MZ-Serie
Netzaberg: Zuhause in der Fremde

Es war das größte Bauprojekt in Bayern, wenn nicht in Deutschland: Die Netzaberg Housing Area mit 830 Wohneinheiten für US-Soldaten bei Grafenwöhr.

16.12.2012 | Stand 16.09.2023, 21:03 Uhr
Fritz Wallner
Die US-Siedlung auf dem Netzaberg mit dem 2008 noch nicht völlig fertiggestelltem Village Center (Mitte rechts). −Foto: Luftbild: Fritz Winter

Die Familie Wiggins fühlt sich in der Oberpfalz zu Hause. Mutter Diane fährt gerne in die nahe Metzgerei und kauft Schweinernes, Aufschnitt und Leberkäse, Vater Anthony ist zu einem bekennenden Fußball-Fan geworden, Sohn Anthony jun. (12) geht mit seiner Schwester Aerin (10) auf die Netzaberg-Mittelschule, nur Tochter Ashton (18) besucht das College in Savannah im US-Bundesstaat Georgia, ist aber oft zu Besuch daheim.

Die Familie kann sicher leben

Anthony Wiggins ist Oberstleutnant und Bataillonskommandeur bei der 172. Infanteriebrigade der US-Streitkräfte in Grafenwöhr – und zusammen mit seiner Familie lebt er auf dem Netzaberg, der jüngsten Stadt Bayerns. Offiziell ist der Netzaberg ein Ortsteil der nahen Stadt Eschenbach – hier entstanden im Rahmen des US-Projektes „Efficient Basing“ zwischen 2006 und 2008 mit einem Kostenaufwand von rund 700 Millionen US-Dollar 830 Doppel- und Dreifachhäuser für US-Angehörige und ihre Familien.

Die Familie kam im Mai 2011 aus Seoul in Korea in die Oberpfalz. „Ich wollte schon immer gerne nach Europa, nach Deutschland versetzt werden“, sagt Wiggins. Und seine Frau, eine gebürtige Koreanerin, war bass erstaunt: „Es war alles so schön grün hier – fast wie in einem Gemälde“, sagt sie. Die Häuser am Netzaberg sind perfekt auf US-Gewohnheiten zugeschnitten: Elternschlafzimmer mit angeschlossener Dusche, Bad, Kinderzimmer, Wohn-Esszimmer, Küche, Hausmeisterservice, 110-Volt-Strom.

Während die Wohnhäuser uneingeschränkt erreichbar sind, ist das benachbarte Netzaberg Village Center der US-Armee mit Kinderbetreuungs- und Jugendzentrum, Grund- und Mittelschule eingezäunt und bewacht. „Mir war wichtig, dass die Familie in einem sicheren Umfeld in der Nähe der militärischen Einrichtung lebt, für den Fall, dass ich in einen Auslandseinsatz muss“, sagt Oberstleutnant Wiggins. Schon in Korea sei ihm empfohlen worden, sich um ein Haus am Netzaberg zu bewerben. Derzeit läuft für das Village Center auch die Ausschreibung für die Kirche und ein Gemeindehaus. Über eine nichtöffentliche Straße ist die Siedlung direkt mit dem nahen Lager Grafenwöhr verbunden.

Nach der Verlegung der 172. Infanteriebrigade mit rund 4000 Soldaten und 5000 Familienangehörigen wurden im Großraum Grafenwöhr rund 1600 Wohnungen gebraucht. Zu den 830 Einheiten am Netzaberg kamen weitere Baugebiete – viele Wohnungen und Häuser mietete die US-Armee auch von Privat an. Insgesamt wurden mit allen Folgekosten rund 1,2 Milliarden US-Dollar, das entsprich rund 930 Millionen Euro, investiert.

Irritationen entstanden, als die US-Armee ankündigte, diese Brigade bis Ende 2013 aufzulösen und die Soldaten in die USA zurückzuversetzen. Doch Susanne Bartsch, Sprecherin der „Bavaria Military Community“ beruhigt: Die Brigade werde vollständig durch andere Truppenteile ersetzt – das 44. Fernmelde-Bataillon mit rund 500 Soldaten sei schon nach Grafenwöhr verlegt worden. „Später werden wir in Grafenwöhr und Vilseck wieder rund 9000 Soldaten stationiert haben“, sagt sie. Die US-Armee ist in Grafenwöhr, Hohenfels, Vilseck und dem zugehörigen Standort Garmisch ein erheblicher Wirtschaftsfaktor: Über 500 Millionen Euro fließen pro Jahr in Löhne für Zivilbeschäftigte, Unterhaltungsarbeiten, Mieten und in den privaten Konsum.

Obwohl in ihrer direkten Nachbarschaft nur Angehörige der US-Streitkräfte wohnen, fühlt sich die Familie Wiggins nicht isoliert. „Wir versuchen, soviel Kontakt wie möglich zu haben“, sagt Diane. Die Oberpfälzer seien offen, herzlich und freundlich, so ihr Eindruck. Zur Zeit stehen natürlich Besuche auf den regionalen Christkindlmärkten auf dem Programm. Aber auch bei anderen Events, wie etwa dem für eine amerikanisch/koreanische Familie etwas seltsam anmutenden Maibaumaufstellen waren sie dabei. Obwohl Fußball keine typisch amerikanische Sportart ist, will LtCol. Wiggins mit Sohn und Tochter mal zu einem Bundesliga-Match fahren. „Am besten natürlich, wenn Bayern München spielt“, sagt er. „Ich hoffe, dass ich Karten bekomme.“

Interesse an regionaler Kultur

„Wir wollen die Chance, hier in der Oberpfalz leben zu können, so gut als möglich nutzen“, sagen Diane und Anthony Wiggins. Diane beschäftigt sich gerne mit heimischen Traditionen und mit der regionalen Kultur, „auch Deutsch möchte ich noch etwas lernen“, sagt sie. Das Umfeld auf dem Netzaberg, der schon zur Zeiten der königlich-bayerischen Armee als Aussichtspunkt auf die Artillerie-Schießbahnen diente, trägt zur guten Stimmung bei. „Wir sind gerne in Deutschland“, sagt Wiggins. „Aber irgendwie locken auch die Staaten wieder.“