Justiz
Rocker-Prozess: Das große Schweigen

NPD-Funktionär Roßmüller steht wegen Messerstecherei vor dem Landgericht Regensburg. Protokoll des ersten Verhandlungstages.

13.08.2015 | Stand 16.09.2023, 7:02 Uhr
Sascha Roßmüller (Bildmitte) auf der Anklagebank neben seinen Verteidigern −Foto: Altrofoto.de

Der Prozess gegen den bayerischen NPD-Funktionär Sascha Roßmüller am Landgericht Regensburg hat begonnen. Ab Donnerstag geht es darin um einen Vorfall, der beinahe fünf Jahre zurückliegt: Die Bandidos vom Chapter Regensburg sitzen auf der Anklagebank; der aus Straubing stammende Roßmüller, der ihr Secretary Treasury (Kassier) ist, soll am ersten Weihnachtsfeiertag 2010 einen blutigen Angriff mit dem konkurrierenden Kuttenträgern MC Gremium angezettelt haben. Dabei wurden mindestens zwei Personen schwer verletzt. Die Anklage lautet auf Landfriedensbruch in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung.Der Prozess steht unter hohen Sicherheitsvorkehrungen. Das Landgericht hat während der insgesamt neun Verhandlungstage im gesamten Sitzungsgebäude ein sogenanntes Kuttenverbot erlassen. In dem Prozess sollen 25 Zeugen und ein Sachverständiger vernommen werden. Ein Urteil wird Ende September erwartet.

MZ-RedakteurPascal Durainbegleitet den Prozess im Gerichtssaal. Das Protokoll des ersten Tages zum Nachlesen:

14.45 Uhr:

Kurz vor 14 Uhr herrscht wieder erhöhte Aufmerksamkeit vor den Toren des Landgerichts. Vier weitere Männer in schwarz schlendern über die Straße: die Rocker von Gremium MC kommen, um ihren Bruder im Zeugenstand zu unterstützen. Das Bandidos-Gremium-Rocker-Verhältnis in den Zuschauerreihen ist jetzt ausgeglichen.

Der Auftritt des Zeugen – ebenfalls komplett in schwarz, kurzer Irokesenschnitt, bullige Figur – ist indes wenig spektakulär: Wie es sich für einen Rocker gehört, spricht er mit dem Gericht nicht bzw. nur das Nötigste. Seine Personalien gibt der Mann noch an; dann lässt er nur noch seine Anwältin reden. Der Wirt, der bei dem Überfall eine klaffende Wunde im Gesicht davongetragen haben soll, will sich selbst nicht belasten. Er mache „vollumfänglich von seinem Auskunftsverweigerungsrecht“ gebrauch. Punkt.

Das Gericht will zumindest das Gesicht des Zeugen in Augenschein nehmen – die Anwältin Ricarda Lang des Mannes widerspricht heftig. Die Verteidiger pflichten ihr bei. Das Gericht zieht sich kurz zurück; ein juristisches Kleinklein entbrennt, ob ein Zeuge gegen seinen Willen in Augenschein zu nehmen. Anwältin Lang droht, nach dem das Gericht die Wange des Mannes anschauen will, vor das OLG zu ziehen. Verteidiger Mörtl unterstützt sie dabei – sein Mandant Stephan H. und Sascha Roßmüller sollen den Zeugen mit Messern attackiert haben. Am Ende wird der Wirt unbeeidigt entlassen; sein Gesicht wird dennoch in Augenschein genommen.

Am Montag geht der Prozess weiter – Kronzeuge Ralf K. soll aussagen.

12.45 Uhr:

Nach einer Unterbrechung gerät der Kripobeamte ins Kreuzverhör. Rechtsanwalt Mörtl bohrt nach und will wissen, wie die Polizei zu ihrer These gekommen ist, es habe sich um eine vorbereitete Tat gehandelt. Auch Roßmüllers Verteidiger, Szene-Anwalt Frank Miksch, hakt bei Details nach – ob der Zeuge zum Beispiel wisse, wie viele Mitglieder das Bandidos-Chapter in Regensburg hatte. Nein, das kann der Polizist nicht sagen – leider hätten Rockervereine keine Mitgliederlisten, die sie der Polizei zur Verfügung stellen. Ob zehn oder bis zu 30 Mitglieder, das wagt sich der Zeuge nicht einzuschätzen.

Die Befragung zieht sich, es geht um Ermittlungsdetails – da das Verfahren aber bereits einmal eingestellt worden war und diverse Akten bereits geschreddert wurden, bleibt vieles unbeantwortet. Der Zeuge wird für diesen Tag entlassen; muss aber beim nächsten Verhandlungstag wiederkommen. Danach zieht Anwalt Mörtl die Glaubwürdigkeit des Mannes in Zweifel, weil er bestreitet mit einer Wirtin über seinen Mandanten gesprochen zu haben. Das soll eine Zeugin im Verlauf des Verfahrens belegen. Die Sitzung wird um 14 Uhr fortgesetzt.

11.30 Uhr:

Nach der Pause erklärt Oberstaatsanwalt Klaus Fiedler, dass sicher nicht rechtsstaatswidrig ermittelt wurde. Was Rechtsanwalt Mörtl hier hineingeheimnisse, entbehre jeder Basis. Ralf K. sei in diesem Verfahren (bis zu seiner Einstellung) nicht als V-Mann tätig gewesen. Erst hinterher habe er verschiedene Aussagen getätigt. Die übrigen Anträge werden zurückgestellt – die Verteidiger widersprechen, dennoch hält der Vorsitzende Richter daran fest, den ersten Zeugen, einen Straubinger Kripo-Beamten, zu vernehmen.

