ihren Lebensunterhalt verdient.

Seit sich Sixt, die 2006 mit dem Regensburger Kulturförderpreis ausgezeichnet wurde, davon frei gemacht hat, mit einem Studium der Philosophie und Literaturwissenschaft im Rücken eine berufliche Karriere einzuschlagen, und sich stattdessen als Freiberuflerin auf eigene Verantwortung durchs Leben schlägt, hat sie sich immer wieder mit starken Frauen beschäftigt. Sandra Paretti ist eine davon und die Ingolstädter Schriftstellerin Marieluise Fleißer. Deren Roman „vom Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen“, 1972 als „Eine Zierde für den Verein“ erschienen, las sie für den LOhrbär Verlag als Hörbuch ein. Begleitet wurde sie vom verstorbenen Negerländer-Saxofonisten Norbert Vollath, der die Aufnahme musikalisch einfühlsam umsetzte. Das Magazin „Lichtung“ breitete ihr dafür einen Teppich aus: „Man würde Eva Sixt auch zuhören, wenn sie das Telefonbuch von Peking vorläse. Jetzt liest sie aber einen der schönsten und dennoch unbekanntesten Romane, der jemals über Bayern geschrieben wurde.“ Für sie selbst ist die oft geschmähte und ignorierte Autorin „nobelpreisverdächtig“. Deren Werk hält sie auch heute noch für zeitgemäß.

Mit dem Regisseur Josef Berlinger ist sie seit langem befreundet

Im Unterschied zum eher kleinbürgerlichen Milieu und Mief, in dem Fleißer gelebt hat, ist Eva Sixt in einem „offenen Haus“ und mit viel Freiheit aufgewachsen. Das Wirtshaus als sozialer Mittelpunkt der dörflichen Gemeinde war so gut wie nie abgesperrt, stand immer offen und prägte, zusammen mit der Kirche, das „Leben im Jahreskreis“. Pfarrer und Lehrer waren Respektspersonen, auch wenn die Zwergschule schon nicht mehr existierte, als Klein-Eva in die Schule kam. Das Bedauern darüber schwingt in ihrer markanten, dunklen Stimme mit, als sie von der Zeit als Fahrschülerin erzählt. In Kelheim besuchte sie das Gymnasium, war mit ihren Freundinnen in der kleinen, aber lebendigen Szene auf Livekonzerten unterwegs. Sehnsuchtsland war damals Italien, das sie als Teenager mit ihrer Schwester einige Male bereiste. Während der Kindheit erschienen Ferien utopisch, die Eltern waren das ganze Jahr angebunden. Auch direkt nach dem Abitur gehörte eine Reise deshalb zum Bildungskanon. Diesmal war Griechenland mit Kreta und einem Inselhopping durch die Ägäis der Sehnsuchtshorizont, der für sie die Welt erweiterte. „Seither finden die meisten Reisen in meinem Kopf statt. Da bewegt sich so viel, da ist so viel los“, erzählt die Bühnenakteurin mit den schulterlangen, schwarzen Haaren mit leidenschaftlicher Verve, eine Eigenschaft, die ihr vielfältiges berufliches Engagement insgesamt prägt. Das reicht vom erfolgreichen Dauerbrenner „Mei Fähr Lady“, wo sie die Hauptrolle spielt, über Auftritte mit dem „Trio Trikolore“ bis zur vielfältigen Theaterarbeit als Dramaturgin, Co-Autorin und natürlich Lesungen.

Im letzten Jahr war sie intensiv mit einem Leben und seinen Umständen beschäftigt, das fast 80 Jahre zurückliegt. Auf Wunsch von Berlinger, mit dem sie ein Vierteljahrhundert künstlerische Freundschaft und Zusammenarbeit verbinden, forschte und schrieb sie über den Regensburger Kunstradfahrer Simon Oberdorfer und seine Zeit. Der hatte 1898 das Velodrom gebaut und wollte 1939 mit dem Passagierschiff St. Louis nach Kuba auswandern. Die Flucht vor den furchtbaren Nationalsozialisten misslang, und Oberdorfer wurde wenige Jahre später im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Ein Drehbuch darüber für das Bürgertheater, welches im Sommer in ebendiesem Velodrom Premiere hat, hat Sixt kürzlich zusammen mit Berlinger fertiggestellt und die Vorbereitungen für die Inszenierung abgeschlossen. Bereits früher hat Sixt an Stücken mitgeschrieben oder als Dramaturgin mitgearbeitet, in denen sie häufig auch gespielt hat. Darunter an den Sissi-Adaptionen und an der Version des „Brandner Kaspar (in der Hölle)“ vor zwei Jahren, mit denen sie auch überregional Aufsehen erregten.

Ihr Talent für die Bühne hat Sixt bereits während der Schulzeit entdeckt, als sie im Schultheater mitspielte. Ein aufgeschlossener, pädagogisch wacher Lehrer, der das Theater mit betreute, hat bei ihr damals eine lebenslange Begeisterung für Theaer und Literatur geweckt. Mit ihrer „sehr musikalischen Mutter“ sang sie als Kind beim Melken für die Kühe – und manchmal auch in der Gastwirtschaft, „wenn ein Gast das Mädel auf den Tisch stellte und den Schneewalzer singen ließ.“

Als Mitglied des „Trio Trikolore“ interpretiert Eva Sixt Chansons

Das genaue Sprechen, die Artikulation und das Gespür für einen Text erwarb sich Eva Sixt schon früh als Vorleserin in Gottesdiensten in ihrem Heimatdorf. Heute ist sie schon seit vielen Jahren mit ihrer kräftigen, ausdrucksstarken Altstimme und rauchigem Timbre Mittelpunkt eines Trios, das sie mit den beiden Musikern Sepp Frank und Rainer J. Hofmann verbindet. Als „Trio Trikolore“ interpretieren die drei französische Chansons von Juliette Greco, Charles Trenet und besonders Edith Piaf, aber auch von Kurt Weill in einem speziellen Programm. Wie eine Leerstelle in ihrer Biografie wirkt die Zeit nach dem Studium: Die 90er Jahre, in denen sie jobbte, eine Zeitlang an der Uni arbeitete, aber auch schon regelmäßig – nur noch nicht hauptberuflich – an Theaterproduktionen von Berlinger mitwirkte. Legendäre Freiluftaufführungen wie die „Trilogie der theatralischen Lieben“ im Hesperidengarten spuken heute noch vielen Regensburgern in den Köpfen herum. Um die Jahrtausendwende entschloss sich Sixt dazu, sich ganz auf die künstlerische Arbeit zu konzentrieren. Seither verdient sie sich ihren nicht gerade üppigen Lebensunterhalt freiberuflich und genießt die Freiheit und Kontrolle, selbst entscheiden zu können, was sie macht und was sie ablehnt. Finanziell ist das nicht immer einfach, aber Sixt kommt auch mit bescheidenen Umständen gut zurecht. Und wenn es anders gekommen und Sixt mit ihrer künstlerischen Tätigkeit reich und berühmt geworden wäre? „Dann wäre ich eine Luxusschlampe geworden“, lacht Eva Sixt laut auf.

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Siein unserem Aboshop.

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