Ausstellung
Tote, die Lebenden Einblicke geben

„Körperwelten“ wollen Besucher anregen, sich mit ihrem Körper zu befassen – und schlechte Gewohnheiten zu überdenken.

16.02.2018 | Stand 16.09.2023, 6:07 Uhr

Die Ganzkörperplastinate des Anatomen Gunther von Hagens sind für ihre exzentrischen Posen bekannt. Fotos: Tino Lex

Zur Raucherlunge kommt kaum jemand durch. Vor der Vitrine mit dem kranken teerschwarzen Organ drängen sich die Besucher. Ganz vorne sagt ein Mann mit einem kleinen Seufzer: „So schaut’s bei mir wahrscheinlich auch aus.“ Seine Begleiterin nickt zustimmend.

Am Freitagmorgen, dem Eröffnungstag der Körperwelten-Ausstellung im ehemaligen Gartencenter des Donaueinkaufszentrums, drängen sich die Besucher vor den Plastinaten, Vitrinen und Erklärtafeln. Die Ausstellung in Regensburg steht unter dem Motto „Der Zyklus des Lebens“. Die körperliche Entwicklung vom Embryo zum Greis ist der rote Faden der Schau. Zu sehen sind verschiedene Stadien der Embryonalentwicklung: Vom brotkrümelgroßen Embryo der ersten Wochen bis hin zum Fötus in der 36. Schwangerschaftswoche, kurz vor der Geburt. Laut der Ausstellungsmacher stammen die gezeigten Föten und Embryos aus historischen anatomischen Sammlungen aus der Zeit vor 1930.

Plastinertes Pferd mit Reiter

Die anderen menschlichen Präparate der Körperwelten-Ausstellung sind jüngeren Datums und stammen von Spendern. Die haben ihre Körper dem Heidelberger Institut für Plastination von Gunther von Hagens vermacht. Zu sehen sind entweder Ganzkörperplastinate oder einzelne Körperteile wie eine Niere oder Gehörknöchelchen. Oder Körperscheiben, die einen Querschnitt von Muskeln, Gewebe oder Gefäßen zeigen.

In Regensburg sind rund 200 Präparate zu sehen. Blickfang der Schau sind natürlich die Ganzkörperplastinate, die als Tennisspieler, Skispringer oder weltkugelstemmender Atlas posieren. Höhepunkt ist ein plastiniertes Pferd mit einem Reiter, dessen Schädel und Körper aufgefächert ist. Ein plastinierter Anatom beugt sich über eine plastinierte Leiche. Eine plastinierte Seiltänzerin trägt ihre inneren Organe mit Lunge, Herz, Leber und Verdauungstrakt als Bündel über dem Kopf. Dazu erklärt eine Tafel, wie der Gleichgewichtssinn funktioniert. Die Posen wie die des abenteuerlich weit nach hinten gebeugten Gitarristen sollen unterschiedliche anatomische Merkmale aufzeigen: Zum Beispiel, welche Muskelpartien beim Tennis beansprucht werden. Sie ermöglichten es „den Besuchern, das Plastinat besser in Bezug zum eigenen Körper zu bringen“, schreiben die Ausstellungsmacher. Andere Exponate sind der „Arterien-Mann“, dessen Blutgefäße freigelegt sind oder die am Gehirn zusammenlaufenden Nervenstränge.

Lesen Sie außerdem: MZ-Autorin Lisa Pfeffer besuchte das Plastinarium, in dem die Ausstellungsobjekte aufbereitet werden.

Doch die „Körperwelten“ reihen nicht einfach plastinierte Körper und Organe aneinander. Sie haben einen aufklärerischen Anspruch: Von Anfang an habe es zum Konzept gehört, das Bewusstsein der Besucher für die Zeitlichkeit und die Zerbrechlichkeit des eigenen Körpers zu schärfen, sagt Kuratorin Dr. Angelina Whalley, die mit dem Begründer der „Körperwelten“, dem Anatomen Gunther von Hagens, verheiratet ist. „Die Ausstellungen möchten das Interesse für Anatomie und Physiologie wecken, das Wissen in diesen Bereichen nachhaltig erweitern und so die Menschen dazu inspirieren, bewusster und gesünder zu leben.“ So liegt in pädagogischer Absicht neben der schwarzen Raucherlunge ein helles, von Nikotin unbelastetes Organ. Daneben steht eine mit Teerstaub gefüllte Tasse. „Schon 20 Zigaretten täglich belasten die Lunge mit 150 Milliliter Teer pro Jahr; das ist etwa soviel wie in dieser Kaffeetasse“, steht auf einem Schildchen.

Aus Anlass der Pressekonferenz ist Franz Josef Wetz angereist, Professor für Philosophie an der Pädagogischen Hochschule in Schwäbisch Gmünd. Sein Part ist es, die Ausstellung gegen Kritik zu verteidigen. In seinen Publikationen behandelt er die Frage, ob es ethisch zu rechtfertigen ist, dass plastinierte Körper oder Körperteile toter Menschen öffentlich ausgestellt werden. Alle Körperspender gäben zu Lebzeiten ihre Einwilligung, sagt Wetz: „Das postmortale Selbstbestimmungsrecht ist hier erfüllt.“ Durch die Anonymisierung der Plastinate sei die Privatsphäre der Spender gewahrt.

„Es geht nur um die Hülle“

Auch gelinge es den Ausstellungsmachern, eine Atmosphäre zu schaffen, die den würdevollen Umgang der Besucher mit den Plastinaten garantiere. Weil die Besucher angeregt würden, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, gingen diese nicht frivol mit den Exponaten um. Für ihn sei „diese Ausstellung weit davon entfernt, eine Totenausstellung zu sein, sie ist vielmehr so etwas wie ein Fest des Lebens“. Die Besucher bekämen „einen komplexen Organismus zu sehen, einen feingliedrigen Aufbau, der uns Bewunderung abverlangt“. Die Achtung vor dem eigenen Körper rege dazu an, ihn bewusst zu pflegen und zu schonen.

Den Fragen der Journalisten stellen sich am Freitag auch mehrere Körperspender, die ihre sterblichen Überreste dem Heidelberger Institut für Plastination überlassen wollen. Eine von ihnen ist die 28-jährige Kirstin Heyen. Schon vor zehn Jahren habe sie sich nach dem Besuch einer Körperwelten-Ausstellung dazu entschieden, sagt sie im Gespräch mit der MZ. Heyen hat sich schon früh mit dem Tod auseinandergesetzt. Sie wolle ihre Angehörigen nach ihrem Tod von den Verpflichtungen entheben, die mit Bestattung und Grabpflege verbunden seien. Heyen, die auch einen Organspendeausweis hat, sagt, sie habe jederzeit die Möglichkeit, von ihrer Körperspende zurückzutreten. Ihre Familie stehe hinter ihrem Entschluss: „Meine Eltern sind auch Körperspender.“

Auch Martina Grimm ist Körper- und Organspenderin und hat sich intensiv mit der eigenen Sterblichkeit auseinandergesetzt. Anlass dazu gaben ihr eine Nahtoderfahrung mit 14 Jahren und eine Operation mit ungewissem Ausgang im Alter von 40, wie sie erzählt. „Der Tod gehört zum Leben dazu“, sagt sie. Niemand habe einen Anspruch darauf, 80 Jahre alt zu werden. Sie sieht die Angelegenheit mit der Körperspende nüchtern: „Es geht ja nur um die Hülle.“

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