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Josef Wilfling und seine 100 Morde

22 Jahre lang hat der gebürtige Franke Josef Wilfling bei der Münchner Mordkommission ermittelt. Die spannendsten Fälle zeigt das Bayerische Fernsehen.

21.10.2014 | Stand 16.09.2023, 7:14 Uhr
Katja Meyer-Tien

Josef Wilfling leitete sieben Jahre lang die Mordkommission der Münchner Kripo. 100 Morde hat er bearbeitet, die meisten davon aufgeklärt. Foto: dpa

Die Karriere von Bayerns bekanntestem Mordermittler begann im Gefängnis. 16 Jahre alt war er da, eine Rangelei unter Jungs bescherte ihm ein Wochenende bei Wasser und Brot. Man kann in diese Tatsache viel hineininterpretieren, man kann es aber auch einfach so stehenlassen, wenn Josef Wilfling heute sagt: „Das hat mich so schockiert, dass ich mir geschworen habe: Ich werde nie mehr etwas tun, das mich in so eine Situation bringt.“

Josef Wilfling, gebürtiger Franke, 67 Jahre alt, schaut heute zurück auf mehr als 40 Jahre Polizeiarbeit, 22 Jahre davon bei der Münchner Mordkommission, die er sieben Jahre lang leitete. Seit 2009 ist er im Ruhestand. Und arbeitet weiter. Zwei Bücher hat er schon geschrieben, an einem dritten arbeitet er, gerade zeigt der BR weitere Folgen der Serie „Lebenslänglich Mord“, in der einige seiner Fälle vorgestellt werden, Wilfling kommentiert. Warum es wichtig ist, diese Fälle zu zeigen? „Die Kriminalgeschichte ist Teil der Geschichte einer Stadt“, erklärt Wilfling.

Die außergewöhnlichen Fälle

Für die Serie ausgewählt hat Wilfling typische und doch außergewöhnliche Fälle, die sich in 15 Fernsehminuten erzählen lassen. Einer seiner bewegendsten Fälle ist nicht dabei, zu komplex waren die Umstände beim brutalen Mord am Münchner Schauspieler Walter Sedlmayr, den Wilfling mit aufklärte. Es war sein erster großer Fall bei der Mordkommission. In der „Königsdisziplin“, in die er nie hätte wechseln sollen, wenn es damals nach Wilflings Vorgesetzten bei der Kriminalpolizei gegangen wäre: „Bleib bei uns, da bist Du der Beste. Bei der Mordkommission bist du ein Guter unter Guten“, habe der zu ihm gesagt.

Dabei sei er vollkommen ehrgeizlos. Sagt er. Karriere sei ihm immer egal gewesen. Aber: Wenn er sich einmal in etwas verbissen habe, dann sei er auch dabei geblieben. Als Tastfunker, während seiner Ausbildung. Da wurde er Deutscher Meister. Während der Studentenunruhen der 1960er Jahre: Seinen ersten Einsatz bei der Münchner Polizei bestritt Wilfling während des Besuchs des Persischen Schahs 1967 in München, kurz bevor in Berlin der Student Benno Ohnesorg erschossen wurde. Einige der Männer, mit denen er seine Ausbildung gemacht habe, hätten angesichts der Gewalt sofort gekündigt.

Er nicht, er machte weiter. Und blickt zurück auf eine Zeit voller Hass, auf allen Seiten: „Natürlich habe ich deren Ziele verstanden“, sagt Wilfling über die damals protestierenden Studenten, „nur Idioten waren für den Vietnamkrieg. Aber für die waren wir die Feinde. Und wenn plötzlich die Pflastersteine fliegen und dem Kollegen neben Dir der halbe Kiefer weggerissen wird, dann empfindet man nur noch Wut.“ Zum Realisten sei er durch seinen Beruf geworden, sehr schnell. Ging dann, später, in etwas ruhigeren Zeiten, in Schwabing auf Streife, wo er jede Kneipe, jeden „Schlawiner“ gekannt habe.

