MZ-Serie
Warum „Oiss“ nicht gleich „Ois“ ist

Zum Monatsende gibt es wieder Wissenswertes rund um den Dialekt. Dieses Mal ist es die 250te. Ausgabe.

29.09.2017 | Stand 29.09.2017, 11:30 Uhr

Im Dialekt sagt man meist Priminz, nicht Primiz. Foto: MZ-Archiv/bjs

Wann feiert er denn Priminz?

Die feierliche erste Messfeier eines neugeweihten katholischen Geistlichen nennt man in dialektnaher Sprache nicht „Primiz“, sondern „Priminz“. Erklären lässt sich der Einschub von „n“ nur schwer, handelt es sich doch um eine Entlehnung aus lateinisch „primitiae“; so bezeichneten die Römer die Erstlinge der geernteten Früchte, die man den Göttern darbrachte. Auf „-iz“ ausgehende Wörter (wie „Hospiz, Indiz“) sind in der Mundart kaum gebräuchlich, solche auf „-inz“ hingegen sehr wohl: „Pfefferminz, Prinz, Provinz“. Letzteren scheint „Priminz“ angeglichen worden zu sein. Ein „Priminzsegen“ wurde sehr hoch geschätzt. Man sagte, um einen solchen zu erhalten, lohne es sich, einen weiten Weg auf sich zu nehmen, auf dem sogar ein Paar Schuhsohlen verschlissen werden darf.

Die Frage stellte Christine Hebauer.

„Oiss“ ist nicht dasselbe wie „ois“.

Wenn es im Werbespot eines oberbayerischen Trachtengeschäfts heißt: „Ois wos dazu g’herd“, so ist der Dialektschreibungsversuch verunglückt. Das Wort „alles“ wird nämlich zu „oiss“; die Kürze des Vokales vor „ll“ bleibt erhalten (Fortis-Silbe), auch wenn sich „l“ zu „i“ verwandelt hat. Mundartlich „ois“ (Lenis-Silbe) hingegen bedeutet „als“. Statt „dazug’herd“ sollte stehen: „dazua ghört“ oder „dazua ghert“, wenn man schon nicht lautabbildend „dazua ghead“ schreiben will. Auf jeden Fall muss der Zwielaut „ua“ stehen. Kürzlich hat sich Aldi-Süd mit einer Werbung für Trachtenkleidung völlig der Lächerlich preisgegeben. Einleitend stand da: „Gemma zu Oidi“. Die Aufforderung „gemma“ (gehen wir, statt: lasst uns gehen) ist durchaus richtiges Bairisch. Aber den Firmennamen Aldi spricht kein Mensch als „Oidi“ aus, und dialektnah müsste es zudem heißen: „zum Aldi“.

Zahlreiche Landgasthöfe entschließen sich zur Verbaierung ihrer Speisenangebote. In einem Beispiel aus der ländlichen Oberpfalz findet sich durchaus Erfreuliches wie etwa „roude Rana (nicht: rote Bete, Beete), Erpfl-gnedl, Erpflsterz“ oder „a grouss brouns Grebbsschwanzerl“ (großes gebratenes Krebs-). Auch „d’Sundooch-Bronkoaddn“ ist mutig (die Sonntag-Bratenkarte). Doch daneben fallen unübersehbare Fehlgriffe auf. Unmöglich ist: „Es gibd an leggan Sauabron“. Das Wort „lecker“ lässt sich nicht in die Mundart transponieren; es zählt zu den verhassten modischen Unwörtern. Die Grammatik stimmt nicht bei „in ana Nussbudda gschwenggt“. Im Bairischen ist „Butter“ männlichen Geschlechts; es müsste heißen „in am Nussbudda …“. Schwierigkeit bereitet die Verschriftlichung von dialektalen Diphthongen. Irreführend ist „Gmais“ für die oberpfälzische Mundartlautung von „Gemüse“; es sollte „Gmäis“ oder „Gmejs“ geschrieben werden; südlich der Donau heißt es „Gmias“.

Zu einer Frage von Norbert Trauner

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Wennst ned so laut spinna daadst.

Nicht verwandt mit „laut“ ist das Adjektiv „lauter“ im Sinn von: klar, rein. Man spricht von „lauteren Absichten“ und kennt „unlauteren Wettbewerb“. Auch Gewässer- und Ortsnamen wie Lauterach, Lauterbach zeigen das Wort in diesem Sinne. Mit „läutern“ ist reinigen gemeint, mit „erläutern“ klarstellen, erklären. Von der poetischen Literatursprache bis in die Mundarten hinein reicht die Verwendung des Adverbs „lauter“ in der Bedeutung: nur, bloß, ausschließlich, nichts anderes als. „Aus lauter Liebe, lauter Ausreden. Vor lauter Freud hat ihm der Hund das Gesicht abgeschleckt. Sie haben fünf Kinder, lauter Buben. Beinah in d’Hosn gmacht hod a vor lauter Angst.“

Eine Anregung von Ute Hartmann

Sie hat einen Kalkhusten.

Ein geradezu phänomenales Beispiel für die Überschneidung (Interferenz) von Dialekt und Schriftsprache liefert „Kalkhusten“. So schrieb eine Schülerin im Aufsatz und meinte damit „Keuchhusten“. In geradezu raffinierter Art hatte sie damit ihre Dialektkompetenz bewiesen. Der „Kalk“ heißt mundartlich nämlich „Koich, Keuch“ – mit verdumpftem „a“, Vokalisierung des „l“ und oberdeutsch „ch“ statt „k“ (vgl. „Milch“ neben „melken, Molkerei“, englisch „milk“). Mit der Kuriosität „Kalkhusten“ gelang es der Schreiberin, diese drei Lautänderungen rückwärts aufzulösen – eigentlich eine bemerkenswerte Leistung, auch wenn diese von der Lehrkraft als böser Fehler angestrichen werden musste.

Ähnlich gelagert, wenngleich weniger komplex ist die Frage, ob unbetonte Silben ein „r“ enthalten oder nicht. Für ungeübte Schreiber stellt dies oft ein Problem dar. Auf einer Speisenkarte fanden sich „parnierte Ganelen“ angeboten; gemeint waren „panierte Garnelen“. Der Wegfall oder die Einfügung von „r“ in Nebensilben ist in Dialekt und entspannter Umgangssprache keine Besonderheit; erst bei Umsetzung in die Schrift entstehen Fehler. Als Kind meinte ich, es müsste doch „Weihenstepharn“ geschrieben werden, und die Wohngegend, in der ich in Freising aufwuchs, „Lankersberg“ (für Lankesberg). Die unbetonte Sprechsilben „-an, -as“ werden pseudokorrekt als „-ern, -arn, -ers“ geschrieben. Dazu passt die Fehlschreibung „parniert“ genau, ebenso „Orleander“. Der umgekehrte Fall liegt vor mit „Ganelen“ oder „Mamelade“. Die Tendenz zur Einfügung von „r“ wird gestützt durch Fälle wie hochsprachlich „Marder“ und mundartlich „Moder“. Im Dialekt heißt es „voder-, veder(halb)“ für „vorder(halb)“ (davor). So erklären sich Familiennamen wie „Voderholzer, Federholzer“ als Benennungen nach der Wohnstätte der Vorfahren, die „vorder, vörder dem Holz (Wald)“ gelegen war. In der älteren Schriftsprache hieß es „fodern“, heute „fordern“; beide Varianten gab es bereits im Mittelalter. Mit oder ohne „r“ – eine schwierige Frage.

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