Dialekt
Gülle, Jauche oder Odel?

Zum Monatsende gibt es Wissenswertes rund um den Dialekt – heute zu Unmutsäußerungen und scheinbar eingeschobenen Lauten.

27.09.2019 | Stand 16.09.2023, 5:18 Uhr
Ludwig Zehetner

Flüssiger Dünger wird ausgebracht, es wird „geodelt“. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Leser fragen – der Dialektforscher antwortet: Regelmäßig beantwortet der Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Ludwig Zehetner Dialekt-Fragen.

Habts gspiem aa?

Wenn man Unverträgliches gegessen oder zu viel getrunken hat, kann es sein, dass man sich übergeben muss. Dieser diskrete Ausdruck wird umgangssprachlich kaum verwendet; man sagt „brechen“, derber „kotzen“, und mundartlich meist „speiben“. Dem Autofahrer wird zugerufen: „Halt an! Sie muaß speim.“ Die von einer Zechtour Zurückkehrenden fragt man: „Habts gspiem aa?“ Das Bairische kennt nur diese Formen, und man fragt sich, woher das „b“ in „speiben, gespieben“ kommt, was den Lautungen „speim, gspiem“ zugrunde liegt. Historisch „spîwan“ führte zu „speiben“ mit Formen wie „bleiben, geblieben; reiben, gerieben; treiben, getrieben“. Müttern, die sich Sorgen machen, weil sich ihr Baby häufig erbricht, tröstet man: „Speiwade Kinder – bleiwade Kinder“, das heißt: Sie bleiben gesund und am Leben. Kräftiger zäher Auswurf ist ein „Speibbatzen“, und der Spucknapf, der ehedem in Ladengeschäften und Gaststuben in der Ecke am Boden stand, hieß „Speibtrücherl“. Scherzhaft hat man auch ein winziges Zimmer so bezeichnet. „Fia des Speibdriechal zahlts ihr 300 Euro. Eine Unverschämtheit!“

Konsonanten, die im Standard fehlen, sind in den Dialekten oft erhalten geblieben. Bei „speiben, schneiben“ (speien, schneien, mittelhochdeutsch „spîwen, snîwen“) tritt das „b“ in den Beugungsformen besonders deutlich in Erscheinung: „i speib, du speibst, er speibt, mia ham gspiem; es schneibt, es hod gschneibt / gschniem“. Die Assimilation „-ben > bn > bm > m“ erfolgt lautgesetzlich. Eine Bühnenanweisung in einer Karl-Valentin-Szene lautet: „Der Meister wirft ihr Sägleim ins Gesicht.“ Zu „Sägleim“ enthält die achtbändige Werk-Ausgabe eine völlig falsche Worterklärung; dies sei, so wird aus Unkenntnis der bairischen Lautform erläutert, eine besondere Art von Schreiner-Leim. Valentin meint aber „Säg-Kleiben“, Sägemehl („Kleie“, alt „klîwe(n)“, Mahlrückstände).

Eine Anregung von Dr. Ralf Kantlehner

Der Kanal odelt

Jauche, Mistbrühe nennt man im Bairischen „Odel“. Dies ist die heutige Lautung des Wortes, das auf althochdeutsch „atel“ (schlammiges Wasser) zurückgeht und dessen weitere Herkunft unklar bleibt. Von der Konsistenz her besteht ein Unterschied zwischen Jauche und Gülle. Letztere ist flüssiger Stallmist. Früher gab es auf jedem Bauernhof einen Misthaufen, aus dem die Flüssigkeit sickerte und sich in der „Odelgrube (Oolgruam, Odl-groum)“ sammelte. „Guad bin i hoamkemma“, sagt der Knecht und kraxelt aus der Odelgrube heraus, „bis auf die letztn boa Meter.“ Als Geräte und Gefäße zum Umgang mit der braunen Brühe hatte man den „Odelschapfer“ und das „Odelfass (Oolfooß)“. Die Odelfässer waren früher aus Holz, dann aus Blech; heute hat man ausgeklügelte Tankwägen zum Transport des flüssigen Düngers auf die Felder, die man dann „odelt (oold)“. Mit dem Verb „odeln“ kann auch gemeint sein: nach Jauche stinken. Vor einigen Jahren stand in der MZ: „Hier schmeckt man den Wetterumschwung. Wird’s schlecht, odelt der Kanal und es riecht nach Abort.“ Das Bayerische Wörterbuch der Akademie der Wissenschaften erwähnt „Tauben-Odel (Daum-Odl)“ als scherzhaften Ausdruck für ‚Haarwasser, Parfüm‘. Einen Schritt weiter geht der Hersteller von „Sepp’s Odl“. Nach Auskunft des Werbeblattes handelt es sich dabei um ein „aufwändiges Mazerat aus 21 ausgewählten Kräutern, verdünnt mit 96%igem Alkohol, Wasser und Zucker.“ Es sei, so heißt es „geeignet zur innerlichen Einreibung. Odl hält den Bauchnabel geschmeidig und verleiht dem Rücken eine gesunde Gesichtsfarbe.“ Wenn auch die Gülle den Odel verdrängt hat – Bestand hat das Wort.