Den Kontakt zur Straße hat er behalten, auch als er zur Kriminalpolizei wechselte. Als Anfang der 1980er die Fangewalt in den Fußballstadien zum Problem wurde, da zählte das: Kontakt halten, die immer gleichen Krawallmacher kennen, erkennen, aus ihrer Anonymität holen. „Wir haben zu zweit eine ganze Fankurve beruhigt, nur mit Blickkontakt. Das wirkt besser als eine ganze Hundertschaft.“

Fast schwärmerisch klingt es, wenn Wilfling von diesen Zeiten erzählt. Auch ein bißchen verklärt, nach Fernsehpolizeikrimi. Den Wilfling, anders als manche seiner Kollegen, gar nicht verteufelt: „Krimis sind die beste Werbung für unseren Beruf“, sagt er.

Und Werbung können die Ermittlungsbehörden dieser Tage durchaus brauchen, gerade angesichts der Diskussionen um Versäumnisse bei der Aufklärung der NSU-Morde. Ein Thema, bei dem sich Wilfling sofort in Rage reden kann. Denn er hat die Münchner Morde mit untersucht, musste sich im Untersuchungsausschuss des Landtags der Frage stellen, ob die Polizei auf dem rechten Auge blind gewesen sei. „Wir waren überhaupt nicht blind!“, ruft Wilfling in die aufgeräumte Stille seines Büros hinein, es habe keinerlei Hinweise auf einen rechtsradikalen Hintergrund gegeben. Auch nicht von den Verfassungsschützern: „Ich wusste nicht, dass es eine Zschäpe gibt“, ruft er, „ein Anruf vom Verfassungsschutz, und ich bin mir sicher: Wir hätten die in acht Tagen gehabt“.

Sie ist ein Dorn, der in Wilfling bohrt, diese NSU-Mordserie. „Wir haben uns den Arsch aufgerissen, jeder von uns hätte leidenschaftlich gerne diese Serie aufgeklärt“. Der Grünen-Abgeordneten, die ihn im Untersuchungsausschuss mehrfach gefragt hatte, warum nicht nach rechten Tätern gefahndet worden sei, schrieb er später zwei bitterböse E-Mails. „Nicht die feine Art“ sei das gewesen, sagt er heute über diese Mails. Aber er sei entsetzt gewesen: „Wie kann man uns denn unterstellen, wir hätten die nicht gefunden, weil wir selber Rassisten sind? Wie kann man denn einen Menschen, den man gar nicht kennt, mit solchen Verbrechern auf eine Stufe stellen?“.

Über 100 Morde bearbeitet

Absolute Gewissheit darüber, dass seine Einschätzung einer Situation die richtige ist, das war immer wichtig für Josef Wilfling. 1211 versuchte Tötungsdelikte sind in seiner Dienstzeit in München verübt worden, 400 davon „vollendet“, zitiert Wilfling in schönstem Behördendeutsch. Etwa 100 dieser Mordfälle hat Wilfling als Sachbearbeiter selber bearbeitet, die meisten davon hat er geklärt.

Manchmal dauerte das Jahre, wie im Fall Sedlmayr. Manchmal, wie im Fall Moshammer, nur zwei Tage. Als Vernehmungsspezialist galt er, auch da half es ihm, dass er die Täter ernst nahm, auf Augenhöhe mit ihnen sprach, ohne sich mit ihnen gemein zu machen. Wenn er am Ende seiner Ermittlungen einen Täter präsentierte, dann war er sich sicher, dass er den Richtigen hatte. „Wenn wegen mir ein Unschuldiger ins Gefängnis gegangen wäre, dann hätte ich sofort aufgehört“. Schließlich weiß er, wie sich Gefängnis anfühlt.

Jeweils drei von Wilflings Fällen sind bis zum 7. November immer freitags um 21 Uhr unter dem Titel „Lebenslänglich Mord“ im BR zu sehen.