Strukturwandel
Hilfe für abgehängte Regionen

In Bayern haben gleichwertige Lebensverhältnisse seit 2013 Verfassungsrang. Jetzt schnürt der Bund ein Maßnahmenpaket.

10.07.2019 | Stand 16.09.2023, 5:38 Uhr

Die Lebenssituation für ältere Menschen auf dem Land verschlechtert sich, wenn die junge Generation in die Metropolen abwandert. Foto: David Ebener/dpa

Ärzte sind rar, die Handynetze löchrig, der Bus fährt selten und für Investitionen ist kein Geld da – gegen solche Probleme in abgehängten Regionen will die Bundesregierung in Zukunft stärker angehen. „Das Ziel ist, den Menschen die Möglichkeit zu geben, in ihrer Heimat zu leben“, sagte Innenminister Horst Seehofer gestern in Berlin. „Dazu müssen wir die Strukturpolitik und die Förderpolitik in Deutschland neu justieren.“ Wenn unterschiedliche Lebensverhältnisse zum Nachteil für die Menschen würden, müsse sich die Politik kümmern.

Derzeit werden vor allem abgehängte Regionen im Osten Deutschlands gefördert – doch Hilfe sei auch in anderen Gebieten nötig, ist ein Ergebnis der Regierungskommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“. „Es gibt Regionen, die drohen den Anschluss zu verpassen“, sagte Agrarministerin Julia Klöckner (CDU).

In Bayern haben gleichwertige Lebensbedingungen bereits seit 2013 Verfassungsrang. Zahlen aus 2015 zeigen die Unterschiede im Freistaat. So ist das Pro-Kopf-Einkommen in Oberbayern etwa 4000 Euro im Jahr höher als in Niederbayern und der Oberpfalz. 2018 – also bereits eineinhalb Jahre vor dem Bund –stellte die einberufene Enquete-Kommission Handlungsempfehlungen für Wohnen, öffentliche Einrichtungen, Mobilität oder Breitbandversorgung vor.

Situation in der Nordoberpfalz

Als ein wesentlicher Beitrag zur Förderung der ländlichen Regionen gelten im Freistaat die Behördenverlagerungen – etwa die 2013 erfolgte Umsiedelung des Amtes für Ländliche Entwicklung von Regensburg nach Tirschenreuth. Der Umsiedelung waren damals massive Proteste der Mitarbeiter vorangegangen. Heute kommen 60 Prozent der Mitarbeiter aus der Region. Auch ein „kleiner Campus“ der OTH Regensburg für den Bachelorstudiengang Soziale Arbeit hat sich angesiedelt. Und Bürgermeister Franz Stahl wird nicht müde zu betonen, dass noch Platz für weitere Behördenverlagerungen in seiner Stadt wäre. Auch im Landkreis Amberg-Sulzbach wurde mit dem Landesamt für Pflege und seinen künftig rund 350 Mitarbeitern im vergangenen Jahr ein Ausgleich für den Abzug der Bundeswehr geschaffen.

Ein paar Kilometer weiter hebt Landrat Andreas Meier die Vorzüge der Nordoberpfalz hervor. Er sei überzeugt, „dass man im Landkreis Neustadt an der Waldnaab mindestens die gleichen Voraussetzungen für ein glückliches, erfülltes und erfolgreiches Leben vorfindet wie im Rest von Bayern – wenn nicht sogar bessere“. Die Region habe von den Behördenverlagerungen profitiert, aber auch von der Wirtschaftsförderung und hauptsächlich von Investitionen und Zuschüssen etwa für umfangreiche Schulsanierungen. Finanzhilfen vom Bund würde er sich für die Hinterlassenschaften der Porzellanindustrie wünschen. Und Meier plädiert auch für eine gerechte und gleiche Verteilung der Strukturhilfen für die gesamte Nordoberpfalz. Da fühlt er sich derzeit gegenüber dem Landkreis Tirschenreuth benachteiligt.

Bayern hat es vorgemacht

Die Pläne aus Berlin ähneln denen, die unter Ministerpräsident Seehofer bereits vor sechs Jahren in Bayern auf den Weg gebracht wurden. Die Bundesregierung plant Unternehmen in Regionen zu locken, aus denen junge Menschen abwandern. Auch Bundeseinrichtungen und Forschungsinstitute sollen gezielt abseits der „überhitzten Metropolregionen“ angesiedelt werden – ohne jemanden gegen seinen Willen zu versetzen, wie Seehofer versprach.

Konkret verständigte sich die Kommission auf zwölf Handlungsfelder. Unter anderem soll es Fördermittel für Ortskern-Sanierungen und schnelles Internet geben. Die Finanzierung bleibt vage. Bewusst sei kein Milliardenbetrag für die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse veranschlagt worden, sagte Seehofer. Diese Aufgabe müsse von jedem Minister im eigenen Haushalt umgesetzt werden.