Eine Anregung von Dr. Helmut Sperber

Sickera, Sacklzement!

Gotteslästerliches Fluchen ist – so paradox es scheinen mag – zu deuten als Phänomen einer religiös geprägten Gesellschaft; denn nur wo Religion als selbstverständliche Basis gilt, können religiöse Begriffe herangezogen werden zum Fluchen, das notwendigerweise eine Tabuverletzung einschließt. Gerade in katholisch geprägten Regionen wie Altbayern flucht man in dieser Art. Im Beichtspiegel steht zum 2. Gebot: „Habe ich heilige Namen oder Worte unehrerbietig ausgesprochen oder als Kraftausdruck gebraucht?“. Gemeint ist damit: im Zorn oder in Erregung „Herrgott, Kreuz, Kruzifix, Sakrament“ missbräuchlich verwendet zum „Fluchen“, was man im Dialekt eher „Schelten“ nennt. „Beinah gscholtn hätt i“, sagt die alte Bäuerin in der Schilderung einer Situation, wo ihr jemand unverschämt gekommen war. Es ist nicht verwunderlich, dass man, um nicht ständig beichten zu müssen, man habe heilige Namen verunehrt, eine ganze Kollektion von Ausweichflüchen erfunden hat: lautliche Verfremdungen, Kürzungen oder unverfängliche Zusammensetzungen.

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Der Wortanfang von „Herrgott“ ist aufgegriffen in Unmutsfloskeln wie „Herrschaft, Herrschaftseitn (-zeitn), Hermannseitn“. Auch „Hàggod, Hàggod-Sà“ klingen relativ unverfänglich. „Kruzi-“ findet sich kombiniert mit „-ment, -fuchs, -nali, -naln, -nesn, -türken, -fünferl“. Nur noch vage klingt das vermiedene Wort an in „Krumme-Nuckl, Krumme-Türken“. Vom Wort „Kreuz“ ist bei „Kreim-Deifl /-Deife“ kaum etwas übrig („Kreim, Kreiben“ bairisch für ‚Kreide‘). Der Name „Jesus“ erscheint verfremdet in „Jessas, Jeckerl“. Nicht als blasphemisch empfunden werden „Sàckra, Sàckrawalt, Sàpprament, Sàpperlott, Sàxndi“ und „Sàckradi“ (aus französisch „sacré dieu“, heiliger Gott). Selten hört man die Lautvariante „Sickera“, die in Schmellers Bayerischem Wörterbuch aufgeführt ist. Beim Stichwort „Sackrement“ (Band II, Spalte 221 f.) heißt es: „Um dem Wort um so sicherer alle sündliche Beziehung auf das Heilige zu benehmen, wird weislich das ‚-ment‘ weggelassen und bloß das im Deutschen sinnlose ‚Sàckra, Sickera‘ gebraucht.“ Besonders originelle „kastrierte Flüche“ sind „Sàckl-Zement, Kreuz-Birnbaum- (und-) Hollerstaun /-stauan“.

Diese Auskunft wünschte Lothar S. Clevers.

Laß mir mein Grüawigen

Auf einem Sofakissen vom Anfang des 20. Jahrhunderts findet sich, aufgestickt in altdeutscher Kurrentschrift, der Wunsch „Laß mir mein Grüabigen!“ Das Adjektiv „grüabig, griawe“ hat die Bedeutung ‚gemütlich, behaglich, geruhsam‘. Es ist abgeleitet von mittelhochdeutsch „ruowe“ (Ruhe). Die Umlautung des Zwielauts kommt durch die Endung „-ig“ zustande, so dass „gerüewig“ entsteht, mundartlich „griawig“. Georg Lohmeier spekuliert über das Jenseits im Vergleich zum Leben auf der Erde: „Man müsst halt wissen, ob’s da drent / so grüabig is als wia herent.“ Eine an die Schriftsprache angenäherte Form findet man bei Oskar Maria Graf: „Stets hockte er geruhig da.“

Zu einer Frage von Agnes Fischer