Medizin
Litt König Ludwig II. an Demenz?

Eine Forschergruppe mit dem Psychiater Prof. Hans Förstl meint, dass der Märchenkönig wohl die „Pick’sche Krankheit“ hatte.

28.05.2012 | Stand 16.09.2023, 21:03 Uhr
Thomas Dietz

München.War Ludwig II., der Märchenkönig, der vielgeliebte, dement? Es ist erstaunlich, wie viel spontane Empörung allein diese Frage auch heute noch hervorruft. Schnell erinnert man sich des spektakulären Buches von Prof. Heinz Häfner „Ein König wird beseitigt“. Der berühmte Psychiater kam 2004 zu dem Ergebnis, dass Ludwig, der 1886 mit noch nicht mal 42 Jahren im Starnberger See zu Tode kam, „weder geisteskrank noch geistesschwach“ war, sondern vielmehr „bis in die letzten Tage seines Lebens unvermindert über außergewöhnliche geistige Fähigkeiten“ gebot.

Gleichwohl hat das kleine, feine Center for Advanced Studies (CAS) der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität im netten Alt-Schwabing, das um die fächerübergreifende Sicht auf die Dinge bemüht ist, sich kürzlich genau dieses Themas in einer Podiumsdiskussion angenommen: „War Ludwig II. dement?“ ist Teil des Forschungsschwerpunktes „Demenz in einer alternden Gesellschaft“.

Beginnende präsenile Demenz

Zu der Diskussion wurden Prof. Hans Förstl, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Technischen Universität München, geladen. Außerdem Dr. Peter Gauweiler, Politiker, Rechtsanwalt, Publizist, engagierter und äußerst origineller Ludwigkenner und die renommierte Historikerin Dr. Katharina Weigand („Die Herrscher Bayerns“).

Nach neueren Forschungen und Auswertung bisher kaum beachteter historischer Quellen (Geheimes Hausarchiv im Bayerischen Hauptstaatsarchiv) gibt es Anlass zur Annahme, dass Ludwig II. nicht, wie behauptet, an einer Schizophrenie, sondern an einer besonderen Form präseniler Demenz litt. In den späten Jahren hatte sich der zuvor so aparte König furchtbar verändert. Er war auffallend dick geworden, hatte fast alle Zähne verloren, wirkte bleich, nervös und unruhig. Seine Dienerschaft musste sich vor ihm auf den Bauch werfen, „sehr häufig gehe Seine Majestät zu Gewalttätigkeiten über, schlage und stoße die Dienerschaft mitunter sogar blutig“, wie es ein Zeitzeuge beschreibt. Ludwig litt auch selbst darunter, wenn er wieder einmal die Beherrschung verloren und einen „Diener an die Wand geworfen hatte“, wie es in des Königs Aufzeichnungen steht.

München.1886 weigerte sich der König trotz enormer Verschuldung der königlichen Privatkasse (nicht der Staatskasse!), seine Bautätigkeit auch nur zeitweise einzustellen. Stattdessen erging er sich in Phantasien, mit Banküberfällen seine Schatulle mit 80 Millionen Mark aufzufüllen oder das ganze Königreich in die Südsee zu verlegen.

In dem berühmt-berüchtigten Gutachten des Obermedizinalrates Prof. Bernhard von Gudden, Direktor der Kreisirrenanstalt und Inhaber des Münchner Lehrstuhls für Nervenheilkunde, wurde der König für geisteskrank erklärt: Seine Majestät leide in sehr fortgeschrittenem Grade an „unheilbarer Paranoia und Geistesschwäche“. Ludwig wurde entmündigt und nach Schloss Berg verbracht, Gudden starb bekanntlich zusammen mit dem König unter ungeklärten Umständen.

Aus heutiger Sicht würden die verfügbaren Hinweise nicht ausreichen, um Schizophrenie zu diagnostizieren. Ludwigs Selbstzeugnisse und die Zeugenaussagen legen aber die Diagnose der sogenannten schizotypen Persönlichkeitsstörung sehr nahe, die möglicherweise durch seine Neigung zu Alkohol und Tabletten verstärkt wurde.

Das (äußerst detailreiche) Sektionsprotokoll der Leiche König Ludwigs II. vom 15. Juni 1866 ist wohl seit 20 Jahren veröffentlicht, „wurde aber bisher nicht richtig beachtet“, sagt Prof. Förstl. Dabei ließen sich nicht nur deutliche Spuren von Ludwigs überstandener, schwerer Hirnhautentzündung in jungen Jahren erkennen (milchig weiße Verdickung der Hirnhaut auf beiden Seiten). Beschrieben wurde überraschenderweise auch der „merkliche Schwund mehrerer Windungen des Stirn- und Scheitel-Lappens beider Seiten“, was auf eine degenerative Erkrankung des Stirnhirns schließen lässt: „Das Verhalten des Königs in seinen letzten Lebensmonaten entspricht dem Bild einer frontotemporalen Degeneration. Damit“, sagt Hans Förstl, „ist der Verdacht auf eine beginnende präsenile, also vor dem 65. Lebensjahr beginnende Pick-Krankheit (,Morbus Pick‘ oder ,Pick’sche Krankheit‘) unabweisbar. Sie kann aber nicht mit Sicherheit bewiesen werden, da die mikroskopischen Untersuchungstechniken damals erst entwickelt wurden.“

München.Dies wurde übrigens durch König Ludwig höchstselbst begünstigt, der als Förderer der Wissenschaften die Landeshauptstadt München zum späteren „neurowissenschaftlichen Nabel der Welt“ machte. Pionierarbeit bei der Schnitt- und Färbetechnik zur Analyse von Gehirnen leistete der Prinzenarzt Franz Nissl (1860-1919); nach ihm wurde die „Nissl-Färbung“ benannt: „Gudden selbst“, sagt Prof. Förstl, „konnte Gehirne nur wie einen Blumenkohl auffalten und erste, einfache Schnitte durchführen.“

Es wäre noch schlimmer gekommen

Patienten mit einer frontotemporalen Degeneration „entwickeln einen Persönlichkeitswandel mit Verlust an Selbstkritik und sozialer Wahrnehmung, Rigidität und ungebremster Enthemmung, aber auch emotionaler Gleichgültigkeit und Rückzug.“

Hätte der König länger gelebt, wäre er vermutlich in eine Phase mit noch stärker ausgeprägten Symptomen eingetreten. Dass diese diagnostische Einordnung aus heutiger Sicht die Art und Weise, wie der Monarch aus dem Wege geräumt und Platz für den Prinzregenten Luitpold geschaffen wurde, nicht rechtfertigt, liegt auf der Hand.