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Der Kräuterdoktor aus dem Bayerwald

Prof. Dai aus der Kötztinger TCM-Klinik heilt mit uraltem Wissen. Der chinesische Arzt fängt an, wo die Schulmedizin aufhört.

01.09.2018 | Stand 16.09.2023, 6:03 Uhr

Gegen jede Krankheit ist ein Kraut gewachsen: Prof. Jingzhang Dai in der Klinikapotheke Foto: Koller

Professor Dai führt in den Keller der Klinik für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM). In Stahlschränken verwahren die Ärzte einen Schatz: getrocknete Wurzeln, Blüten, Blätter – die Arzneimittel. Dai zieht eine Schublade heraus und greift sich eine Handvoll weißer Erbsen. Eine Dolmetscherin übersetzt seine Worte: „Die werden bei Verdauungsproblemen eingesetzt.“ Der 56-Jährige versteht Deutsch, spricht es aber nur ungern. Er kennt die Wirkung jedes Krauts. Ein würziger Duft steigt auf: Apothekerin Dongfang Wei rührt in einem Kräutersud. Beim Gespräch lässt Dai durchblicken, dass er viele westliche Patienten für unvernünftig hält.

Herr Professor Dai, Sie leben seit 2002 in Bayern. Was hat Sie an den Einheimischen überrascht?

Die Deutschen sind sehr ordentlich. Sie brauchen für alles einen Termin, sogar für den Zug oder den Bus. Es gibt zu viele Regeln und zu viele Zeitpläne. Das ist ein Vorteil, aber auch ein Nachteil, weil es länger dauert und man nicht so flexibel ist.

Wie ist das in Peking, wo Sie studiert und bis 2002 gelebt haben?

Sehr flexibel. Wir machen dringende Sachen zuerst und halten uns nicht immer an einen Plan. Die Deutschen sind nicht so flexibel wie die Chinesen.

Nennen Sie bitte ein Beispiel!

In China wird eine Operation spontan zwischen zwei anderen eingeplant. Das ist in Deutschland undenkbar. In China kommt man mit Zahnschmerzen sofort an die Reihe.

Warum braucht Deutschland die Traditionelle Chinesische Medizin?

Eigentlich kennen die Deutschen die TCM nicht so gut, aber wir haben mit unseren Behandlungen großen Erfolg.

Was für Patienten kommen zu Ihnen?

Patienten, die von der Schulmedizin keine Lösung bekommen. Sie leiden zum Beispiel an der Darmerkrankung Morbus Crohn, an Asthma, Neurodermitis, Migräne, an der Lungenkrankheit COPD, an Schuppenflechte. Und Patienten, die schon zahlreiche Operationen hinter sich haben, etwa an der Wirbelsäule oder am Darm. Die Patienten, die wir hier behandeln, sind viel schwieriger als die in China.

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Warum?

In China gehen die Menschen von Anfang an zu Ärzten für Traditionelle Chinesische Medizin. Da sind sie noch nicht so schwer krank. Außer natürlich, wenn sie akute Leiden haben.

Die Gesundheitspolitik lässt keinen großen Spielraum für TCM.

Nein, auch Patienten, die erfolgreich behandelt wurden, können manchmal kein zweites Mal kommen, weil die Krankenversicherungen das nicht übernehmen.

Was behandeln Sie mit Kräutern?

Alle Krankheiten, sogar Multiple Sklerose. Aber natürlich keinen Herzinfarkt. Bei MS werden durch jeden Anfall die Nerven weiter beschädigt. Die Kräuter lindern und beugen dem Anfall vor.

Vermissen Sie Peking?

Natürlich. Meine Familie lebt dort. Mitgekommen ist nur meine Frau.

Wie halten Sie es in einer kleinen Kurstadt im Bayerwald aus?

Das hängt mit meinem Charakter zusammen. Ich kann sowohl in einer riesigen als auch in einer kleinen Stadt leben.Ich konzentriere mich auf die Arbeit und lasse mich nicht ablenken.Es ist egal, wo ich arbeite.

Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

Lernen. Medizin ist ein lebenslanges Lernen. Bei der Behandlung findet man immer neue Probleme. Seit 2010 bieten wir auch den Schwerpunkt Psychotherapie an. Seit wir so viel Erfolg haben, kommen auch immer mehr psychisch Kranke. Gerade bei TCM steht die Verbindung zwischen Körper und Seele im Mittelpunkt. Man trainiert nicht nur den Körper, um Krankheiten vorzubeigen, man muss auch den Geist schulen. Mit Qigong trainiert man beides – und findet zur inneren Ruhe.

Sie sehen sportlich aus.

Ich mache jeden Morgen 40 bis 50 Minuten Qigong, eine Atem- und Bewegungstherapie (springt auf und führt Streckübungen vor). Durch die Atemübungen wird Qi gefördert, die Lebensenergie. Unter der Woche gehe ich abends bergwandern, am Wochenende schwimmen, Tennisspielen und joggen. Das hält mich gesund.

Leben die Chinesen gesünder als die Deutschen?

Ich denke schon. Das liegt an der Ernährung. Wir essen und trinken warm, auch im Sommer. Der Magen ist warm. Wenn man dauernd Kaltes in sich hineinschüttet, zum Beispiel Milch aus dem Kühlschrank, kostet das den Körper extrem viel Energie. Die Deutschen achten nicht darauf, sich warm zu halten, wenn es draußen kälter wird. Auch das kostet Lebensenergie. Jungen Menschen macht das nichts. Ältere bekommen Gelenkleiden und Verdauungsprobleme.

Was haben Sie heute gegessen?

Zum Frühstück einen Reisbrei und chinesisches Hefebrot mit Gemüsefüllung. Mittags esse ich Gemüse, aber niemals ungekocht Wir essen nicht dauernd Salat wie hier. Im Sommer höchstens eingelegtes Gemüse. Wir gehen nicht ins Fitnessstudio, sondern balancieren Körper und Geist mit Qigong oder Tai Chi aus. Der TCM-Lebensstil ist gut für die ganze Welt. Die Prinzipien sind 1000 Jahre alt. Leider herrscht das Vorurteil, dass die Traditionelle Chinesische Medizin nicht wissenschaftlich ist.

Was schätzen Sie an Bayern?

Die Luft, die Landschaft. Die Leute sind nett. Nicht alle (lacht).

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