Der Mann schildert, wie die Polizei alarmiert wurde – und dass die erste Streife erst nach der Schlägerei eintraf. Der verletzte und blutende Wirt der Gremium-Kneipe Blackout habe demnach die Polizei gerufen. In einer Seitengasse hätten die Kollegen nur Sascha Roßmüller festgestellt – sonst keinen Bandido. Die Gremium-Brüder hätten alle durch die Bank – trotz blutender Wunden etc. – die Aussage verweigert und bestritten, dass es eine Schlägerei gegeben habe. Eine Beteiligung der Bandidos habe man zunächst nur wegen Roßmüller und Joachim S., der verletzt im Krankenhaus lag, vermutet. Das habe sich später erst durch die Vernehmung von anderen Wirten, Anwohnern und Kunden bestätigt.

Wieder geht es auch um die Rolle des Bandidos-Chefs aus Regensburg, dem Kronzeugen: In den Akten gibt es unterschiedliche Angaben darüber, ob Ralf K. an diesem Abend, dem 25. Dezember 2010, in Straubing war. Wie Staatsanwalt Fiedler schon sagte, erklärt auch der Kripo-Mann, dass K.s Handy in Straubing nicht eingeloggt war. Daher habe man ausgeschlossen, dass Ralf K. am Überfall beteiligt war.

Die Polizei fürchtete nach der Attacke einen Rachefeldzug des Gremium MC und durchsuchte die Stammkneipe – und fand jede Menge Waffen. Als der Schnee schmolz, tauchten mehr Waffen auf. Unter anderem das Messer, mit dem ein Gremium-Rocker schwer verletzte. Die DNA des angeklagten Stephan H. fand sich am Griff.

Ralf K. habe dem Kripo-Mann später gesagt, dass Roßmüller und Stephan H. zuvor Mitglieder bei Straubinger MC Gremium waren, diese aber im Streit mit dem Blackout-Wirt verlassen hätten, um sich den Bandidos in Regensburg anzuschließen. Die Rockerbosse aus Regensburg und Straubing hätten aber schon lange vor der Tat vereinbart, sich nicht in die Quere zu kommen. Die treibende Kraft hinter dem Angriff sei laut K. sein Finanzchef Roßmüller gewesen.

9.40 Uhr:

Vor dem Sitzungssaal ist mit Robert Knapp von der Kripo Passau auch der niederbayerische Experte für die Rockerszene anwesend. Er zeigte sich gegenüber der MZ nicht überrascht, dass nur wenige Mitglieder aus dem Rockermilieu den Prozess beobachteten. „Das ist keine gute Werbung für die Clubs, mit solchen Verfahren wird man ungern in Verbindung gebracht.“

9.35 Uhr:

Bussi, Bussi – als Klaus Peter S. mit Handschellen in den Saal geführt wird und zu seinem Platz auf der Anklagebank mit breiter Brust stolziert, begrüßen ihn Blitzlichtgewitter – seine „Brüder“ warten schon, einer busselt ihn links und rechts. Insgesamt sitzen fünf Rocker auf der Anklagebank, nur zwei bis drei (es herrscht ja Kuttenverbot) in den Zuschauerreihen. Ein Schaulaufen zwischen Gremium MC und den Bandidos bleibt aus – obwohl es in näherer Umgebung diverse Chapter gibt.

Nachdem die Sitzung begonnen hat und die Anklage verlesen ist, beginnt das große Schweigen. Alle fünf Angeklagten wollen nicht aussagen. Dafür haben ihre Anwälte ausreichend Anträge vorbereitet: So fordert Rechtsanwalt Mörtl, das Verfahren zu unterbrechen und sämtliche Ermittlungsakten über Ermittlungen gegen den Kronzeugen Ralf K., damals Präsident des Bandido-Chapters Regensburg, beizuziehen. K. soll V-Mann bzw. Polizeispitzel gewesen sein, sagt Mörtl, der Verteidiger spricht von rechtswidrigen, verschleiernden und nebulösen Ermittlungen. „Dieses Verfahren ist sprichwörtlich kontaminiert.“ Er stellt einen zweiten Antrag – ebenfalls gegen einen Belastungszeugen; dann wird die Sitzung unterbrochen.

8.55 Uhr:

Die Sicherheitsvorkehrungen vor dem Justizgebäude in Regensburg sind am Donnerstagmorgen imposant.Die Richter befürchten einen Rockeraufmarsch.Sechs bewaffnete Beamte mit schusssicheren Westen stehen vor dem Gebäude. Bevor ihnen Zugang zum Gericht gewährt wird, werden alle Besucher genau durchsucht – auch die Journalisten. Der komplette Bereich vor dem Sitzungssaal ist abgesperrt, Beamte sichern den Zugang zum Situngssaal. Wie viele genau, das will der Einsatzleiter. Leitender Polizeidirektor Wolfgang Mache, nicht bekanntgeben. Auch im Saal tragen Polizisten Schusswaffen. Der Hintergrund: „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass aktive Mitglieder von Motorradclubs Zeugen, die belastende Aussagen gegenüber Mitgliedern der Rockerclubs gemacht haben, einschüchtern wollen“, teilte das Gericht mit. Die Konsequenz: Sämtliche Kutten, Schriftzüge und Embleme, die sich den „Outlaw Motorcycles Club“ zugehörig fühlen, sind verboten.

Eine Zusammenfassung des ersten Verhandlungstageskönnen Sie auch hier nachlesen.

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