Corona-Pandemie
Gesichter der bayerischen Corona-Toten

Trauerakt im Landtag und landesweite Gedenkminute rücken das Leid der Angehörigen von 13 020 Pandemieopfern in den Blick.

23.03.2021 | Stand 16.09.2023, 3:46 Uhr
Landtagspräsidentin Ilse Aigner entzündet am Ende des Trauerakts eine Kerze. −Foto: Sven Hoppe/dpa

Vier Namen von Corona-Toten aus Ostbayern werden beim Trauerakt im Landtag genannt: Manfred Olschewski aus Regensburg ist an dem tückischen Virus gestorben, auch Margareta Vogl aus Pfreimd, Professor Hannes Schedl aus Passau und Franz Gaisbauer aus Obernzell. Fotos und kurze Botschaften auch zu 25 weiteren Opfern aus allen Regierungsbezirken werden am Dienstag für ein paar Sekunden auf einer Videowand eingeblendet. Ihre Schicksale stehen stellvertretend für die bis Dienstag 13.020 Menschen, die seit Ausbruch der Pandemie an oder mit Corona gestorben sind – so die Zahlen des Robert-Koch-Instituts vom Morgen. Die Zahl hatte sich seit dem Vortag um 39 erhöht.

Beim Trauerakt bleibt der Plenarsaal fast leer. Die Redner sind vor Ort: Landtagspräsidentin Ilse Aigner, Ministerpräsident Markus Söder, die Vorsitzende des bayerischen Ethikrates und frühere Regionalbischöfin, Susanne Breit-Keßler. Flankiert werden sie von Vizepräsidenten des Landtags. Auf der Videoleinwand flackern weiße Kerzen. Abgeordnete verfolgen die Zeremonie via Live-Übertragung auf den Bildschirmen. Eine kurzfristige Entscheidung. Aigner reagiert damit nach eigenen Worten auch auf die jüngsten Berliner Corona-Beschlüsse, die jede Präsenz-Veranstaltung unter großen Vorbehalt stellen. Im Zentrum steht für sie an diesem Tag, den Opfern ein Gesicht zu geben. „13.020 Menschen sind aus ihren Familien gerissen. Sie sind nicht mehr da. Sie kommen nicht mehr zurück“, sagt sie. „Wir wollen das Unvorstellbare sichtbar machen.“

Die Videoeinblendungen lassen am Samstag ein wenig vom Schmerz der Angehörigen erahnen. In der Oberpfalz hat Corona nach RKI-Zahlen vom Dienstag bisher 1207 Tote gefordert, in Niederbayern waren es 1603. Manfred Olschewski aus Regensburg starb am Neujahrstag 2021 mit 85 Jahren. Er war Genossenschaftler, Pilzsammler, Protestant und Ostpreuße, teilte seine Familie dem Landtag mit. „Wir vermissen einen liebevollen, humorvollen, geistreichen Mann.“

„Trauer und Unwirklichkeit begleiten mich jeden Tag. Er bleibt in meinem Herzen. Für immer.“Die Ehefrau des verstorbenen Hannes Schedl

Margareta Vogl aus Pfreimd starb mit 84 Jahren am 23. Dezember 2020. Angehörige schickten eine Zeile des Dichters Rainer Maria Rilke. „Und dennoch ist da einer, der dies Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.“ Professor Hannes Schedl aus Passau starb mit 59 Jahren am 14. April 2020. „Trauer und Unwirklichkeit begleiten mich jeden Tag. Er bleibt in meinem Herzen. Für immer“, schrieb seine Ehefrau. Franz Gaisbauer aus Obernzell bei Passau starb am 8. Januar mit 63 Jahren. „Vielen Dank an das Klinikpersonal, dass sieben Wochen lang mit unermüdlichem Einsatz versucht hat, das Lebens unseres Ehemanns bzw. Vaters zu retten“, schickten die Hinterbliebenen als Botschaft.

Kritik an Corona-Leugnern

Aigner kritisiert Corona-Leugner, die ihre Ideologie über die Wahrheit stellten. Das sei „brandgefährlich und verhöhne die Opfer“. Sie gesteht aber auch ein, dass die Politik in der Corona-Krise Fehler gemacht hat. „Jeder einzelne Tote ist auch eine schmerzliche politische Niederlage“, sagt sie. Die Krise historischen Ausmaßes erzwinge oft Dilemma-Entscheidungen, wirbt sie um Verständnis. Scharf distanziert sie sich allerdings vom Verhalten der Protagonisten in der so genannte Maskenaffäre, ohne Namen zu nennen. Auch CSU-Abgeordnete sind bekanntlich darin verstrickt. „Wenn die Menschen in Not sind und einzelne Politiker an nichts Anderes denken als an ihren eigenen Vorteil und in die eigene Tasche wirtschaften, dann ist das wirklich abscheulich.“

Söder erzählt vom bedrückenden Ritual, das seit Ausbruch der Pandemie zu seinem Ministerpräsidentenamt zähle: der tägliche Blick am Morgen auf die neuen Zahlen der Toten und Infizierten. „Mitte Januar starb in Deutschland alle anderthalb Minuten ein Mensch an oder mit Corona“, sagt er. Aktuell sei es in Bayern ein Mensch pro Stunde. Ohne Corona-Einschränkungen hätten in Deutschland nach Prognosen von Experten bis zu 100 000 mehr Menschen den Tod finden können. „Das ist die bittere Wahrheit dieser Pandemie.“ Wer den Schutz des Lebens relativere, verlasse die Grundlagen der Gesellschaft, sagt er. Die Mehrheit der Menschen sei allerdings bereit, zum Schutz Anderer viel in Kauf zu nehmen.

Dank an „Engel am Totenbett“

Auch Breit-Keßler rückte den Wert jedes einzelnen Menschen in den Mittelpunkt. „Schauen wir doch hin. Spüren wir das Entsetzen, über das, was geschehen ist und noch geschieht. Menschen ringen um Atem, sie bekommen keine Luft mehr, sie ersticken.“ Sie erinnert an die Wut und die Ohnmacht von Angehörigen, die Sterbenden wegen Besuchsverboten in Krankenhäusern und Altenheimen nicht beistehen konnten. Viele lebten mit dem Gefühl, ihre Lieben im Stich gelassen zu haben. Medizinisches Personal und Pflegekräfte, die stattdessen Trost spendeten, bezeichnet sie in diesem Zusammenhang als „Engel am Totenbett“. Sie wisse aber auch, mit welchen Bildern „diese Engel“ jetzt leben müssten.

Als „sehr würdig“ und auch wichtig bezeichnete der Regensburger Landtagsabgeordnete Tobias Gotthardt (Freie Wähler) im Anschluss den Trauerakt, an dem er teilnehmen wollte, bis gegen 12 Uhr die kurzfristige Absage an die Abgeordneten kam. Die Ausladung durch Aigner und wohl auch durch Söder habe ihn überrascht und irritiert. „Für mich ist das unverständlich. Wir sitzen in dieser Woche an drei Tagen viele Stunden in diesem Plenarsaal“, sagt er. Er ist nicht der einzige Parlamentarier, der das so sieht. „Ich finde es schade“, sagt der Regensburger Grünen-Abgeordnete Jürgen Mistol - auch mit Blick auf die starken Sicherheitsvorkehrungen im Landtag, die Infektionsrisken auf ein Minimum reduzierten.