Geschichte
„Hinterkaifeck wird ungelöst bleiben“

Der Sechsfachmord von 1922 beschäftigt bis heute die Menschen. Die Macher von „Hinterkaifeck.net“ hoffen auf neue Dokumente.

18.10.2016 | Stand 16.09.2023, 6:41 Uhr

In Ingolstadt läuft derzeit eine Sonderausstellung, die das Forum „Hinterkaifeck.net“ maßgeblich gestaltet hat. Foto: Stöcker-Gietl

Wie lange beschäftigt sich das Forum Hinterkaifeck.net schon mit dem ungeklärten Verbrechen?

Hinterkaifeck.net wurde 2008 ins Leben gerufen. Damals war das Thema an mehreren Stellen im Internet diskutiert worden. Zudem wurde mit der Homepage und später dem Wiki erstmals eine Möglichkeit geschaffen, zentrale Informationen übersichtlich darzustellen.

Haben sich in der Zeit, in der das Forum zusammenarbeitet, bereits offene Fragen beantworten können?

In Ermangelung an Beweismaterial wie Bildern, Asservaten etc. kann nichts Fallrelevantes bewiesen werden. Am ehesten noch fielen hier Fragen zur Bebauung, zum Erbe, zur Polizeiarbeit, zu den Aktenbeständen und zur Familienkonstellation/Vorgeschichte darunter. Einer unserer User fand in Frankreich die Grabstätte des gefallenen Karl Gabriel und dokumentierte sie in Fotos. Für jeden Interessenten haben sich aber individuelle Fragen beantwortet, ja. Ohne Beweise muss und kann sich jeder ein ganz eigenes Bild machen. Viele bisher bekannte Akten aus den Staatsarchiven in Augsburg und München haben wir in unserem Wiki mit Genehmigung der Archive systematisiert und veröffentlicht.

Was aber noch immer ein großer Wunsch wäre, ist, den Opfern ein Gesicht zu geben. Das ist uns noch nicht gelungen. Wir glauben, dass es diese Bilder geben muss, und hoffen, daß sich ein Besitzer dieser Fotos daran erinnert und z. B. mit dem Polizeimuseum Kontakt aufnimmt.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Polizeimuseum Ingolstadt?

In der Dauerausstellung des Bayerischen Polizeimuseums in Ingolstadt war Hinterkaifeck seit 2011 Thema, weil der Fall zur Polizeigeschichte Bayerns gehört. Und auch in einer Sonderausstellung „Wanted“ war Hinterkaifeck dabei. Es lag also nahe, diesen großen Komplex einmal aufzuarbeiten und das Interesse der Menschen an diesem Mordfall einmal zu bedienen. Zwischen der ersten Formulierung der Idee und der Eröffnung lagen fast genau zwei Jahre. In denen hat das Kernteam von drei Mitgliedern fast jede freie Minute in Konzeptionierung, Recherchen, Reisen, Ausformulieren und Organisation gesteckt. Hinzu kommt der Aufwand, den das Museum hatte: regelmäßige Abstimmung, inhaltliche und gestalterische Abnahme, handwerkliche Umsetzung der Ideen und Koordination der Leihgaben.

Die Sonderausstellung im Museum wird außergewöhnlich gut besucht. Was fasziniert die Menschen an dem Thema?

Die Vorgeschichte der Opfer und auch die Umstände des Verbrechens bieten so viele Auffälligkeiten, dass viele Lösungen des Falles denkbar sind. Genannt seien hier das Inzestverhältnis, der Wohlstand und die juristischen Auseinandersetzungen um die Vaterschaft des kleinen Josefs im Vorfeld der Tat sowie der Einbruch bzw. der Einbruchsversuch am Tag vor der Tat. Alles für sich konfliktträchtig genug, um eine Lösung des Falles bieten zu können. Zudem sind historische Kriminalfälle schon deshalb spannend, weil sie im historischen Kontext gesehen werden müssen – im Fall Hinterkaifeck müssen sowohl das Leben im ländlichen Bayern 1922 sowie die politischen Umstände damals berücksichtigt werden, um sich den Opfern und damit der Tat zu nähern. Offene Rätsel bieten immer die Chance, selbst eine Lösung zu finden und diese zu verteidigen. Und man selbst ist in den eigenen Augen ja immer der beste Ermittler.

Sie haben in der Ausstellung acht mögliche Lösungen für den ungeklärten Kriminalfall ausgearbeitet. Denken Sie, dass irgendwann noch der Schlüssel für die Lösung auftauchen wird?

Diese acht Lösungen waren die, die in den Ermittlungsakten zu finden sind. In Ermangelung eines Angeklagten – geschweige denn eines Verurteilten – ist der Fall offen und der Besucher der Ausstellung muss sich selbst eine Erklärung erarbeiten. In den Gesprächen mit den Menschen vor Ort oder auch mit Ausstellungsbesuchern zeigt sich schnell, dass Vieles möglich scheint. Eine Lösung des Falles aus juristischer Sicht ist unmöglich, der Fall ist verjährt. Eine Klärung wäre nur durch das Auffinden eines eindeutigen Beweises denkbar. Hier wäre am Ehesten noch ein schriftliches Geständnis denkbar – doch auch hier muss man die Möglichkeit eines falschen Geständnisses berücksichtigt, was es im Fall Hinterkaifeck auch schon gab. Vielleicht machen diese offenen Enden einen Teil des Mythos Hinterkaifeck aus.